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Seite:Die Gartenlaube (1894) 426.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

erstenmal trat der Fürst eines italienischen Landes, den Sehnsuchtsträumen der großen Italiener aus den vergangenen Jahrhunderten entsprechend, für ein einiges und unabhängiges Italien ein, und sein Einigungsruf verhallte nicht wieder, er war wie eine Weissagung, die einst in Erfüllung gehen sollte. Aber der Wert der That war nicht in allen Punkten zweifelsfrei; der Fürst, der sich zu ihr entschloß, war selbst ein Fremder, dem Lande, das er regierte, von außen her aufgedrungen, und sein Auftreten glich mehr dem eines verzweifelten Spielers als dem eines fürstlichen Staatsmannes. Noch war die Zeit nicht reif. Der Haß der Italiener untereinander und der Mehrzahl von ihnen gegen einen aus der Revolution emporgestiegenen Fürsten war noch zu groß, die Abneigung der europäischen Herrscherfamilien gegen einen Emporkömmling, der einen bourbonischen Thron für sich in Anspruch nahm, noch zu tief, die Ueberlegenheit der in Italien alt hergebrachten Fremdherrschaft, die jetzt und für die nächsten Jahrzehnte durch Oesterreich ausgeübt wurde, noch zu beträchtlich. Der König Joachim wurde am 2. Mai 1815 von den Oesterreichern bei Tolentino geschlagen und kehrte als ein Mann, der sein Spiel verloren hat, in seine Hauptstadt nur zurück, um sich von der Königin, die er zur Regentin eingesetzt, zu verabschieden und sein Heil in der Flucht zu suchen. Er schiffte sich mit seinem Gefolge nach Frankreich ein, während die Königin sich mit ihren Kindern nach Triest begab. Die engherzige und kurzsichtige Herrschaft der Bourbonen wurde hergestellt, König Ferdinand zog in Neapel wieder ein, und jede Spur von König Joachims Regierungszeit, die wenigstens eine gerechtere Verteilung der Staatslasten und eine verständige Rechtspflege gebracht hatte, wurde nach Möglichkeit ausgetilgt.

Murat landete gegen Ende des Monats Mai in aller Stille in Cannes und hielt sich dann meist in Toulon auf, wo ein Verwandter von ihm wohnte, ein Fregattenkapitän Bonafoux. Bei diesem konnte er, wie er meinte, ohne Gefahr den Bescheid auf seine an Napoleon gerichtete Bitte um Verzeihung abwarten. In der Zurückgezogenheit beschäftigte er sich damit, die gegen seine Politik erhobenen Vorwürfe in Zeitungen abzuwehren, ohne persönlich hervorzutreten. Auch das Gefolge hielt sich möglichst unauffällig und nahm hier und da ebenfalls in Toulon Wohnung. Zuweilen wechselte Murat seinen Aufenthalt, um der Verhaftung zu entgehen, falls Napoleon eine solche anordnen sollte. Es traf sich, daß am 18. Juni, an demselben Tage, wo bei Waterloo gekämpft wurde, bei dem im Bezirk von Toulon befehligenden Marschall Brune wirklich ein kaiserlicher Erlaß einlief, Murat zu verhaften. Brune scheute vor einem solchen Vorgehen gegen seinen alten Waffengefährten zurück. Er ermittelte sein Versteck und kam noch an demselben Tage heimlich zu ihm, um ihm von dem Befehl Kenntnis zu geben und fofortige Flucht anzuraten. Murat bat um einen Paß, damit er zur französischen Armee ins Feld eilen und durch tapferes Mitkämpfen das Vertrauen des Kaisers wiedergewinnen könne, aber Brune meinte, angesichts des Haftbefehls die Bitte nicht erfüllen zu dürfen. Der Kapitän Bonafoux, in dessen Hause der Flüchtling nun nicht mehr sicher war, vermittelte diesem darauf ein Unterkommen auf dem nicht weit von der Küste gelegenen Landhause einer Familie Marouin. Murat fand in seinem Zimmer eine jener schrankähnlichen, zweckmäßig versteckten Mauernischen, wie sie während der Revolutionszeit in vielen Häusern angebracht worden waren, um als letzte Zufluchtsstätte gegen Verfolgungen zu dienen.

Als die Nachricht kam, daß der Kaiser zum zweitenmal abgedankt und König Ludwig XVIII. die Regierung wieder angetreten habe, beschloß Murat, der bis dahin immer noch auf die Versöhnlichkeit Napoleons gehofft hatte, nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika auszuwandern, ehe die Häscher der neuen Regierung auf ihn fahndeten und sein Versteck erspähten. Es wurde eine Brigg gemietet, und Murats Gefolge, das man unter der Hand von der bevorstehenden Abfahrt verständigte, ging am 31. Juli an Bord; in der Frühe des 1. August sollte Murat selbst sich einschiffen.

In der Nacht vor dem Tage der Abfahrt übergab Murat Herrn Marouin, seinem Wirt, der sich zur Königin nach Triest begeben wollte, ein kleines französisches Buch, in das er auf eine nicht ganz bedruckte Seite die Worte geschrieben hatte: „Beruhige Dich, meine teure Karoline; obwohl sehr unglücklich, bin ich frei. Ich reise, ohne zu wissen, wohin, aber wohin ich auch gehe, mein Herz gehört Dir und meinen Kindern. J. M.“ 

Am Morgen des Abfahrtstages wartete Murat vergeblich auf das Boot, das von der Brigg ans Land geschickt werden sollte, um ihn abzuholen. Die Brigg befand sich auf offenem Meere in nicht unbeträchtlicher Entfernung vom Strande, da sie der Behörden wegen das Auslaufen von einem Hafen aus vermeiden mußte und durch die Seichtigkeit des Wassers an größerer Annäherung gehindert wurde. Es ergab sich später, daß das abgeschickte Boot sich in den tief ins Land schneidenden Einbuchtungen der Küste verirrt hatte und nach vergeblichem Suchen zur Brigg zurückgekehrt war. Marouin und sein Bruder, die ihren Schützling bis an die Küste begleitet hatten, beauftragten nun einen Fischer, ihn bis zur Brigg zu rudern. Als Murat bereits in den Fischerkahn gestiegen war, ließ er sich von Marouin noch ein Paar Pistolen zuwerfen, die er am Ufer vergessen hatte und die ihm als Geschenk seiner Gattin besonders wert waren.

Dieser Augenblick entschied über Murats ferneres Schicksal. Der Fischer schloß aus den reichen und kostbaren Verzierungen, womit die Waffen geschmückt waren, daß er eine hochgestellte Persönlichkeit, ja wahrscheinlich den Exkönig von Neapel im Boot habe, der, wie er wußte, von der Polizei gesucht wurde. Er beschloß, aus dieser Entdeckung Nutzen zu ziehen, ruderte eine weite Strecke in das Meer hinein, erklärte dann, daß ein Sturm herannahe, der ihn nötige, umzukehren, und fuhr an die Küste zurück. Des Wirtes Bruder, der allein noch an der Küste geblieben war, führte den König, da ein anderes Boot sich nicht fand, wieder in das Landhaus zurück und gab ihm den dringenden Rat, sich versteckt zu halten, da Verrat zu gewärtigen sei. In der That brachte der Fischer die Gendarmen auf Murats Spur, und sie hielten in der Villa Haussuchung, die Mauernische entzog ihn jedoch ihren Nachforschungen. Als sie sich entfernt hatten, am Morgen des 2. August, eilte Murat mit Herrn Marouin, der für ein Boot gesorgt hatte, noch einmal an die Küste. Aber der Kapitän der Brigg, der zu dem Schluß gekommen war, daß Murat entweder auf die Einschiffung verzichtet habe oder an der Einschiffung verhindert worden sei, und der aus Furcht vor französischen Küstenwächtern und Kreuzern nicht wagte, länger zu warten, war mit dem Gefolge bereits abgesegelt. Für Murat bedeutete die Abfahrt der Brigg neben aller andern Verlegenheit einen erheblichen Geldverlust, da er einen gegen 100 Pfund wiegenden Sack mit Goldstücken an Bord gegeben hatte. Freilich verfügte er auch so noch über bedeutende Mittel, in einem Gürtel, den er beständig trug, befanden sich Diamanten im Wert von vier Millionen Franken.

Inzwischen war ein Preis von 40000 Franken für denjenigen ausgesetzt worden, der die Verhaftung Murats herbeiführen werde. Zwar ließen die Behörden verlauten, daß Murat sich der Ehre und Milde des französischen Königs unbesorgt anvertrauen könne; aber der Entthronte mußte, wenn er sich ergab, mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß man ihn ähnlich wie den gestürzten Kaiser an einen sehr entfernten Verbannungsort schaffen und dort in dauernder Haft halten würde. Zudem ließ sich gerade in diesen Monaten, die dem zweiten Zusammenbruch des Kaiserreichs folgten, die heißblütige Bevölkerung der französischen Südprovinzen in ihrem Hasse gegen die Vertreter des Kaiserreichs zu mancherlei Greuelthaten hinreißen, wie denn der oben erwähnte Marschall Brune zu Avignon von einer Pöbelrotte ermordet wurde, an demselben Tage, an dem Murat zum letztenmal versuchte, sich nach Amerika einzuschiffen.

Nach wochenlangem Zuwarten und Beraten verabredete Murat mit drei kühnen französischen Seeoffizieren, den mit Kapitän Bonafoux befreundeten Herren Donadieu, Blancard und Langlade, daß sie persönlich ihn in einem Segelboot nach Korsika führen sollten. Korsika lag von allen Zufluchtsstätten, die in Betracht kommen konnten, am wenigsten weit entfernt. Wurde die Insel glücklich erreicht, so durfte er, wenn sie auch unter französischer Herrschaft stand, doch hoffen, in den schwer zugänglichen korsischen Gebirgen so lange ein Unterkommen zu finden, bis die Zukunft sich günstiger für ihn gestaltet hatte und etwa durch seine Gemahlin irgendwo ein Niederlassungsrecht für ihn ausgewirkt war.

Die drei Seeoffiziere mußten bei Beschaffung eines Segelbootes große Vorsicht anwenden, um keinen Verdacht zu erregen, und so waren sie in der Auswahl beschränkt; scheinbar durfte es sich um nichts weiter als um eine Spazierfahrt handeln, nur ein kleines und ziemlich altes Fahrzeug vermochten sie aufzutreiben. Am 22. August abends um zehn Uhr gingen sie unter Donadieus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_426.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2021)
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