Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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mit seinem Siegesbrunnen und seinem Händeldenkmal hinwegschaut. Da erscheinen sie wieder, die reizenden Ansichten am Strom entlang, die Bergschenke gegenüber Giebichenstein, das Saaleschlößchen, die Felsenburg bei den Saalefelsen und wie die lieblichen, meist auch „trinkbaren“ Stätten alle heißen. Als eine Erinnerung aus alten Tagen ragt der „runde“ oder „Leipziger Turm“ in die Gegenwart herein; ein besonders stattliches Denkmal der Vergangenheit aber, die künstlerisch und geschichtlich gleich bedeutsame Moritzburg, wird nicht nur bei der Jubelfeier selbst von festlichem Getriebe widerhallen, sie ist auch berufen, künftig mehr als bisher in den Dienst der akademischen Jugend gezogen zu werden. Die Magdalenenkapelle, die alte Burgkirche, wird zu einem Universitätsgotteshause hergerichtet und innerhalb der Burg sollen Reit-, Turn- und Fechthallen angelegt werden, dem ganzen Bau zugleich Sicherheit für seine würdige Erhaltung gewährend. So wird die heilige Elisabeth mit den Rosen, deren Bild über dem Haupteingang zur Moritzburg thront, wieder wie einst dem Klingen und Klirren ritterlicher Spiele lauschen.
Der Halleschen Hochschule aber wünschen wir, daß sie noch lange blühen möge als ein Hort deutschen Geisteslebens, als eine jener befruchtenden Quellen, von denen der Segen ausströmt auf die jüngeren und älteren Zeitgenossen und die kommenden Geschlechter.
Das Trinken auf Ausflügen.
In dem Steuerjahre 1892/93 haben die Deutschen 5 Milliarden 456
Millionen Liter Bier getrunken. Gegen das Vorjahr hat der
Bierverbrauch zugenommen, und diese Zunahme war in einigen Staaten recht
bedeutend, betrug sie doch in Württemberg 14,3 und in Bayern 7,9 Liter
auf den Kopf der Bevölkerung. Wir haben keinen Grund, über diese
Erfolge des Königs Gambrinus uns zu freuen. Als im vorigen Herbste
die deutschen Naturforscher und Aerzte in Nürnberg tagten, hielt Professor
Adolf Strümpell einen überaus lehrreichen Vortrag über die Alkoholfrage
und wies dabei mit besonderem Nachdruck auf die Gefahren hin, welche
ein übermäßiger Biergenuß der Gesundheit bereitet.
Nichts ist vom ärztlichen Standpunkt aus falscher, so etwa lauteten die Ausführungen des erfahrenen Arztes, als zu glauben, daß die zunehmende Verdrängung anderer alkoholischer Getränke durch das Bier den verderblichen Einfluß des Alkoholismus vermindern werde, daß letzterer seine Opfer vorzugsweise nur in denjenigen Ländern finde, wo der Branntwein einem auf niedriger Kulturstufe stehenden Volke helfen soll, seine Armut und seine Not zu vergessen. Nein, unter der täuschenden Maske eines scheinbar wohlschmeckenden und dabei noch nahrhaften Genußmittels hat der Alkohol seinen verderblichen Eingang gefunden in Kreise, die ihm sonst vielleicht ganz verschlossen geblieben wären.
Während schon das Wort „Schnaps“ in guter Gesellschaft ungern genannt wird, während man mit dem Begriff eines Branntweintrinkers überall den Gedanken an einen sittlich verkommenen, seinem geistigen und körperlichen Verfall sich unaufhaltsam nähernden Menschen verbindet, herrschen über den Biergenuß fast allgemein Ansichten, welche jeder vernünftigen und vorurteilslosen ärztlichen Ansicht zuwiderlaufen.
Was einen überreichlichen Biergenuß gesundheitsschädlich macht, ist nicht allein die dem Körper zugeführte Menge des Alkoholgiftes. Durch das Biertrinken wird der Körper mit verhältnismäßig großen Massen von Flüssigkeit überschwemmt. Die Blutmenge eines gesunden Erwachsenen beträgt etwa 5 kg oder 5 Liter; daraus erhellt aber, wie ungemein der Körper bei einem Biergelage mit überflüssigen Wassermassen belastet wird. Zwei Organe müssen vor allem das gestörte Gleichgewicht wiederherstellen, das Herz und die Niere, und beide sind auf die Dauer nicht imstande, die ihnen zugemutete Arbeitsleistung ohne Schaden zu bewältigen; beide erkranken, und „Bierherzen“ sowie „Biernieren“ kommen leider unter der biertrinkenden Bevölkerung immer häufiger vor.
Namentlich die Belastung des Herzens muß zu ernsten Besorgnissen Anlaß geben, denn immer mehr wird es klar, daß unser Kulturleben die Entstehung von Herzleiden, namentlich aber die krankhafte Herzvergrößerung ungemein begünstigt. Schon die angestrengte körperliche Arbeit, die Aufregungen, die mit dem scharfen Kampfe ums Dasein verbunden sind, legen den Grund zu diesem schlimmen Leiden, und ebenso wird es durch das Gegenteil, durch zu viel Ruhe des Körpers, durch sitzende Lebensweise gefördert. Darum werden von der Krankheit alle Stände des Volkes befallen und mit Recht hat man sie auf dem jüngsten medizinischen Kongreß in Rom eine „Kulturkrankheit unserer Zeit“ genannt.
Es ist schwierig, ja oft unmöglich, ein krankes Herz wieder gesund zu machen; wir sollten darum mit aller Kraft dafür sorgen, daß die Herzschwächung nicht eintritt oder wenigstens keine weiteren Fortschritte macht. Allerdings ist auf diesem Gebiete in wissenschaftlicher Beziehung noch viel nachzuholen, denn die Hygieine des Herzens ist gegenüber derjenigen anderer Organe wie z. B. der Lungen und der Sinneswerkzeuge noch sehr vernachlässigt. Um so wichtiger ist es deshalb, daß die bereits bekannt gewordenen Schädigungen des Herzens vermieden werden.
Für die große Zahl der Stadtmenschen, die mehr oder weniger zur sitzenden Lebensweise verurteilt sind, bilden körperliche Uebungen und Ausflüge ein treffliches Mittel zur Beseitigung aller Blutstockungen und zur Stärkung des Herzens. Leider aber werden kürzere Spaziergänge und längere Ausflüge nur zu häufig mit einem unmäßigen Trinken verbunden, gestalten sich zu Bierreisen in die umliegenden Dörfer. Das Bier bildet bei dieser Gelegenheit nicht allein ein Genußmittel, sondern es ist einfach als Mittel zum Löschen des Durstes an Stelle des Wassers getreten. Durch die Verbreitung der bakteriologischen Lehren über die Uebertragung verschiedener Krankheiten durch schlechtes Trinkwasser sind viele Menschen geradezu wasserscheu geworden und hüten sich wohl, namentlich in kleinen Ortschaften, Wasser aus fremden Brunnen zu trinken. So sehen sie sich auf Ausflügen nach einem anderen Getränk um, und überall drängt sich ihnen das Bier auf. Bier ist überall, selbst in der kleinsten Dorfschenke, zu haben, während der Kaffee nicht immer bereit dasteht und auf Bestellung nur zu oft in recht unzulänglicher Beschaffenheit verabreicht wird, Mineralwässer dagegen infolge ihres Gehaltes an Kohlensäure nicht immer gut bekommen und außerdem verhältnismäßig teuer sind. Es ist nicht anders: man ist auf Ausflügen geradezu auf das Bier angewiesen.
Dabei löscht das Bier den Durst sehr unvollkommen; man könnte eher sagen, daß es ihn erregt, und so sieht man sich genötigt, wenn man einmal angefangen hat, dem einen Glase ein zweites und diesem ein drittes oder noch weitere folgen zu lassen. Bei einer derartigen fortgesetzten Ueberschwemmung des Körpers mit Flüssigkeit wird jede Entlastung und Stärkung des Herzens durch die Bewegung im Freien wieder völlig aufgewogen. Leider schließt sich auch die Jugend dem Beispiel der Erwachsenen an, und sommerliche Ausflüge werden für sie zur Vorschule des Biertrinkens.
Und doch giebt es ein einfaches Mittel, durch das wir uns von der Tyrannei des Bieres auf längeren Ausflügen befreien können. Man führt eben eine Feldflasche mit, die zu Hause mit gutem Trinkwasser, das mit etwas Citronensäure versetzt ist, oder mit leichtem Kaffee gefüllt wird. Das sind Getränke, die in ausgezeichneter Weise den Durst löschen; oft genügt ja auch eine Ausspülung des Mundes mit Wasser, um das Durstgefühl für lange Zeit zu bannen. Kehrt man alsdann im Wirtshaus oder Biergarten ein, so trinkt man sein Glas Bier als Genußmittel, fühlt aber kein Bedürfnis, seinen Körper unmäßig mit Flüssigkeit zu beladen.
Leider erscheint das Mittel vielen zu einfach, so daß sie davon
keinen Gebrauch zu machen belieben. Wer aber ein wenig nachdenkt, der
wird auf Ausflügen sicher weniger trinken, um durch die Bewegung im
Freien nicht nur den Stoffwechsel anzuregen, der Lunge frische Luft
zuzuführen, sondern auch das fleißige, Tag und Nacht arbeitende Herz zu
entlasten. C. F.
Die verlorene Tochter.
(Schluß.)
Schöneberg ahnte nicht, wie sehr er seinen Schwager und Frau
Ida durch seine Zeitungsneuigkeiten störte. „Wieder in einer
Woche fünf Selbstmorde,“ rief er. „Die reine Epidemie!“
Opitz nickte nur. Dann seufzte er. „Man wird das Junggesellenleben satt. Alles muß seine Zeit haben. Können Sie mir das verdenken?“
„Was, Herr Opitz?“ fragte Ida.
„Ich sagte es ja. Die Freiheit ist ganz schön, aber immer allein … und ich bin im Grunde ein Mensch, der sich gern anschließt. Fragen Sie meine Schwester!“
„Ach – Sie denken wirklich ans Heiraten?“
„In der Hagenbeckschen Menagerie ist ein Löwe ausgebrochen,“ teilte Schöneberg mit. „Sie haben ihn aber wieder,“ fügte er zur Beruhigung hinzu.
„Freut mich,“ bemerkte Opitz ärgerlich. „Nicht so wild ’rein, Frau Ida, wie ein jünger Sausewind, sondern nach gehöriger Erwägung und Herzensprüfung.“
„So haben Sie schon eine Wahl getroffen? Da bin ich doch neugierig.“
„Werde Ihnen schwerlich ’was Neues erzählen, Frau Ida – ha ha!“
Sie sah lächelnd von der Arbeit auf. „Neulich standen Sie so lange vor meinem Schaufenster. Da suchten Sie wohl schon etwas für die Künftige aus.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_382.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)