Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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alle seine Schiffskapitäne, Barbara nicht ausgeschlossen, sind, vielleicht durch Luigi gewonnen, der Verräterei dringend verdächtig, und überwiegend durch ihre Schuld wurde Murats Unternehmen einem kläglichen Ausgang zugeführt.
Nachdem das Geschwader Murats die Wasserstraße durchsegelt hatte, welche Korsika von Sardinien trennt, wurde er bald durch widrige Winde von der Richtung nach Salerno abgedrängt und südwärts getrieben. Das war, wenn man will, nur ein Glück für ihn, denn so lief er den Oesterreichern, welche ihn erwarteten, nicht geradezu in die Arme. Aber nun veranlaßte auch entweder der Wind oder das verräterische Verhalten der Kapitäne oder beides, daß die Schiffe nicht zusammenblieben. Murat, der auf dem vom Kapitän Barbara befehligten Schiffe fuhr, sah ein Fahrzeug nach dem anderen in der Ferne verschwinden; am 7. Oktober hielten sich in der Nähe seines Schiffes nur noch zwei andere. Als auch eines von diesen verdächtige Bewegungen ausführte, ließ es Murat ins Schlepptau nehmen, aber sein Kapitän kappte das Tau in einem unbewachten Augenblicke, befahl seinen Leuten, die Ruder anzuwenden, und entkam. So hatte Murat jetzt außer dem eigenen, auf dem er fuhr, nur noch ein einziges Schiff zur Seite, und nur 28 Soldaten waren noch verfügbar. Der getreue Franceschetti riet dem Könige, von der Landung abzustehen, durch die Straße von Messina nach Triest zu fahren und den bereits zugesagten Schutz des Kaisers von Oesterreich anzunehmen, und Murat war auch nicht abgeneigt, diesen Rat zu befolgen. Aber als man nun, an der Küste von Kalabrien südwärts hinsegelnd, am Morgen des 8. Oktober auf der Höhe von Pizzo angekommen war, behauptete der Kapitän Barbara, er müsse landen, um Wasser und Lebensmittel einzunehmen. Wahrscheinlich wollte Barbara den König in einem der letzten Häfen, die für eine Landung überhaupt noch in Betracht kommen konnten, zu landen zwingen, damit er sich nicht nach Oesterreich rettete. Das kleine Gefolge war ja kaum noch gefährlich, und ohnehin hatte Murat in seinem früheren Königreiche nirgends entschlossenere Gegner als in Kalabrien, das dem König Ferdinand die eifrigsten Vorkämpfer „für Thron und Altar“ schon gestellt hatte, als Murat noch regierte. Anfangs widersetzte sich Murat der Landung, aber dann wurde ihm der Gedanke unerträglich, daß er, der den Gefahren der Schlacht so oft getrotzt, für die Wiedereroberung seiner Krone gar nichts wagen und daß er eine Fahrt, die er als Triumphator begonnen, als Schutzflehender beenden sollte. So befahl er, daß die beiden Schiffe vor Anker gingen.
Auf dem Kirchturm von Pizzo schlug es 10 Uhr, als
Murat in Generalsuniform und mit Federhut, zwei Pistolen im
Gürtel und eine Fahne unter dem Arme, das Ufer
betrat. Mit ihm landeten einige Offiziere, darunter der
General Franceschetti und der Adjutant Campana,
die 28 Soldaten und einige Diener, unter ihnen der
Verräter Luigi. Mnrat stieg, seinem Gefolge
voranschreitend, den steilen, treppenartigen
Zugang zu der kleinen Stadt Pizzo hinauf, die auf einer
etwa 100 Schritt vom Ufer entfernten und 10 Meter
über das Meer emporragenden Anhöhe liegt. Dem
Wege folgend, betrat er den Markt- und Kirchplatz des
Ortes. Es war eben Sonntag, und viele der Einwohner
standen auf dem Platze versammelt, um beim Beginn
der Messe in die Kirche einzutreten. Staunend schaute
die Menge auf die in glänzende Uniformen gekleideten
Fremden. Murat erkannte unter den Leuten einen Mann
wieder, der bei seiner Garde in Neapel als Sergeant
gestanden hatte. „Tavella,“ sagte er, ihn bei Namen
rufend, „kennst Du mich niht?“ Da jener schwieg, fuhr
er fort: „Ich bin Joachim Murat;
ich bin Dein König, Du sollst die Ehre haben, zuerst zu rufen: Es
lebe Joachim!“ Das Gefolge wiederholte diesen Ruf mit lauter
Stimme, aber der Angeredete und die übrigen Umstehenden
verharrten in Schweigen, ja es wurde bald ein Gemurmel des
Unwillens bemerkbar. Murat begriff, daß hier nicht der Punkt war,
wo er den Hebel einsetzen konnte. Er beschloß, sich nach der
nächstgelegenen größeren Stadt, nach dem eine Meile entfernten Monteleone zu begeben. „Wenn Du mich doch nicht hochleben lassen willst,“ wandte er sich weiter an Tavella, „dann verschaffe mir
wenigstens ein Pferd, und ich will Dich dafür zum Kapitän ernennen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_444.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2021)