Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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standen, offenbar zur Reise gerüstet und in der heitersten Stimmung. Die Burschen mit den Handkoffern und Mänteln standen ein wenig beiseite. Ein dienstfertiger Kellner trug ein Brett mit kleinen gefüllten Cognacgläsern heran, den „Steigbügeltrunk“, der mit fabelhafter Geschwindigkeit erledigt wurde.
„Mock, verschlucken Sie sich nicht, Sie sind schon rot genug!“ –„Möchte wissen, wen das was angeht, mein Gesicht!“ – „Na, na!“ – „Seheu Sie, Zeno, das hat er jetzt übelgenommen! Fängt gut an!“ – „Noch schöner! Wer heut’ ’was übelnimmt, der –“
„Einsteigen, meine Herren! Es läutet ab!“
Unter gewaltigem Lärm wurde ein Coupé in Beschlag genommen.
„Bis wie weit, meine Herren?“ fragte der Schaffner.
„Keine Idee, wie das Nest von Station heißt! Wer hat denn eigentlich die Fahrkarten genommen?“
„Zeno natürlich, wer sonst!“ – „Zeno, wie heißt doch gleich das Ding, wohin wir fahren, drei Stationen vor ‚Perle‘?“ – „Altwerder! Zwei, vier, sechs Fahrkarten! Hier, Sie Biedermann!“
Der Zug setzte sich in Bewegung. Der kleine Zeno saß da, weit vornübergebeugt, den Säbel zwischen die Knie geklemmt, die Cigarette im Munde, heftig dampfend. Sein mageres brünettes Gesicht sah beinahe finster aus, seine um die Knie verschränkten Hände trieben ein unruhiges Spiel.
„Nun seht den Kleinen an!“ – „Reden Sie auch ’n Ton, Zeno?“ – „Wo fehlt’s denn?“ – „Sitzt da wie ’ne männliche Kassandra!“ – „Er macht sich Sorgen ums ausgelegte Geld!“
Zeno zuckte bloß die Achseln. Oesterlitz, der sich im Lauf der Zeit mit ihm befreundet hatte und neben ihm saß, neigte sich zu ihm herab und sagte leise: „Was ist denn los?“
„Ach, nichts!“ brummte der Gefragte zurück. „Kann bloß nicht in einem fort so mithalten und Blech reden. So kindisch zu sein, alle zusammen!“
„Na, lassen Sie! Fahren ja doch zur Hochzeit!“
„Ist’s eben! Hochzeit! Als ob das so eine wär’, wie sie alle Tage sind! Ich – wenn man so weiß, wie alles gekommen ist ...“
„Sie hat’s eben ihrem Alten zulieb gethan, natürlich! Ob das aber wirklich wahr ist, daß sie sich Montrose selbst angetragen hat – ich war ja nicht hier, weiß nichts Näheres.“
„Angetragen – das ist ein bißchen viel gesagt. Denn als sie mit ihrem Vater so Knall und Fall von ‚Perle‘ wegging und hierher nach St. zog, da hatte Montrose schon ’mal um sie geworben. Aber sie – damals nahm sie ihn noch nicht; schließlich konnte sie auch nicht wissen, daß dem alten Doßberg die Trennung von ‚Perle‘ gleich ans Leben gehen würde.“
„Hören Sie ’mal, Zeno, glauben Sie denn das in allem Ernst?“
„Ja, das thu’ ich! Ich hab’ denselben Arzt wie die Doßbergs, seit Jahren schon, Morschewsky, respektabler Mensch, der sagt’s, und der spaßt mit solchen Geschichten nicht. Und da hat denn die schöne Ilse –“
„Keine Geheimnisse hier!“ rief ein Kamerad die beiden Freunde zur Ordnung.
„Wenn ich Geheimnisse haben will, dann hab’ ich sie!“ gab Zeno mit einem scharfen Blick zurück.
„Na na! Nur nicht ungemütlich!“ rief der dicke Mock dazwischen. „Laßt doch die zwei zusammen tuscheln, wenn’s ihnen Spaß macht! Wollen uns unterdessen schon die Zeit vertreiben. Hat keiner von den Kameraden zufällig ’n paar Würfelchen bei sich? Hier meine Reisetasche dient als Tisch.“
Widerspruch und Gelächter wurde laut, die beiden in ihrer Ecke konnten ihr Gespräch unbehelligt fortsetzen.
„Also die schöne Ilse?“ fragte Oesterlitz.
„Ja, sie hat mit Montrose eine lange Unterredung gehabt, des Vaters wegen. Was sich die beiden dabei gesagt haben, weiß natürlich keiner, obgleich ich was drum gegeben hätte, dabei zu sein. Das Ende vom Lied war die Verlobung, die wie ’ne Bombe in die ganze Stadt fiel. besonders ins Regiment.“
„Was wohl Georges Montrose für Augen dazu gemacht hat?“
„Hat niemand gesehen! Er war ja verreist – Sie wissen, er wollte dieser unangenehmen Geschichte mit der kleinen ungarischen Sängerin aus dem Weg gehen. Hatte es stark getrieben in dem letzten halben Jahr. War wie verrückt in die schöne Ilse verliebt. Na, sie hat ihn kaum angesehen und der eigene Alte kam ihm ins Gehege. Da ist er denn fuchsteufelswild geworden, und die kleine Ungarin hat helfen müssen – trösten!“
„Ja, erlauben Sie: mit Spielhölle und allem, das ist denn doch ein etwas ausgiebiger Trost!“
„Gewiß! Das fand der Kommandeur auch und hat Montrose zu seinem Urlaub noch eine Ermahnung mit in Kauf gegeben, die nicht von gestern gewesen sein wird. Sie kennen ja den Oherst! Der fackelt nicht lange, da heißt es einfach: ‚Kommen mir noch einmal solche Geschichten zu Ohren, mein Lieber, dann dankt mein Regiment für die Ehre und Sie können sich ’mal die überseeischen Gegenden besehen, wenn Sie wollen.‘ Das hat der Alte gesagt, darauf können Sie sich verlassen! Und zu dem allen spielt das Schicksal dem Montrose jetzt noch den Geniestreich und giebt ihm die schöne Ilse Doßberg zur Stiefmutter!“
„Meinen Sie, daß er bei der Hochzeit anwesend sein wird?“
„Muß, ob er will oder nicht! Clémence ebenso, die sich gleich nach ihres Vaters Verlobung darauf besann, daß Paris doch eigentlich eine reizende Stadt sei, und Knall und Fall dorthin abreiste. Aber der alte Montrose hat seine Sprößlinge fest am Zügel, denn er hat das Geld, sie brauchen es – alao hat er sie buchstäblich in der Tasche. Sie kommen, kommen beide zur Hochzeit, ich weiß es bestimmt. Glauben Sie denn, das Regiment wäre mit sechs Einladungen zu diesem Fest bedacht worden, wenn unser lieber Georges nicht dabei wäre?“
„Ja, natürlich, ist schon richtig! Aber wird der ’ne Wut haben!“
„Und ob! Zumal .... man munkelt da dies und jenes: daß Montrose ein Testament gemacht, seine Kinder mit Geld abgefunden und, falls Erben aus dieser seiner zweiten Ehe hervorgehen, ihnen die ‚Perle‘ verschrieben haben soll. Wenn das den jungen Montroses zu Ohren kommt – ich steh’ für nichts!“
„Sie machen sich nichts aus dem Kameraden Montrose, Zeno?“
„Nein, thu’ ich nicht! Sehen Sie, Oesterlitz, flottes Wesen und Schneid’, so ’was lass’ ich allemal gelten, und wenn einer damit ein bißchen über die Schnur haut, da drückt man schon ein Auge zu. Aber der Georges Montrose – so ein reiner Genußmensch und weiter gar nichts, und dann diese Leidenschaft für den Mammon ... setzt Ehre und Selbstachtung und alles aufs Spiel, bloß ums Geld – pfui Teufel!“
„Na, recht haben Sie schon! Was ist übrigens aus dem schönen Botho geworden, seit er sich nach M. versetzen ließ? Hat er ’mal an irgend einen hier geschrieben?“
„Wird sich hüten! Was soll er schreiben? Daß er dort fortfährt, Schulden zu machen, ebenso wie hier? Oder daß er sich um eine reiche getaufte Jüdin bewirbt, wie mir der schwarze Hasko neulich aus M. berichtete?“
„Hören Sie, Zeno, noch eins! Hat man denn in St. viel von dem sonderbaren Brautpaar, ich meine Montrose und die schöne Isolde, gesehen? Ich bin eben erst aus dem Urlaub zurück ...“
„Sehr wenig hat man von ihnen gesehen. Der alte Doßberg siedelte sofort nach der Verlobung nach ‚Perle‘ über, nahm seine früheren Pflichten wieder auf und soll von morgens bis abends fieberhaft thätig sein. Die schöne Ilse zog zu dem verrückten Kerl, dem alten Leupold, in seine Kajütenwohnung, und dort hat sie ihr Bräutigam – kurios, sich den alten Montrose als Bräutigam vorzustellen – des öfteren aufgesucht, aber beobachtet hat sie dabei keiner. Sehen Sie ’mal, ich glaube, der Mock hat zwölf Augen geworfen!“
Mock sorgte selbst dafür, daß dies Ereignis bekannt wurde; er vollführte einen gewaltigen Lärm und säckelte seelenvergnügt seinen Gewinn ein.
Rasselnd, keuchend sauste der Zug in die goldene Herbstlandschaft hinein. Ein prangender Oktobertag war’s, der in den Sommer zurücktäuschte.
Zwei Equipagen und ein Wagen für die Gepäckstücke erwarteten die Offiziere in Altwerder – von dort hatte man noch eine knappe Stunde bis „Perle“ zu fahren. Die Herren standen mit Kennermiene bei den Pferdeu und waren alsbald mit den Kutschern im sachgemäßen Gespräch. Montroses Marstall fing an, berühmt zu werden, er konnte sich mit Ehren sehen lassen. Zeno that wenig mit, er hatte die edlen Pferde mit raschem Blick gemustert – nun mahnte er zur Abfahrt; um drei Uhr sollte die Trauung stattfinden, und man hatte sich noch umzukleiden. – –
In der Wolframskapelle läuteten die Glocken; sie hatten manchem Doßberg den ersten Willkommgruß, den Segenswunsch für den Ehebund, den letzten Abschied aus Welt und Leben verkündet. Ihre ehernen Stimmen schwebten feierlich durch die klare Luft, und langsam wand sich der Zug, der die Wagen verlassen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_319.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2020)