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Seite:Die Gartenlaube (1894) 363.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Ja, Herr, das schwör’ ich. Was drunten im Hof geschieht, weiß ich nicht – die Bäum’ decken den halben Hag; aber der See liegt offen unter mir. Ich hätt’ ihn sehen müssen, wenn er gefahren wär’.“

„Er braucht aber Fisch’!“ Henning lachte. „Die Leut’, die er gesammelt hat in seinem Hag, wollen zu beißen haben. Bei Taglicht hält er das Thor geschlossen, so muß er fahren in der Nacht und fischen bei der Fackel. Schleich’ Dich hinunter, bevor es dunkel wird, und steig’ auf einen Baum! Merkst Du, daß er die Netz’ zur Ausfahrt richtet, so komm gelaufen. Und eh’ Du gehst, sprich mit Deinen Kammergesellen Zacho und Heripot . . . versprich ihnen, was Du willst! Sie wagen ja nicht viel. Wenn die vier besten Fäust’ auf der Fischweid sind, so greifen wir die Dirn’ halb wie im Spiel. Und sag’ ihnen . . .“

Ein Blick des Knechtes machte ihn verstummen unter dem Wächterhäuschen ließ sich ein Schritt vernehmen, und Henning lächelte spöttisch. Mit lauter Stimme begann er von dem bösen Wetter zu reden, das die schweren Wolken erwarten ließen. Dann flüsterte er: „Thu’, wie ich Dir gesagt hab’!“ und verließ das Wächterhäuschen. Da stand sein Bruder Eilbert vor ihm, mit schmalen Lippen und eingekniffenen Augen. „So? Grob’ Wetter wird kommen? Meinst Du?“

„Ich denk’!“

„Dann bleib’ nur schön in Deiner Kammer heut’ nacht. Sonst könnt’ Dir das Wetter grob in die Knochen fahren!“ Eilbert wandte sich und ging dem Hause zu.

Henning ballte die Fäuste, aber sein Zorn verrauchte schnell, und lächelnd eilte er dem Bruder nach. „Laß reden mit Dir! Ich merk’, Du hast gelauscht. Gut also ... Dir sticht die Dirn’ in die Augen, mir auch. Müssen wir aber deshalb gegen einander stehen? Laß uns zusammenhalten, wir sind ja Brüder! Dem Vater brummt der Schädel, und die schwarzen Schermäus’ haben wir nimmer zu fürchteu . . . so kommt uns gute Stund’, wenn der Fischer in der Nacht mit seinem Knecht zum Fang ausfahrt. Wir wollen zusammenhalten als gute Gesellen und ... um die Dirn’ spielen wir. Willst oder nicht?“

Eilbert besann sich. „Gut, ich stell’ das Brett auf. Komm!“ Lächelnd stieg er über die Freitreppe empor ... er hoffte zu gewinnen, denn er war der bessere Spieler. Doch Henning war der bessere Trinker. Er ging in den Unterbau des Hauses und rief die alte Ulla. „Bring’ einen Krug vom schwersten Met hinauf in meine Kammer!“

Während die beiden Brüder beim gefüllten Becher und beim Brettspiel saßen und bei jedem Stein, der geschlagen wurde, der Schwester Sigenots die Minne tranken, stieg Hennings Knecht über den Felsenpfad hinunter zum Ufer. Als er sich unter den Bäumen in die Nähe des Fischerhages schlich, sah er Rötli auf dem Lugaus sitzen. In heißer Sehnsucht spähte sie gegen den Achensteg, denn sie wußte, daß Ruedlieb kommen würde. Wicho und der Altsenn’ waren vor kurzer Weile aus dem Lokiwald heimgekehrt; als sie unter den Halden der Schönau vorübergezogen waren, hatte Ruedlieb, der auf dem Felde schaffte, den Knecht des Fischers erkannt und war auf ihn zugesprungen. Bei der Heimkehr hatte Wicho das Mädchen mit Sigenot auf dem Lugaus gefunden und hatte ihr lächelnd die Botschaft zugeflüstert „Auf den Abend kommt Dein Bub’ . . . und sein Vater mit ihm!“ Erblassend und zitternd war Edelrot aufgesprungen, mit bangem Blick an ihrem Bruder hängend. Doch Sigenot hatte die Schwester an sich gezogen und ihr zärtlich das Haar gestreichelt. „Freu’ Dich nur! Hast ja gehört: er kommt mit seinem Vater. Harte Zeit liegt über uns allen, aber ich weiß ein Blüml, das blüht auch unter dem Schnee. Der Richtmann und ich, wir wollen heut’ vergessen, daß ein jeder von uns auf anderen Wegen geht, und treulich wollen wir raiten um Euer Glück.“

Schluchzend vor Freude hatte Rötli den Bruder umschlungen und seit er mit dem Knecht ins Haus getreten, saß sie auf dem Lugaus, in heiß quellender Sehnsucht ihres Buben harrend. Doch bei aller Sehnsucht war die Gewißheit des Wiedersehens nicht ihre tiefste Freude, sie konnte kaum den Augenblick erwarten, daß sie ihm sagen durfte: „Du sollst nicht sterben müssen! Leben sollst Du! Es giebt keinen Bid - das hat ein Gottesmann gesagt, der alles weiß. Und hat Dich der böse Feind geschreckt und sollt’ er wiederkommen, ich weiß ein Mittel wider ihn, da muß er weichen. Er muß! Er muß!“. Mit zitternder Hand bekreuzte sie das Gesicht und stammelte das Stoßgebetlein, welches Bruder Wampo ihr vorgesprochen. Da klang, weit über die Ache her, der helle Jauchzer, mit welchem Ruedlieb sein Kommen meldete. Rötli sprang auf, schluchzend und lachend ... der Weg zum Thor war ihr zu weit und das Thor stand ja geschlossen; sie schwang sich auf die Bank, auf den Tisch und sprang vom hohen Hag auf den Weg hinunter. Mit flatterndem Röcklein und fliegenden Haaren eilte sie der Ache zu und kam an dem Busch vorüber, hinter welchem Hennings Knecht verborgen lag. Der machte große Augen, als er das Mädchen gewahrte. „Die Dirn’ allein? Um und um kein Mensch? Bessere Stund’ kann nimmer kommen – ich will mir schweren Dank von meinem Herrn verdienen!“ Im Schatten der Bäume glitt er am Weg entlang und sah, wie Edelrot hinwegeilte über den Achensteg. Er sprang ihr nach; am Waldsaum, wo die Wege sich teilten, erreichte er sie und schlug die Hände um ihre Kehle. Mit gellendem Schrei brach Edelrot in die Knie. „Wart’, ich will Dich schweigen machen!“ raunte der Knecht, riß die lederne Kappe vom Kopf und schloß mit ihr den schreienden Mund. „Komm nur, komm, ich trag’ Dich ein lützel, daß Dir die kleinen Füßlein nicht müd’ werden.“ Mit groben Fäusten riß er das Mädchen in die Höhe . . . aber da sanken ihm jählings die Arme, und während Rötli mit halb erloschenen Sinnen zu Boden glitt, taumelte der Knecht und stürzte lautlos über den Weg. Ein dicker Blutstrom quoll ihm aus der linken Schulter.

Als Edelrot mit verstörten Augen aufblickte, sah sie vor sich ihren Buben stehen, sein Gesicht war totenbleich, er hielt das blutige Messer in der Hand und starrte nieder auf den entseelten Knecht.

„Ruedlieb!“

Ein Zittern befiel ihn beim Klang dieser Stimme. Rötli wollte sich in seine Arme werfen, doch vor seinen Füßen sank sie schluchzend zur Erde und barg das Gesicht.

Der Schönauer kam, entsetzt die Hände ringend. „Bub’, Bub’ – um aller guten Mächt’ willen, was hast denn gethan?“

„Was ich thun hab’ müssen! Hast Du nicht selber gesagt: wenn’s zum Aergsten kommt, so greif’ zum Messer und stoß’! Und was könnt’ ärger sein, als was dem Rötli geblüht hat?“

„Liebli, mein armer Bub’, Du hast den Tod über Dich gerufen!“

„Tod oder Leben – aber von denen da droben soll mir keiner an das Rötli rühren!“

Unter schluchzenden Worten hatte Edelrot sich aufgerafft und umklammerte den Geliebten mit zitternden Armen. Das Messer fiel aus Ruedliebs Hand, er faßte das Haupt des Mädchens, bog es zurück, um ihre Augen zu sehen und sagte mit tonloser Stimme: „Rötli, Du meine liebe Dirn’! Schau’, jetzt hab’ ich Dir die Blutblumen ins Haar gelegt! Gelt, der Bid hat schnelle Füß’?“ Sie schüttelte den Kopf und rührte die Lippen, doch die Sprache versagte ihr; kaum vermochte sie noch die Hand zu heben, um das rettende Zeichen über Ruedliebs Stirn und Lippen zu schlagen.

„Fort, fort! Schau’, daß Du mit ihr den Hag gewinnst!“ keuchte der Richtmann und drängte die beiden mit ungestümen Armen der Ache zu. „Fort! Fort!“ Er schob sie hinaus auf den Steg.

Mit verlorenen Sinnen, eines das andere umschlingend, überschritten sie im Zwielicht des sinkenden Abends den rauschenden Bach, als sie unter den Bäumen gingen, sahen sie nicht, daß ein junger Bauer ihnen entgegenkam, und hörten nicht, daß er zu ihnen redete. Es war der Hanetzer, der mit halb geheilter Wunde von den Alben gestiegen kam. Lachend blickte er den beiden nach. „Die Zwei hat das Lieb’sglück blind und taub gemacht!“ Er wanderte zur Ache; unter den letzten Bäumen stockte ihm der Schritt. Drüben am anderen Ufer schleifte der Richtmann einen stillen Mann zur Böschung und ließ ihn niederrollen in die schießenden Wellen. Das gelbe Wams des Knechtes leuchtete noch aus dem weißen Wasserschaum – dann verschwand es. Schwer atmend, richtete sich der Schönauer auf, eilte zum Seeufer, warf sich auf die Knie und stieß die roten Hände in den Wasserschwall. Mühsam erhob er sich und mußte, als er den Steg überschritt, das Geländer fassen. Bei dem ersten Schritt ans Ufer erstarrte ihm der Schreck alle Glieder . . . einer stand vor ihm.

{Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_363.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2020)
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