Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Herrenstube. Ueberall lag Gerät umher, als hätt’ es eine zornige Hand durcheinander geworfen, und auf dem Spanbett waren die Polster und Decken zerknüllt. Bei einem der Fenster saß Herr Waze mit aufgestütztem Arm, das blaurote Gesicht auf die Fäuste gestützt, ins Leere stierend. Neben dem Sessel stand eine zinnerne Kanne auf dem Boden, dicke Mettropfen hingen an Wazes grauem Bart, und sein verwüstetes Gewand war übel anzusehen.
Henning trat auf ihn zu. „Vater . . .“
„Ruh’ will ich haben!“ schrie Herr Waze und sprang auf; dabei stieß er die Kanne um, daß der Met über die Dielen rann. Zornig schleuderte er sie mit dem Fuß von sich, durchmaß die Stube und warf sich auf das Spanbett. Eilbert, der hinter dem Ofen saß, lachte vor sich hin, und Henning stand unschlüssig, was er thun sollte. Nach einer Weile ging er zum Bett, packte seinen Vater am Arm und rief, als hätte er einen Tauben vor sich: „Hör’ oder hör’ nicht . . . aber sagen muß ich Dir’s: der Fischer hat uns einen Knecht geworfen!“
Da schoß Herr Waze in die Höhe, als wäre Feuer auf seinem Lager, und in wilder Freude schrie er: „Bub’, das ist gute Botschaft! Mag der Knecht hin sein ... aber jetzt hab’ ich doch einen, an dem ich meine Gall’ auslassen kann! Wart’, Fischer, wart’! Ich will mir Sühn’ holen für meinen Knecht! Das ist Recht und Gesetz, da kann sich auch der Pfaff und sein Heiliger nicht dagegen stellen . . . das ist Recht und Gesetz, daß ich Buß’ verlang’ für meinen Knecht! Den Blutbann über das Fischerhaus! Red’, Bub’, red’ – wie war’s mit dem Knecht?“ Seine Freude erhielt einen Dämpfer, als er hörte, was Henning zu sagen wußte. Aber seine Lebensgeister waren aufgerüttelt; das bekam als erster Henning zu fühlen über den die Schimpfworte niedergingen wie draußen über das Dach der Regen. Dann kam Eilbert an die Reihe, welchem Henning die Schuld gab, daß der Vater nicht am Morgen schon von der Sache erfahren hätte. „Hätt’ ich’s am Morgen gehört, so hätt’ ich jetzt schon den Beweis in meiner Hand!“ schrie Herr Waze, daß die Thüren zitterten vom Hall seiner Stimme. „Aber ich muß ihn habeu, noch eh’ der Tag vergeht! Rimiger! Wo ist Rimiger? Her mit ihm!“ Als er hörte, daß Rimiger mit Otloh zur Jagd gezogen wäre, schlug er in schäumendem Zorn die Fäuste auf den Tisch. „Der einzig’, auf den ich mich verlassen kann! Und der lauft davon, jetzt, wo ich ihn brauch’! Jahr aus und ein liegt mir das ganze Rudel an der Schüssel . . . und brauch’ ich einen, so geht der Gauch seine eigenen Weg’!“
Weder Henning noch Eilbert noch einer der drei anderen Brüder, die das Geschrei aus der Kammer gerufen hatte, wagte ein Wort zu erwidern. Herr Waze, dem der Atem ausgegangen, warf sich auf einen Stuhl und schob die Fäuste über den Tisch. Mit heiseren Lauten sprach er vor sich hin: „Der Knecht ist weg und abgethan, sonst wär’ er heimgekehrt! Wer hat ihn geworfen? Wer sonst als der Fischer? Er muß es gethan haben, er muß! Ich will ihn haben! Ich will! Aber ich muß den Rechtweg gehen ... ich spür’ eine Faust im Genick, die keiner sieht!“ Schwer atmend schielte er nach dem Kreuz, das an der Mauer hing. Lange schwieg er. Endlich erhob er sich, schnallte den Ledergurt an seiner Hüfte fester, riß einen Wildfänger von der Wand und schob ihn in das Gehäng des Gürtels. „Henning!“
„Ja, Vater.“
„Nimm zwei Knecht’ und zieh’ gegen den Untersteiner Forst. Eilbert und Gerold . . . gegen die Grünsteiner Halden. Sindel mit Hartwig und einem Knecht . . . gegen die Schönau. Haltet Umfrag’ nach dem verlorenen Mann, und findet ihr einen, der nur ein einzig Wort wider den Fischer zu reden weiß, so schafft mir den Zeugen her in mein Haus! Bei dem Fischer halt’ ich selber Anfrag’. Also weiter!“
Die Brüder verließen die Stube. Sindel, der als letzter ging, hörte noch die Frage: „Wo ist Recka?“
„Ich weiß’ nicht!“
Herr Waze ging auf Reckas Kammer zu und wollte eintreten; doch von innen war der Riegel vorgeschoben. „Mach’ auf!“ schrie er und stieß mit dem Fuß an die Thüre. Recka öffnete. Mit einem Antlitz, fast so bleich wie das weiße Gewand, das sie trug, stand sie auf der Schwelle und sah den Vater an.
„Was sperrst Du Dich ein vor mir?“
„Nicht vor Dir! Vor jedem! Ich will allein sein, wenn ich Heimgart halt’ mit meiner Mutter.“
Zornig lachte Herr Waze; doch sein Lachen erstickte, als er in Reckas Hand den zerbrochenen Beinreif sah, den er erkannte, obwohl er ihn nicht mehr gesehen hatte seit Frau Frideruns letzten Tagen. Er wich zurück, und fahle Blässe rann über sein Gesicht. „Wie kommst Du zu dem verwünschten Knochen?“
„Ich hab’ gekramt in meiner Mutter Geschmeid’ und hab’ wieder sinnen müssen, warum meine Mutter wohl geweint hat, so oft ich das Bein in ihrer Hand gesehen hab’.“
„Das ist kein Kram für Dich, her damit!“ keuchte Herr Waze und streckte die Hand.
Mit gefurchten Brauen trat Recka zurück. „Du bist mein Vater! Nimm mir, was ich hab’ von Dir, und wär’s das Leben! Doch was ich hab’ von meiner Mutter, das halt’ ich!“ Sie legte die Hand mit dem Bein an ihre Brust.
Wazes Lippen verzerrten sich, und mit funkelnden Augen maß er die Tochter; doch er konnte ihren Blick nicht ertragen und wandte sich wortlos ab. Die Thüre schloß sich, und er hörte den Riegel klirren, während er der Vorhalle zuschritt. Vor der Schwelle blieb er zögernd stehen und murmelte: „Ich sollt’ nicht gehen heut’ . . . ich hab’ das Bein vor meinem Weg gesehen!“ Da hörte er das Wiehern und den Hufschlag seines Pferdes, das ein Knecht vor die Freitreppe führte. Er schüttelte sich und wischte mit der Hand über die Stirne. Der Wind peitschte ihm den Regen ins Gesicht, als er über die Stufen niederstieg, auf denen das Wasser rann.
Die Brüder hatten den Burghof schon verlassen. Als sie über den in einen Bach verwandelten Reitweg niederstiegen, hörten sie von der Seelände schreiende Stimmen und Rindergebrüll. „Sein Vieh ist von den Alben heimgekehrt,“ lachte Henning, „zu guter Zeit für uns! Er soll für den Knecht ein Wehrgeld zahlen, das ihn mehr noch kostet als den letzten Kuhschweif!“
Unweit der Achenbrücke trennten sich die Brüder. Henning folgte mit den beiden Knechten dem Lauf des Wassers . . .
Um die gleiche Zeit stand Sigenot in der Stube des Richtmanns, um ihn her das Gesinde, die beiden Mägde bleich und zitternd, die vier Knechte mit ernsten Gesichtern. Sie hatten erfahren, was in der Nacht geschehen war und daß dem Haus ihres Herrn der Blutbann drohe. Sorgende Furcht hatte sie befallen, doch Sigenots Anblick und seine Ruhe gab ihnen Hoffnung und Zuversicht, und willig legten sie die Hände zum Treugelöbnis in seine Rechte. Rasch vollzog sich alle nötige Arbeit. Von den Vorräten, die sich im Hause fanden, wurden zwei Kraxen beladen, welche die Mägde tragen sollten; denn Sigenot meinte: „Wir Männerleut’ brauchen freie Händ’ auf dem heutigen Weg.“ Die paar Stücklein Vieh, welche in Heimweide standen, um den Bedarf an Milch für das Haus zu decken, wurden im nachbarlichen Gehöft des Köppeleckers untergebracht und sollten nach Einbruch der Dunkelheit zum Fischerhaus getrieben werden. Der heimkehrenden Almenherde des Richtmanns war Sigenot auf dem Weg begegnet und hatte sie nach seinem Hag gewiesen. An Haus ünd Ställen wurden alle Thüren vernagelt und verpflöckt, dann nahmen die Mägde die Kraxen auf, die Knechte verteilten unter sich, was sie im Haus an Waffen und Aexten gefunden, und so verließen sie die Hofreut. Sie sprachen kein Wort, aber der zottige Hund, der ihnen voransprang, bellte lustig – er war der einzige, dem der Auszug Freude machte. Sigenot schloß von innen das Thor, legte die Sperrbalken ein und schwang sich auf den Hag. Eh’ er niedersprang, glitten seine Augen über das stille Gehöft. „Der starke Herr soll Dich schützen, Du verlassener Herd, und soll Dich wahren für Deine Leut’ und meine gute Schwester!“
Unter strömendem Regen wanderten sie über die sumpfigen Aecker. Als sie am Hag des Köppeleckers vorüberkamen, huschte der Bauer aus dem Thor und flüsterte dem Fischer zu: „Such’ anderen Weg! Die Wazemannsleut’ gehen um in der Schönau . . . beim Waldhauser sind sie gewesen, und zuletzt hab’ ich sie beim Hag der Hanetzerbuben gesehen.“
Sigenot nickte vor sich hin, als käme ihm diese Botschaft nicht unerwartet, und nahm den Weg mit seinen Leuten thalwärts gegen die Ache. So hatte er wohl die Begegnung mit Sindel und Hartwig vermieden, welche in der Schönau nach dem Vermißten forschten; doch im Thal der Ache traf er mit Henning zusammen, dessen beide Knechte die von einer Kotze bedeckte Leiche auf den Speerhölzern getragen brachten, bis über die Knöchel in dem gelben Wasser watend, das die Ache über ihre Ufer goß.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_395.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2021)