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Seite:Die Gartenlaube (1894) 466.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Zittern, sie sprangen auf, sie streckten die Arme, und schluchzend rannten sie, um den Gott zu suchen, bei dem die Hilfe wäre.

Hinter Waldrams Schritten wuchs die Schar. Zitternd nach allen Seiten starrend, begannen sie die Worte nachzureden, die er mit hallender Stimme betete. Und je länger sie sahen, wie dieser Mönch, durch keine Gefahr beirrt, leuchtenden Auges jedem Unheil entgegenschritt, desto mehr befiel es die Herzen dieser Menschen wie ein Rausch der Hoffnung; immer lauter wurden ihre Stimmen, und die lallenden Gebete hoben sich zu trunkenem Geschrei. Häuser stürzten, und sie sahen es nicht – Menschen fielen, und über die zerschmetterten Körper schritten die Verzückten hinweg ...

Immer dünner wurde der Hagel des Gesteins, und schwächer rollte schon über den Bergen das donnernde Echo. Nur vereinzelte Blöcke kamen noch aus der Höhe und schwangen sich in weiten Sprüngen über den zermalmten Schutt. Ein Fels, wie ein Haus so groß, wälzte sich durch den Hag des Richtmanns und drückte die leeren Ställe nieder, schon hatte der Lauf des Blockes sich gemindert, doch auf geneigter Halde kam er wieder ins Rollen. Gegen die Trümmerstätte, die einst das Hans des alten Gobl getragen, nahm er seinen Weg.

Vor dem zerfallenen Dächlein saß der Alte; mit den dürren Armen hielt er auf seinem Schoß den zitternden Knaben umschlungen, der das Gesicht in Gobls zerlumpte Kotze vergrub. Als der Sturz begonnen, hatte der Greis den schlummernden Buben vom Heusack aufgerissen, um mit ihm zu flüchten; doch nach wenigen Schritten schon hatte die Last seine mürben Knie niedergedrückt. „Jetzt, Büebli, jetzt kommt er, auf den ich wart’!“ Doch er fand bei diesen Worten nicht mehr das alte Lachen. Seine Stimme schwankte, und mit Kopf und Armen deckte er das Haupt des Knaben, als der steinerne Hagel durch die Lüfte ging. Da löste sich der wirbelnde Staub und das Gedröhn der Berge begann zu verstummen. Gobl atmete auf und streichelte mit zitternder Hand das Haar des Knaben. „Schnauf’, Büebli, schnauf’ ... die Berg’ haben ausgerumpelt, und all’weil leben wir noch!“

Da tauchte über sinkenden Büschen jener Felsblock auf wie ein steinernes Ungetüm; doch die Kraft seines Laufes war schon gebrochen; kollernd wälzte er sich über die faulen Reste des Hags, zerquetschte den Apfelbaum und hob sich noch ein letztes Mal auf die Kante – fiel er, so lag die Trümmerstätte des Hauses mit den beiden Menschen unter ihm begraben. Schreiend hatte Gobl sich aufgerafft, und da er die Kraft nicht mehr besaß, den Knaben zu tragen, versetzte er ihm einen Stoß, daß Huze seitwärts niederrollte über die schiefen Balken und Moosfladen des zerfallenen Daches. Unter der Wucht des Stoßes kam der Alte selbst zu Fall und kollerte dem Vlock entgegen. Schon fiel der Block – da wich unter seiner Last die durchweichte Erde, im Fallen drehte sich der Fels und, halb in den Grund versinkend, legte er sich seitwärts nieder. Dicht neben Gobl drückte sich eine Kante des Blockes in den Boden und zog die Kotze des Greises mit sich hinunter. Der Alte riß und zerrte wie ein junger Hund, der zum erstenmal die Schlinge des Riemens an seinem Halse spürt, dabei keuchte er den regungslosen Felsblock an: „He, Du! Hast mich selber übrig gelassen, so laß auch meinen Kittel aus!“ Doch der Stein hielt fest. Gobl mußte aus den Aermeln schlüpfen und den Rock im Stiche lassen. Da hinkte und kroch ihm schon der Bub’ entgegen. „Gobl-Aehni! Gobl-Aehni!“

„Büebli! Mein gntes Büebli Du!“ Mit den Armen umschlang der Greis den Knaben und herzte ihn unter Lachen und Weinen.

„Gelt, Aehni, gelt, der gute Vater im Himmel hat geholfen?“ schluchzte der Bub’.

„Wohl wohl!“ Die nassen Augen des Greises suchten den hinter dampfendem Staub verdeckten Himmel. „Es muß doch ein Guter und Starker sein, der sell da droben!“ Er drückte den Knaben an sich, während ihm die Zähren in den Bart rollten ....

Auf den Bergen war es still geworden; nur in Zwischenräumen ließ sich von den Höhen hernieder noch dumpfes Gepolter vernehmen, welches das Rauschen der Gewässer übertönte. Ein unruhig wechselnder Wind trieb die Staubwolken und wo der braune Schleier auseinanderriß, enthüllte er Bild um Bild der grauenvollen Zerstörung. Doch was die Ueberlebenden auch immer an Unheil gewahren konnten – der wehende Staub und das sinkende Licht des Tages waren barmherzig und verhüllten den Blick ins Weite: es erwachte in den Menschen keine Ahnung der ganzen Vernichtung, welche über das Thal und seine Bewohner gefallen war. Allmählich nur erholten sich die Geretteten aus ihrer Betäubung und lähmenden Todesangst. Geschrei ertönte auf allen Seiten, herzzerreißendes Klagen, nur selten ein Ruf der Freude und ein Jauchzen des Wiedersehens. Auf freier halb von Geröll übergossener Halde lag Waldram auf den Knien, die Arme zum Himmel gestreckt, die Augen in Verzückung leuchtend, und betete mit hallender Stimme. Aber die Schar, die ihn umdrängte, wurde immer kleiner. Jeden trieb es, nach den Menschen zu suchen, die ihm teuer waren, jeden zog es zu seinem Haus und Herd. Ein wirres Laufen und Rennen begann, und einer schrie den anderen an: „Hast meinen Vater nicht gesehen, mein Weib, meine Kinder? Steht mein Haus noch oder liegt’s?“ Sie rannten und suchten, und mancher war, welcher suchte und nimmer finden konnte. Je näher sich die Schönau gegen den Stock des König Eismann hinzog, desto furchtbarer zeigte sich das Bild der Zerstörung, desto lauter schallten die Klagen der den Schutt Durchirrenden. Mit kalkweißem Gesicht kletterte der Hanetzer über die Felstrümmer, die Stätte suchend, auf welcher sein Haus gestanden. Er fand sie nicht; doch seine Brüder kamen, die sich durch Flucht gerettet. Er hatte keinen Blick für sie, kein Ohr für ihren Jammer. Mit verzerrtem Antlitz stand er und starrte durch den wehenden Staub empor zur Höhe der Falkenwand, von welcher Wazemanns Haus über gebrochene Wipfel niederblickte. „Das meinig’ liegt ... und das seinig’ steht noch all’weil!“ keuchte er, faßte die Brüder am Arm und schüttelte sie. „Mir nach! Nimmer leben will ich ... oder sein Haus muß fallen!“ Er riß einen zermalmten Holzstrunk aus dem Schutt und stürzte dem nächsten Gehöft entgegen, dessen Haus in Trümmern lag, mit rauchenden Balken; das Herdfeuer hatte das zerschmetterte Dach entzündet, und vor dem glostenden Haufen stand der junge Bauer mit seinem Weib in wortlosem Jammer. Der Hanetzer packte ihn an der Brust. „Liegt das Deinig’ auch? So schau’ hinauf: das seinig’ steht noch! Aber nimmer leben will ich, oder es muß sein Haus noch fallen vor der Nacht!“ Mit glasigen Augen stierte ihn der Bauer an; sein Weib aber riß aus dem Trümmerhaufen einen glühenden Storren hervor, schwang ihn durch die Luft, daß die Flamme erwachte, und kreischte: „Brauchst Feuer?“

Mit heiserem Gelächter faßte der Hanetzer den Brand und eilte den anderen voran. Von einer Trümmerstätte zur nächsten trug er die lodernde Flamme und den Schrei seiner Wut; es wuchs der Trupp, Männer und Weiber gesellten sich zu ihm, ünd über die Schutthügel stürmte der Haufe gegen Wazemanns Haus empor. Die heiße Lust, den alten Haß zu kühlen, überfiel sie wie ein Labsal in ihrem Jammer, wie eine Betäubung ihres Schmerzes ...

Die kreischenden Stimmen mischten sich mit dem dumpfen Rauschen, welches von der zur Ramsau führenden Waldschlucht ausging und mit wachsendem Hall über den weiten Gadem tönte.

Schon waren die Halden der Strub überschwemmt von dem brausend dahinschießenden Wasser; entwurzelte Bäume, Hausgerät und behauene Balken trieben auf den schlammigen Wellen. Tosend nahmen sie durch das Thal hin ihren Weg, und aus allem Rauschen tönte das hohle Gepolter der Felsblöcke, welche sie rollten auf ihrem Grund. Den weiten Lokiwald umkreiste die Flut und vereinigte sich mit den hochgestiegenen Wellen der aus dem Schönsee kommenden Ache. Schon war die Stätte überschwemmt, auf welcher die Brüder in jener ersten Nacht gelagert hatten, und mit Toben strömten die Gewässer in das enge Waldthal ein das hinausführte zur fernen Salzaburg ...

Weit draußen in der Waldschlucht tönte eine jammernde Stimme: „Bruder Schweiker! Bruder Schweiker!“ Erschöpft und atemlos, von Todesangst in allen Knochen geschüttelt, suchte Wampo zwischen Gestein und Büschen den Weg, auf welchem, wie er meinte, Bruder Schweiker geflohen wäre. „Bruder Schweiker! Bruder Schweiker!“ klang der schluchzende Ruf, den das näher und näher tönende Brausen schon halb übertäubte. „Schweiker, Schweiker! Ja hörst denn nicht? Bist Du denn auch noch ein Bruder nach Christi Wort? Schweiker! Schweiker!“

So bang der Rufende auch lauschen mochte, er hörte keine Antwort; stöhnend und unter Stoßgebeten kämpfte er sich weiter durch das wirre Gestrüpp, dann wieder stand er zitternd und starrte mit entsetzten Augen rückwärts über das Thal. Er hörte das dumpfe Rauschen und sah über das welke Laub der Büsche graue Buckel auf- und niedertauchen gleich springenden Mäusen. Und bevor in seinem wirren Kopf noch ein Gedanke erwachen konnte, waren die kleinen Mäuse schon gewachsen und schossen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_466.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)
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