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Seite:Die Gartenlaube (1894) 446.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

aufsuchte, erfüllte seine Bitte, ihm einen anderen Raum anzuweisen; er wurde in einem zur Pförtnerwohnung gehörenden Zimmer untergebracht. Die übrigen Teilnehmer des Zuges wurden ebenfalls sämtlich gefangen genommen und später zum Tode oder zu Kerkerstrafen verurteilt.

Der optische Telegraph, der damals noch in Gebrauch war, um wichtige Nachrichten in die Ferne gelangen zu lassen, und der übrigens nur den Regierungen zur Verfügung stand, meldete Murats Landung und Verhaftung nach den nächsten Militärstationen und nach der Hauptstadt. Der Befehlshaber in Kalabrien, General Nunziante, der, einige Stunden von Pizzo, in Tropea stand, traf nach einem Eilmarsch noch am Nachmittage mit mehreren Regimentern in Pizzo ein. Nunziante hatte früher unter König Joachim gedient, inzwischen aber dem König Ferdinand Treue geschworen. Als er sich dem Gefangenen vorstellte, mochte dieser im ersten Augenblick wohl noch einige Hoffnung hegen, den alten Waffengefährten auf seine Seite zu ziehen. Aber schon nach Nunziantes ersten Worten erkannte Murat, daß er einen General König Ferdinands vor sich habe. Nunziante hielt, wenn auch in Form eines Gespräches, eine Art Verhör mit ihm ab. Der Gefangene erklärte unbefangen, daß er mit einem vom Kaiser Franz ausgestellten Passe – so bezeichnete er den oben erwähnten Brief des österreichischen Kaisers – von Korsika nach Triest reise und daß widrige Winde und der Mangel an Lebensmitteln ihn gezwungen hätten, bei Pizzo an Land zu gehen. Er wußte vermutlich nicht, daß ein von ihm erlassener Aufruf an die Neapolitaner und andere Schriftstücke, die das Festhalten seiner Ansprüche auf den Thron bewiesen, bei seinen Gefährten aufgefunden und mit Beschlag belegt worden waren. Weitere Fragen ließ er unbeantwortet, und Nunziante grüßte und ging.

Mnrat täuschte sich vollkommen über den Ernst seiner Lage, wenn er sich einredete, daß die Darstellung des Geschehenen, die er dem General Nunziante gegeben hatte, Anklang finden werde. Aber falls König Ferdinand sie nicht glaubte, so sollte wenigstens der Befehlshaber der österreichischen Truppen in Neapel und der englische Gesandte daselbst sie insoweit glauben können, daß sie ihm zu sofortiger Befreiung aus der Haft behilflich waren. An diese Persönlichkeiten schrieb er also im Sinne der von ihm dem General Nunziante erteilten Auskunft, auch seine in Triest weilende Gemahlin benachrichtigte er. Als er nach Beendigung der Briefe an das Fenster trat, sah er, daß man den bei der Landung gefallenen Lieutenant Campana nicht weit vom Schlosse begrub. Der General Nunziante, der jetzt wieder eintrat, traf den Gefangenen in ernster Stimmung, aber ohne Besorgnisse für sich selbst. „Campana, Campana,“ äußerte Murat, „wenn ich den Thron je wieder besteige, so lasse ich Dir ein königliches Grabmal bauen!“ Die Gefälligkeiten, die man dem Gefangenen erwies – man bereitete ihm ein Bad, verschaffte ihm eine neue Uniform und umgab ihn mit den kleinen Annehmlichkeiten des Lebens – mochten mit dazu beitragen, ihn, den allezeit Hoffenden, in der Meinung zu bestärken, daß man ihn bald in Freiheit setzen werde. Der General Nunziante speiste mit ihm zu Abend und ließ ihn dann allein.

Am folgenden Tage, dem 9. Oktober, erhielt Nunziante morgens ein Telegramm aus Neapel, welches ihn anwies, den Gefangenen als einen mit bewaffneter Hand in das Land eingedrungenen Friedensbrecher und Staatsfeind vor ein Kriegsgericht zu stellen. Er begab sich darauf zu Murat, um ihn auf sein Schicksal vorzubereiten, das nun nicht mehr zweifelhaft sein konnte. Aber da er ihn, der noch über einen mit Goldstücken gefüllten Geldbeutel verfügte, dabei beschäftigt fand, zwei Schneidern wegen einiger neuer Anzüge Weisungen zu geben, konnte er sich nicht entschließen, seine Absicht auszuführen und die ahnungslose Lebensfreudigkeit des an schöne Kleider denkenden Gefangenen zu stören. Er nahm es auf sich, mit allen weiteren Schritten so lange zu warten, bis das Telegramm durch ein amtliches Schreiben bestätigt sein würde. Erst am 12. Oktober früh kam dieses Schreiben, das am 9. von Neapel abgegangen war, in Pizzo an. Es enthielt eine königliche Verfügung, welche so lautete:

„Wir Ferdinand von Gottes Gnaden König etc. haben beschlossen, was folgt.

Artikel 1.0 Der General Murat wird vor ein Kriegsgericht gestellt, dessen Mitglieder von unserem Kriegsminister ernannt werden.

Artikel 2.0 Dem Verurteilten wird zum Empfange der Tröstungen der Religion nur eine halbe Stunde bewilligt.
 Ferdinand.“ 

Beigefügt war ein Schreiben des Kriegsministers, welches den Vorsitzenden, die sechs Beisitzer, den mit dem Vortrage über den Thatbestand beauftragten Berichterstatter und den Protokollführer des Kriegsgerichts, sowie den Ankläger und den Verteidiger des Gesangenen mit Namen bezeichnete.

Am frühen Morgen des 13. Oktober trat das Kriegsgericht im Schlosse zu Pizzo zusammen. Um sechs Uhr begab sich der mit der Verteidigung betraute Kapitän Starace in das Zimmer Murats. Da dieser, der von den Befehlen König Ferdinands nichts ahnte, noch ruhig schlief, so gewann es der Kapitän nicht über sich, ihn zu wecken. Indem er sich entfernen wollte, stieß er unwillkürlich an einen Stuhl, und Murat erwachte. „Was wünschen Sie?“ fragte er.

Dem Kapitän, der wie die meisten Teilnehmer an dem Kriegsgericht noch unter Murat gedient hatte, versagte die Stimme.

„Sie haben wohl Nachrichten aus Neapel?“ fragte Murat weiter, der nun erst seine Lage zu begreifen anfing.

„Ja, Sire,“ murmelte der Kapitän.

„Was besagen diese Nachrichten?“

„Sie sollen vor ein Kriegsgericht gestellt werden.“

„Wer soll dann aber als Richter auftreten?“ wandte Murat ein, indem er sich an die letzte Hoffnung klammerte. „Wie will man Männer meines Ranges finden, die allein mich würden richten können? Gelte ich als König, dann muß ein Gerichtshof von Königen gebildet werden, gelte ich als Marschall, dann müssen sich Marschälle versammeln, gelte ich als General, und weniger bin ich doch nicht, dann müssen Generale über mich richten.“

„Sire, Sie sind für einen Staatsfeind erklärt, und so können Sie vor ein gewöhnliches Kriegsgericht gestellt werden, das haben Sie früher selbst bestimmt.“

„Meine Verfügung war gegen Räuber gerichtet, nicht gegen gekrönte Häupter,“ erwiderte Murat verächtlich. „Nun denn, wenn man mich morden will, ich bin bereit. Ich hätte den König Ferdinand einer solchen Handlung nicht für fähig gehalten.“

Abbrechend fragte der Kapitän den Gefangenen, ob er die Namen der Richter zu erfahren wünsche. Murat bejahte. Nachdem sie vorgelesen waren, schlug der Kapitän vor, Murat selbst möge seine Sache vor Gericht vertreten. „Nichts davon,“ antwortete er. „Zu viele Seiten Geschichte müßten zerrissen werden, wenn ich die Richter anerkennen wollte, die man mir gesetzt hat. Dieser Gerichtshof ist unzuständig, und ich würde mich schämen, vor ihm zu erscheinen. Ich weiß, daß ich mein Leben nicht mehr retten kann – lassen Sie mich wenigstens die königliche Würde retten.“

Das Kriegsgericht beruhigte sich bei der Weigerung Murats, sich in Person zu stellen, und erzwang sein Erscheinen nicht. Dafür trat der mit der Berichterstattung vor Gericht beauftragte Lieutenant Froio bei ihm ein und fragte ihn nach Namen, Alter und Geburtsort. Ungeduldig antwortete Murat mit erhobener Stimme. „Ich bin Joachim Napoleon, König von Neapel, und ich fordere Sie auf, mein Zimmer zu verlassen.“ Der Offizier ging, und die Sitzung des Kriegsgerichts begann.

Murat schrieb indes an seine Gemahlin folgenden Brief: „Teure Frau! Die verhängnisvolle Stunde ist da, ich stehe vor der Hinrichtung. In einer Stunde hast Du keinen Gatten, haben unsere Kinder keinen Vater mehr. Denkt an mich und vergeßt mich nicht! Ich sterbe unschuldig, und das Leben wird mir durch ein ungerechtes Urteil genommen. Adieu, Achilles, adieu, Lätitia, adieu, Lucian, adieu, Louisa. Zeigt Euch meiner würdig! Ich lasse Euch auf einer Erde und in einem Lande, wo ich viele Feinde habe. Zeigt Euch dem Unglück überlegen und haltet Euch nicht, an vergangenes Glück denkend, für mehr, als Ihr seid! Lebt wohl, ich segne Euch. Flucht meinem Andenken nicht! Erinnert Euch, daß bei meinem Tode mein größter Schmerz ist, fern von meinen Kindern und von meiner Frau zu sterben und niemand zu haben, der mir die Augen zudrückt. Adieu, meine Karoline, adieu, meine Kinder! Empfangt meinen väterlichen Segen, meine Sehnsuchtsthränen und meine letzten Küsse! Lebt wohl und vergeßt Euren unglücklichen Vater nicht!
Pizzo, den 13. Oktober 1815. Joachim Murat.“ 

Nach einer längeren Weile – es war zehn Uhr geworden – trat der General Nunziante schweigend und mit bekümmerter Miene wieder ein. Murat verstand ihn; es war ein Todesurteil gefällt worden. Er ließ sich von Nunziante versprechen, die

Besorgung des Abschiedsbriefes zu übernehmen, und sagte dann, als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_446.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2019)
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