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Seite:Die Gartenlaube (1894) 364.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Herzogin Hadwig, die Heldin des „Ekkehard“.

Von 0R. Artaria.


Wenige Namen des deutschen Mittelalters sind heute dem großen Publikum so vertraut wie der der Herzogin Hadwig von Schwaben, trotzdem die verbürgte Geschichte gerade von dieser Fürstin viel weniger berichtet als von den anderen erlauchten Frauengestalten der Ottonenzeit. Der Grand ist allbekannt: Frau Hadwig, von deren Leben vor dem Jahr 1855 nur geschichtskundige Gelehrte etwas wußten, hat ihren Dichter gefunden, der aus den alten Ueberlieferungen das lebendige Bild ihrer Persönlichkeit zu erwecken verstand, so daß es jetzt in unverwelklicher Frische aus den Blättern des tausendfach gelesenen „Ekkehard“ leuchtet. Verhältnismäßig nur wenige Figuren der ganzen Weltgeschichte sind, trotz der unzähligen Romane und Dramen, auf diese Weise der Volksseele nahe gebracht worden, denn es gehört zu ihrer Wiedererweckung eine hohe dichterische Gestaltungskraft; und auch diese bedarf zu ihrem Schaffen nicht bloß der allgemeinen geschichtlichen Ueberlieferung, sondern noch eines besonderen Schatzes von persönlichen Charakterzügen, wie sie nur eben hie und da, dank einem günstigen Geschick, in eigenen Aufzeichnungen oder in denen von Zeitgenossen erhalten sind. Aus solchen Quellen hat Walter Scott für seine großen Romane geschöpft, er hätte z. B. ohne die ausführlichen Nachrichten von Comines über Ludwig XI. die unvergleichliche Figur dieses Königs nicht mit einer solchen Fülle persönlichster Züge ausstatten können, wie sie in „Quentin Durward“ dem Leser leibhaftig entgegentritt.

Ebenso würde Scheffel nicht imstande gewesen sein, ein so menschlich anmutendes, ergötzliches, in Licht und Schatten völlig getreues Bild aus dem fernen 10. Jahrhundert zu geben ohne die ausführliche, von ihm selbst mit einer glänzenden Perlenschnur verglichene St. Gallener Klosterchronik des jüngeren Ekkehard IV.[1] Sie liefert auch Farben in Fülle, um das dürftige Umrißbild der Herzogin Hadwig zu ergänzen, welches der sächsische Chronist Widukind von Corvey nur in kurzen Worten zeichnet, sie bringt von ihr eine Anzahl so lebendiger Charakterzüge, daß es für einen Dichter wie Scheffel eine Lust gewesen sein muß, das Bild „der gestrengen hohen Frau, die sich den jugendschönen Lehrer aus des heiligen Gallus Klosterfrieden entführte, um auf ihrem Basaltfelsen am Bodensee klassischen Dichtern eine Stätte sinniger Pflege zu bereiten“ – dieses Bild zum Mittelpunkt der Geschichte zu nehmen, die ihm in der Bücherei des heiligen Gallus und später zwischen den einsamen Burgtrümmern von Hohentwiel in voller Deutlichkeit vor der Seele aufging. Er hat der Herzogin keinen Zug gegeben, dessen Möglichkeit nach den geschichtlichen Berichten ausgeschlossen wäre. Allerdings ist bei Ekkehard IV. von der Hauptsache des Romans nichts zu spüren, nicht die leiseste Andeutung eines „Reigens von Herzen zu Herzen“, welches im zehnten Jahrhundert sich in so gefährlicher Nähe vermutlich ebenso leicht vollzog als im neunzehnten. Sein großer Oheim, Ekkehard II., stand ihm offenbar turmhoch über solchem Verdacht, und auch die Schilderung der Herzogin deutet auf nichts weniger als auf liebende weibliche Herzensschwächen. Er gedenkt ihrer folgendermaßen:

„Anf Duellium (Hohentwiel) wohnte Hadwig, Tochter des Herzogs Heinrich,[2] nach dem Tod ihres Gemahles Burkard verwitwete Herzogin von Schwaben; sie war eine sehr schöne Frau, aber gegen ihre Leute gar zu hart und deshalb weit und breit dem Land ein Schrecken. Als kleines Kind war sie dem Griechenkönig Konstantin[3] verlobt und wurde in griechischer Wissenschaft gar sehr unterrichtet durch Lehrer, welche deshalb geschickt waren. Aber als einer davon, der Maler war, sie ganz genau ansah, um das Bild der Jungfrau ganz ähnlich abzumalen und seinem Herrn zu schicken, da war ihr die Vermählung so verhaßt, daß sie den Mund und die Augen verzerrte. Sie verschmähte den Griechen hartnäckig, dann lernte sie lateinische Wissenschaft und Herzog Burkard heiratete sie mit ihrem reichen Schatz . . .“

Dieser Burkard, ein treuer Freund und Gefolgsmann des Sachsenkaisers Otto I., brachte sein Leben im Harnisch und auf Fehdezügen aller Art zu. In Schwaben fürchteten sie ihn als einen rauhen Zwingherrn und die sächsischen Mönche nannten ihn in ihren Chroniken „einen kaum zu ertragenden Kriegsmann“. Es wird also ziemlich der Wahrheit entsprechen, wenn der Verfasser des „Ekkehard“ schreibt:

„Darum hatte Frau Hadwig den alten Herzog in Schwaben genommen, ihrem Valer zu Gefallen, hatte ihn auch gehegt und gepflegt, wie es einem grauen Haupte zukam, aber wie der Alte zu sterben ging (973), hat ihr der Kummer das Herz nicht gebrochen.“

Sie konnte ganz im Gegenteil jetzt mit großen Hoffnungen ins Leben sehen. Einer Frau von so männlichem Geist, kühnem Herzen und klassischer Bildung durfte man wohl als Landesverweserin das Herzogtum Schwaben dauernd übertragen. So dachte sie wenigstens, nachdem in den ersten Zeiten der junge Kaiser Otto II. die Zügel in ihrer Hand lassen zu wollen schien. Der Hohentwiel war ihre Residenz, sie gebot über das Hegau, samt dem Hochstift Konstanz und den Klöstern am See. Bald freilich besann sich der Kaiser anders und verlieh das Herzogtum Schwaben seinem Neffen und Jugendgenossen Otto, zum großen Zorn Heinrichs von Bayern, der Herzogin Hadwigs Bruder war. Sie aber nahm nicht teil an dessen Kämpfen gegen Kaiser und Herzog, sondern blieb auf ihrem Witwensitz Hohentwiel im Genuß von allerhand Rechten und Befugnissen, die ihr der Kaiser verliehen hatte, und es ist wohl denkbar, daß in solchem Stillleben die aus dem ersten Kapitel des „Ekkehard“ bekannte Stimmung der Langeweile über sie kam und die folgenschwere Fahrt zum St. Galler Kloster veranlaßte.

„Als diese Witwe,“ fährt Ekkehard IV. fort, „einst den heiligen Gallus aufsuchte, um zu beten, nahm sie unser Abt Burkard als seine Nichte festlich auf und wollte ihr Geschenke machen; sie aber sagte, sie wolle kein anderes Geschenk haben, als daß er ihr den Ekkehard auf einige Zeit als Lehrer nach Hohentwiel überlasse.“

Einige Seiten früher sagt er von seiner Absicht, diesen Ekkehard zu schildern: „Ich beginne damit ein schweres Werk, denn ich fürchte, man wird mir nicht glauben, weil es jetzt gar keine solchen Männer giebt oder doch nur sehr wenige. Er war so schön von Angesicht, daß die Leute, welche ihn ansahen, um seinetwillen stehen blieben, wie auch König Otto der Rote von Sachsen[4] über ihn sagte: ‚Niemals hat einem die Kutte des heiligen Benedikt vornehmer gesessen.‘ Er war von hoher Gestalt, einem Kriegsmann ähnlich, von gleichmäßigen Wuchs und funkelnden Augen ... Weisheit und Beredsamkeit hatte er wie der Beste seiner Zeit. In blühender Jugend freute ihn mehr der Ruhm als die Demut ... aber später war das nicht so, denn die Zucht, welche keinen Stolz leidet, wurde an ihm sehenswert. Er war ein guter und strenger Lehrer, denn als er bei dem heiligen Gallus beiden Schulen vorstand, wagte niemand außer den kleinen Bürschchen, mit den Gespielen ein anderes Wart zu sprechen als nur Latein, und die er zu ungeschickt für das Studium fand, beschäftigte er mit Abschreiben und Buchstabenzeichnen. In beidem war er selbst sehr geschickt, besonders in großen Anfangsbuchstaben und in der Vergoldung. In der Wissenschaft aber unterrichtete er gleich sorgfältig die aus dem Mittelstand und die Vornehmen. Mehrere seiner Schüler

sah er selbst noch als Bischöfe, wie einst zu Mainz im Concilium,

  1. Es waren Verschiedene dieses Namens nacheinander in St. Gallen.
  2. von Bayern.
  3. Konstantin Porphyrogennetus ist hier gemeint. Indessen widersprechen dem die Thatsachen seines Lebens zu sehr. Es könnte nun sein Sohn Romanus gewesen sein, allein von einer Absicht desselben auf Hadwig von Bayern ist nichts bekannt. Solche ziemlich starke Ungenauigkeiten haben dem guten Chronisten Ekkehard IV. das Mißtrauen einer strengen Geschichtskritik eingetragen. Faßt man aber ins Auge, daß er erst nach dem Jahre 1040, also 50 Jahre nach Frau Hadwigs Tode schrieb, so wird man ihm die chronologischen und sonstigen Irrtümer nicht allzu hoch anrechnen dürfen. In der Hauptsache wird ihn die Klosterüberlieferung wohl zutreffend berichtet haben.
  4. Kaiser Otto II.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_364.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2020)
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