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Seite:Die Gartenlaube (1894) 431.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

die Seligkeit und duftig wie ein Blümelgarten! Da, riech’ nur!“ Er hob die Hand. In sprudelnden Worten erzählte er von dem wilden Immenstock, den er im Wald gefunden, und von dem Wege, den er am verwichenen Abend gethan, um den Honig auszuheben.

„Ich hab’ den Baum leicht wieder gefunden. So ’was merk’ ich mir schon. Aber wie ich dort steh’ vor dem Baum, bin ich völlig erschrocken, denn auf und auf ist die ganze Rind’ verkratzt gewesen, als wär’ einer mit Nägelschuh’ ’dran auf und nieder gestiegen. Um aller Heiligen willen, hat’s geschrieen in mir, es wird mir doch kein anderer über den Immstock gekommen sein! Aber wie ich hinaufschau’, seh’ ich die Immen klumpenweis’ am verstopften Einflug hängen. Da hat noch keiner hingerührt, hab’ ich mir gedacht und hab’ lachen müssen vor lauter Freud’. Jetzt freilich ...“ Bruder Wampo schnitt eine jammernde Grimasse und nahm sein Köpflein in beide Hände, als säß’ es ihm nach dem überstandenen Schreck noch immer nicht richtig auf den Schultern, „jetzt freilich weiß ich, wer meinen Immstock heimgesucht hat!“

„Wer denn?“

„Wirst schon sehen, wart’ nur ein’ Weil’!“ Bruder Wampo schöpfte Atem und blies die Backen auf. „Also, daß ich erzähl’ ... ich hab’ gleich an einem Stecken den Kienspan angezunden und hab’ die Immen abgebrannt vom Loch. Nachher bin ich hinaufgestiegen ... es hat ein lützel Beißen gekostet! Wie ich droben gesessen bin auf dem Ast, hab’ ich mich schön langsam ausgeschnauft und hab’ mir aus Reisern ein Dachl über dem Kopf gemacht, weil mir der Regen über den Buckel geronnen ist, als thät’ man aus dem Schaffl gießen. Nachher hab’ ich den Holztiegel vom Gurt genommen und hab’ angefangen.“ Er schnaufte und fuhr mit der Zunge über die Finger. „Ich sag’ Dir, Bruder, der ganze Baum ist hohl gewesen, kein Sumserlein hat sich mehr im Stock gerührt, und wie ich hineingreif’, spür’ ich, daß eine Waben neben der andern hängt, dick und fett. Einen Schnalzer hab’ ich mit der Zung’ gethan vor lichter Freud’ und hab’ geschafft, daß ich schwitzen hab’ müssen. Eine Waben um die ander’ hab’ ich gehoben und hab’ den Honig ausgedruckt, daß der Tiegel bald übergelaufen wär’! Aber wie ich in der besten Arbeit bin ... Bruder, da hör’ ich auf einmal unter mir ein Tappen und Kraspeln. Wer kommt denn da? denk’ ich und schaue hinunter ... aber ich hab’ gemeint, es fallt mir vor lauter Schreck die Zung’ in den Hals!“

„Ja warum denn?“

„Unter mir, denk’, Bruder, unter mir steht ein Endstrumm Bär, ein Kerl wie ein Ochs, und schaut so schief herauf zu mir, als möcht’ er sagen: gehst herunter oder nicht!“

„Ich mein’ aber schier, Du bist droben geblieben?“ fiel Schweiker ein, halb in Sorge und halb erheitert, er sah ja den Bruder heil und gerettet vor sich auf der Erde sitzen.

„Droben geblieben? Wohl wohl, aber gar nicht lang’!“ Immer flinker sprudelte Wampos Rede, jede Empfindung, die er bei dem Abenteuer durchlebt, malte sich in seinem beweglichen Gesicht, und seine Hände arbeiteten so hastig, daß er zwanzig Finger zu haben schien. „Ich hab’ Dir Augen gemacht, Augen, Bruder ... und all’weil’ hab’ ich hinuntergeschaut auf das wüste Vieh wie die arme Seel’ auf den Teufel, der mit dem Hackl kommt. Ich weiß nicht, hat’s einen Schnaufer lang gedauert oder eine Ewigkeit ... aber nicht weg ist er gegangen und einen Brummer nach dem andern hat er gethan. Ausgeschaut hat er, ausgeschaut! Das ganze Fell verzaust, als hätt’ man ihm die Haar’ schüppelweis’ aus dem Pelz gerissen. Den ganzen Grind hat er voll blutiger Schrammen gehabt, und um alle vier Tatzen herum ist er schäbig gewesen, als hätt’ er schon einmal merken müssen, was Schlingen sind! Und so steht er und brummt herauf zu mir ... und auf einmal hebt er sich in die Höh’ und packt den Baum an!“

„O Du gütiger Himmel!“ stotterte Schweiker. „Was hast Du denn da gethan?“

Bruder Wampo mußte schlucken, um die Sprache wieder zu finden; der Atem war ihm ausgegangen. „Was ich gethan hab’? Das weiß ich heut’ selber nimmer! Ich weiß nur noch, es hat jählings unter mir einen Krach gethan, der Ast ist wurzweg vom Baum gebrochen, und mit mir ist’s hinuntergegangen wie ein Sauser. Aufgefallen bin ich ... Bruder! ... das hat einen Plumpser gemacht, als hätt’ der Bidem ein Trumm Stein vom Berg geworfen! Aber hinfallen und aufspringen, das ist eins gewesen. Alle Heiligen und Gottes Gerechtigkeit hab’ ich angerufen, hab’ meinen Honigtiegel festgehalten, als wär’ meine Seel’ drin, und hab’ ein Laufen angefangen, ein Laufen, Bruder, daß nur meine Füß’ so geflogen sind! Und wie ich lauf’ und lauf’, hör’ ich auf einmal Küh’ brüllen im Wald und hör’ Leut’ schreien – ich schau’ mich um, und da lauft der Bär hinter mir nach, und wo ich ein Tröpfl Honig verschüttet hab’, macht er mit der Zung’ einen Schlecker über den Boden ... ich will wieder rennen, aber meine Kräft’ haben ausgelassen, und auf die letzt’ bin ich dagestanden wie angewachsen und hab’ geschnackelt an Händen und Füßen ...“

„Ja warum hast denn nicht um Hilf’ geschrieen, wenn doch Leut’ in der Näh’ gewesen sind?“

„Hilf’ schreien! Hilf’ schreien! So ’was!“ schalt Bruder Wampo in hellem Aerger. „Schrei’ Du um Hilf’, wenn Dir kein Schnaufer mehr aus dem Hals will! Und eh’ ich mich recht besonnen hab’, ist ja der Bär schon dagewesen ...“

Erschrocken schlug Schweiker die Hände zusammen. „Er hat Dich doch um Gotteswillen nicht angepackt?“

„Angepackt? Ja, schön! Bei den Füßen hat er zu schlecken angefangen und hat an mir heraufgeschleckt, bis er zum Tiegel gekommen ist! Ein ganzes Loch hat er mir aus der Kutt’ gefressen ... da schau’ her!“

Schweiker brach in helles Gelächter aus, während Bruder Wampo den fransig ausgeknusperten Saum der Kutte hob.

„Jetzt ist mir die Sach’ aber doch zu dick geworden! Was ich geschrieen und gebetet hab’, weiß ich nimmer ... aber ich hab’ den Honigtiegel gehoben und hab’ ihn dem wüsten Vieh auf den Schädel gehauen, daß es nur so gescheppert hat! Mit all zwei Tatzen hat der Bär den Hafen gepackt und ist hineingefahren mit der Schnauz’ ... ich aber hab’ wieder zu laufen angefangen, bin halbtot zur Klaus’ gekommen und hab’ in meiner Angst vor die Thür hingeworfen, was mir in die Händ’ geraten ist! Der Schnaufer ist mir ausgegangen ... wie ein Stückl Holz bin ich hingefallen übers Bett und hab’ keinen Rührer mehr gethan.“

Schweiker lachte, daß ihm die Thränen kamen, doch plötzlich verstummte er. Eberwein stand auf der Schwelle. Bruder Wampos jammernde Stimme hatte ihn geweckt, und durch die offenen Thüren hatte er jedes Wort vernommen, aber das wunderliche Abenteuer konnte ihn nicht lächeln machen. Wie mit scharfem Griffel war ihm die stumme Sprache schmerzvoller Bitternis in das Antlitz geschrieben, seine Züge waren müde und bleich, und dunkle Ringe lagen um seine brennenden Augen.

„Guter Herr!“ stammelte Schweiker bei Eberweins Anblick in Schreck und Sorge, während Bruder Wampo sich scheu erhob und mit dem Aermel die Honigflecken auf seiner Brust zu verwischen suchte. Schweiker streckte die Hände nach seinem Herrn, doch Eberwein wies ihn von sich. „Wo ist der Knabe?“

„Der Bub’? Ich weiß nicht,“ stotterte Wampo.

Schweiker faßte den Bruder am Arm.

„Aber Du hast mir doch in der Nacht gesagt, er wär’ beim Pater in der Zell’!“

„Ich? In der Nacht? Sterben will ich ... aber davon weiß ich kein Wörtl! Seit dem Abend hab’ ich den Buben mit keinem Aug’ mehr gesehen.“

Sie eilten in Waldrams Zelle und fanden sie leer; auf der Erde lag die Geißel, blutfleckig an Griff und Strängen. Mit bebender Stimme rief Eberwein den Namen des Knaben. Während sie nach dem Kirchlein eilten, fiel draußen vor der Klause eine schwere Masse mit dumpfem Klatsch zu Boden. Der nasse Schnee, der auf dem steilen Dach gelegen, war in Bewegung geraten und hatte im Niederfallen die Gabe der Hirtin verschüttet ...

*               *
*

Goldleuchtend, in jedem hängenden Tropfen hellen Schimmer weckend, lag die Morgensonne über allen Wäldern. Das welke Laub hatte flammende Farben, als wäre es in Brand geraten, und von den weißen Bergen ging ein Glanz aus, der die Augen blendete. Strahlend stand die Sonne am reinen Himmel, ihr Licht verstreuend in verschwenderischer Fülle, sogar die Schatten, welche sie warf, erschienen nicht wie Dunkel, sondern wie bläulicher Rauch, hinter welchem Feuer leuchtete.

Auf der Höhe des Falkensteines füllte wirrer Lärm den Burghof. Die gewappneten Knechte beluden sich mit den Pechkränzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_431.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)
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