Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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schalteu sie über diese Roheit. Und was hätte der Richtmann mit dem Ertrunkenen zu schaffen?
„Ertrunken? So? Ich mein’ aber schier: der hat keinen Laut mehr gethan noch eh’ er hat Wasser schlucken müssen . . .“
Mit eisernem Griff umklammerte Wicho den Arm des Schwätzers.
„Ach so? Weißt Du auch schon davon? Und ich soll den Schnabel halten, gelt?“ lachte der Hanetzer. „Aber wenn ich schweigen könnt’, hätt’ er mich ja zum Thing gerufen, der gute Richtmann! Jetzt, ja, jetzt soll ich auf einmal wortfest sein! Meintwegen ... so lang’ ich nicht reden muß!“ Er riß sich los und ging seiner Wege. Die Leute schüttelten die Köpfe und sahen sich mit scheuen Augen an. Einer um den andern schlich davon, und Wicho stand einsam bei der Leiche; er streckte die Hände, als wollte er den Toten wieder zurückschleudern in das Wasser, das ihn ausgeworfen; aber ein Grauen faßte ihn, und den Arm vor die Augen drückend, wandte er sich ab.
Keuchenden Laufes erreichte er die Seelände und hörte von weitem schon die Beilschläge, die aus der Hofreut des Fischerhauses klangen. Der See war über die Ufer getreten und reichte bis zum Thor. Sigenot, Eigel, Kaganhart und der alte Senn schlugen neben dem Lugaus die Pfähle, um in doppelter Wand den Hag zu erhöhen; der Regen störte sie nicht bei der Arbeit. Unter dem vorspringenden Hausdach saß Hilmtrud und entblätterte die Buchenruten für das Flechtwerk.
Als Sigenot den Knecht erblickte, sprang er vom Lugaus nieder und riß das Hagthor auf. Wicho nickte nur einen stummen Gruß und schöpfte Atem. Eigel und Kaganhart wollten die Arbeit verlassen, doch Sigenot winkte ihnen zu, daß sie bleiben möchten. „Wie seid Ihr hinaufgekommen?“ fragte er leise.
„Nicht gut, nicht schlecht. Es war ein schiecher Weg durch Nacht und Schnee. Und unter dem Eismann hat der Bidem eine Fragel[1] aufgerissen, klafterbreit ... wir haben sie weit umgehen müssen. Deiner Schwester ist das Steigen hart geworden, aber der Ruedlieb hat sie gestützt und gehoben in rechter Lieb’, und alleweil’ noch, in Not und Müh’, hat sie ihm zugelacht.“
Sigenot atmete auf. „Sie ist in treuer Hut! Wüßt’ ich nur auch die Mutter an sicherem Platz, so hätt’ ich keine Sorg’ mehr. Aber sie will ihren Herd nicht lassen . . .“ seine Blicke suchten das Kreuz, „und will kein rechtes Vertrauen haben zu dem guten starken Helfer.“ Er legte die Hand auf die Schulter des Knechtes. „Den heutigen Nachtweg will ich Dir vergelten. Laß uns festhalten am guten Recht der Klosterleut’ . . . und kehrt die Ruh’ wieder ein, so sollst Du ein freier Mann sein, und ich selber bau’ Dir das Haus, in dem Du sitzen sollst am eigenen Herd.“
Eine brennende Röte flog über das Gesicht des Knechtes, und seine Augen leuchteten; doch er schüttelte den Kopf. „Ich bleib’ bei Dir! Und fortjagen wirst mich nicht!“
Sigenot lächelte. „Wir reden noch drüber, mein’ ich. Jetzt geh’ in Deine Kammer, leg’ trockenes Häs an und laß Dir die Ruh’ gut schmecken!“
„Ruh’, Herr? Ein andermal, aber heut’ nimmer. Blut lauft um, und das Wasser hat einen Schrei wider uns gethan!“ Mit hastigem Flüstern erzählte Wicho, was er im Untersteiner Forst gesehen und gehört.
Sigenot nickte vor sich hin. „Heut’ oder morgen . . . Blut will sein Recht haben! Die Red’, die der Hanetzer gethan, wird umgehen und wachsen, bis ihr Hall hineinschreit in Wazemanns Fenster.“ Mit ernsten Augen blickte er durch den grauen Regen empor zur Höhe der Falkenwand und faßte den Griff des Messers. „Schließ’ hinter mir das Thor, Wicho, ich hol’ die Richtmannsleut’ in meinen Hag!“ Wie er war, ohne Mantel und Kappe, nur mit dem Messer bewaffnet, verließ er die Hofreut.
Als Wicho zum Lugaus kam, umdrängten ihn die Männer in Neugier und Sorge. Er berichtete, was geschehen; der alte Senn brummte ein paar Worte in seinen Bart, Kaganhart stand mit offenem Mund und scheuen Augen, Eigel aber griff zur Arbeit und lachte wie ein junger Bursch, dem der Vater sagt: „Schaff’, Bub’, und bist Du fertig, so geh’ zum Tanz!“ Wicho streifte mit beiden Händen die Nässe von seinem Gewand und faßte Sigenots Beil. Dumpf klangen im Rauschen des Regens die wuchtigen Schläge, mit denen die Männer die schweren Pfähle in den Grund trieben.
Nach einer Weile verließ Kaganhart den Lugaus; er that, als müßte er seinem Weib bei der Arbeit helfen. Aber Hilmtrud sah ihn verwundert an. „Geh’ weiter und schaff’,“ sagte sie, „ich werd’ mit den Ruten schon selber fertig.“ Er schüttelte den Kopf, griff nach einem Ast, und während er die Blätter abstreifte, flüsterte er: „Trudli! Da wird uns der Boden heiß unter den Füßen. Ich mein’, auf ebenem Feld wär’ bald ein besseres Weilen als unter dem Dach da!“
Sie gab keine Antwort, nur ihre funkelnden Augen glitten an ihm auf und nieder; doch als er Wichos Botschaft wiederholte, sprang sie auf und ballte die Fäuste. „Recht so! Geht’s endlich an ein Raiten! Lieber heut’ als morgen!“
„Aber Weib, Weib!“ stotterte er und suchte sie niederzudrücken auf die Hausbank. „So nimm doch Verstand an und laß Dir sagen . . .“
Sie schüttelte ihn von sich ab. „Bist Du auch noch ein Mannsbild? Du? So geh’ doch hinein zum Feuer, Büebli, und koch’ Dir ein Mus ... ich such’ mir derweil einen Prügel aus für den da droben, der soll ihm heiß machen, heißer, als mir gewesen, wie mein Haus in Glut gefallen ist!“ Mit ungestümen Händen wühlte sie in dem Haufen der Aeste und zog einen knorrigen Strunk hervor.
Seufzend kratzte sich Kaganhart hinter den Ohren und schlich zum Lugaus zurück. Unwillig griff er bei der Arbeit zu, und immer glitten seine furchtsamen Augen hinaus zum Falkenstein.
Wie ein grauer Schleier hing der Regen vor Wazemanns Haus. Im Burghof ließ sich kein Laut vernehmen; das Geflügel saß unter den Vorsprüngen der Stalldächer, die Hunde lagen in ihren Hütten, ein Pfau hatte sich in die Vorhalle geflüchtet und putzte die nassen Federn. Nur die Raubtiere, die im Stangenkäfig dem Regen schutzlos preisgegeben waren, trabten in ihrem Verließ auf und nieder, schüttelten die triefenden Felle und knurrten.
Rimiger, der mit Otloh aus der Falkenkammer trat, spähte durch den Regen empor nach den umnebelten Berghöhen. „Willst Du mit?“ fragte er.
„Wohin?“
„Ich steig’ zu Berg. Ich kann’s nimmer mit ansehen, wie der Vater sitzt mit langem Gesicht und Fliegen fangt, statt daß er Fäust’ macht und dreinschlagt.“
„Ich kann’s ihm nicht verdenken,“ meinte Otloh, und seine Stimme hatte scheuen Klang. „Wider einen Heiligen, der geschlossene Thüren aufblast und durch Mauern geht, ist ein übles Streiten.“
Rimiger lachte. „Ich mein’, ich kenn’ den Heiligen, der die Vögel hat fliegen lassen.“
Erschrocken blickte Otloh den Bruder an. „Rimiger!“
„Schweig’! Ich red’ nicht weiter. Ich will unter unserem Dach keinen Streit wecken, von dem ich nicht weiß, welch ein End’ er nimmt. Ich steig’ zu Berg . . . so hab’ ich den Aerger los und muß den Vater nicht sehen, wie er im Teig sitzt! Willst Du mit?“
„Kennst Du des Vaters Spruch nicht: Naß Gejaid hat lützel Freud’?“
„Schau’ hinauf, es lichtet in der Höh’! Droben muß Schnee liegen ... der treibt die guten Böck’ aus dem Gewänd’. Ich mein’, wir werfen ein paar.“
„Meinethalben, so geh’ ich mit.“
Sie suchten ihre Kammer, und eine Weile später verließen sie, um gegen den König Eismann aufzusteigen, durch die hintere Mauerpforte den Burghof, in dicke Kotzen gehüllt, die Bogen und Federeisen in ledernen Scheiden verwahrt. Als der Knecht, der die Pforte geöffnet, hinter ihnen die schwere Thüre zuwarf, erschienen, wie von diesem Lärm gerufen, Henning und Eilbert in der Vorhalle.
„Ist der Knecht heimgekommen?“ rief Henning mit halblauter Stimme über die Freitreppe herunter.
Der Gefragte schüttelte den Kopf und sagte, daß die Brüder zu Berg gestiegen wären. Henning nagte an seinem Schnurrbart und ballte die Fäuste. „Ich kann mir anderes nimmer denken ... er hat zu viel gewagt und ist dem Fischer in die Händ’ gefallen.“
„Dann ist er Fischfutter worden!“ lachte Eilbert.
„Da hilft kein Schweigen mehr, jetzt müssen wir es dem Vater sagen.“
Eilbert zuckte die Achseln. „Mit dem ist heut’ ein schlechtes Reden, ich verbrenn’ mir das Maul nicht.“ Und gähnend trat er ins Haus.
Wie grauer Dunst füllte das Zwielicht des Regentages die
- ↑ Spalt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_394.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2021)