Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Als Ruedlieb und Edelrot die Gräberstätte verlassen wollten und scheu vor der Klause stehen blieben, trat ihnen Bruder Sigenot entgegen. Seine Lippen blieben stumm, während er mit festem Druck ihre Hände faßte. Sie betraten das Kirchlein, und in der dachlosen Halle knieten sie auf nackter Erde. Eberwein legte die Hände der Liebenden ineinander und segnete ihren Bund. Als das junge Paar sich erhob, hatte Bruder Sigenot das Kirchlein schon verlassen. In Schweikers Zelle saß er auf dem Stangenlager, das Kinn auf die Brust gesenkt und die zitternden Hände im Schoß.
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Ein wundersamer Spätherbst folgte, wie nur die Berge ihn kennen, leuchtend in allen Farben, mit goldener Sonne und fliegendem Silber. Jeder Tag schien den vergangenen an Glanz und Schimmer überbieten zu wollen. Den bedrückten Menschen kam diese schöne Zeit wie ein neuer Trost. Es schien, als hätten sich die Berge nur deshalb mit ihrem herrlichsten Gewand umkleidet, um den Menschen, welche irr geworden an dem väterlichen Boden, neue Heimatfreude in das Herz zu flößen, das gebrochene Vertrauen zu festen und die alte Treue wieder zu erwecken. Die Arbeit, welche sie in den ersten Tagen wie träumend geleistet hatten, begann ihnen wieder eine Lust zu werden, und mit Freude erfüllte sie jeder kleinste Erfolg, den sie mühsam gewannen. Doppelt genossen sie nach schwerem Tag die Ruhe am warmen Herd, und jeden kargen Lichtschein, der in ihre Herzen fiel, empfanden sie wie eine Sonne.
Die schönen Tage förderten alle Arbeit. Rastlos klangen die Beilschläge im weiten Thal, und überall loderten die Feuer, welche den gebrochenen Wald verzehrten. Tag um Tag, vom Frühlicht bis zur sinkenden Nacht, waren Eberwein und Bruder Sigenot rastlos auf allen Wegen. Sigenot leitete die Rodung der Wälder, und immer stellte ihn Eberwein an jenen Platz, wo es das schwerste Werk zu leisten galt; wußte er doch, daß er ihm besseren Trost nicht bieten konnte als Arbeit, welche kein Träumen und Grübeln gestattet, den Körper ermüdet und mit tiefem Schlummer lohnt. Eberwein selbst leitete den Bau der neuen Häuser; er wählte die Plätze, steckte die Flächen aus und lehrte die Bauenden feste Grundmauern zu legen, die Balkenwände mit Fachwerk zu durchsetzen, den Flur von der Stube zu scheiden und die Räume des Hauses wohnlicher zu gestalten. Und bei jeder Arbeit streute er den Samen frommer Lehre. Bei Anbruch der Nacht erst kehrten die beiden in die Klause zurück, welche schon längst wieder ihr Dächlein mit der Glocke hatte, dazu noch gute Thüren und einen festen Hag. Während Bruder Sigenot schwer ermüdet auf das Lager sank, saß Eberwein zuweilen noch beim Schein der Fackel vor seinen Büchern. Wurden ihm die Augen müde, so blickte er oft in stillen Gedanken zum sternenhellen Himmel auf und trauerte um die verschollenen Brüder.
Als er in solcher Stunde wieder einmal an Schweiker dachte, sah er plötzlich das gutmütige Flachsgesicht mit den wasserblauen Augen durch das offene Fenster in die Zelle blicken, bleich und mit einem Zug der Trauer. „Schweiker!“ stammelte er, sprang auf und streckte die Arme. Da war das Gesicht verschwunden. Er eilte ins Freie und rief den Namen des Bruders mit hallender Stimme in die Nacht hinaus. Aber alles blieb still in der finsteren Runde.
Bruder Sigenot, den der Ruf geweckt hatte, kam herbei. „Herr, was ist Dir?“
„Nichts! Ich habe geträumt!“ Zögernd kehrte Eberwein in seine Zelle zurück und fand in dieser Nacht keinen Schlummer mehr. Erst der folgende Morgen mit seinen Pflichten löschte den seltsamen Schauer, welchen das Gesicht in ihm geweckt hatte.
(Schluß folgt.)
Blätter & Blüten
Nützet die Sommerferien! Von verschiedenen Seiten wurde die Frage aufgeworfen, ob die Ferienkolonien den schwächlichen unbemittelten Kindern einen Nutzen bringen, der im wünschenswerten Verhältnis stehe zu den Ausgaben, die mit der Reise verbunden sind. Man meinte, daß es auch genügen könnte, die unbemittelten Kinder in der Stadt zweckmäßig zu ernähren und zum fleißigen Spazierengehen anzuhalten. Diese Frage wurde jüngst von ärztlicher Seite in entscheidender Weise beantwortet. Dr. Schmid-Monnard in Halle a. d. S. hat regelmäßige Beobachtungen an 1000 Ferienkolonisten, an 1300 zurückgewiesenen und etwa einer gleichen Anzahl normaler Kinder angestellt und den Nutzen der Ferienkolonien aufs überzeugendste dargelegt. Durch Wägungen, Messungen der Länge und des Atmungsumfangs der Kinder wurde zunächst festgestellt, daß die schwächlichen Ferienkolonisten tn ihrer körperlichen Entwicklung im Durchschnitt um ein volles Jahr hinter der gleichalterigen normalen Volksschuljugend zurückstanden. Auf diese schwachen wirkte nun ein dreiwöchiger Aufenthalt in einer Ferienkolonie so günstig, daß sie während dieser kurzen Zeit an Körpergewicht und Atmungsgröße etwa um ein Jahr zunahmen. Ein derartiger Erfolg ist innerhalb der Mauern der Fabrikstädte trotz der besten Ernährung nicht möglich, da hier der wohlthätige anregende Einfluß der reinen Luft fehlt. Gerade der Umstand, daß die Ferienkolonien im Gebirge oder in ausgedehnten Waldungen eingerichtet werden, wirkt auf die Lungenthätigkeit der Kinder so günstig ein. Man sollte darum das gute Werk mit aller Kraft fortführen, denn es vermag einen großen Teil unserer kränkelnden Volksschuljugend zum späteren Kampf ums Dasein wesentlich zu stärken oder vor frühzeitigem Siechtum zu bewahren.
Anderseits können auch bemittelte Eltern aus diesen Thatsachen eine wichtige Lehre ziehen. Der Nutzen der Sommerfrische für die Schuljugend wird durch die Ermittelungen Schmid-Monnards ins rechte Licht gerückt. Durch ein richtiges Ausnützen der Sommerferien geben wir unsern Kindern das kostbarste Gut, das wir ihnen vermachen können, Kraft und Gesundheit. *
Orientalische Früchteverkäuferin. (Zu dem Bilde S. 485.) Dort, wo die „Muski“, die Hauptverkehrsader orientalischen Lebens von Kairo, aufwärts nach den Windmühlenhügeln zu in die Wüste mündet, traf ich sie, die schöne Levantinerin Targija, an der Ecke einer Seitengasse sitzend und ihre Granatäpfel den Vorübergehenden mit frommem Gruß anbietend. Und hier erlebte ich auch das Wunder, von dem ich gelesen, das ich aber bisher, täglich verfolgt von dem Bettelgeschrei „Bakschisch, Bakschisch“ nicht für glaubhaft gehalten hatte, daß es nämlich selbst in Kairo Leute geben sollte, welche eine Ware unentgeltlich anbieten, ohne daraus einen Gewinn zu erhoffen. Ich hatte gelesen, daß mannigfach ein Moslem, der eine Versündigung wider Allahs Gebote begangen hat, sich die Selbstbuße auferlege, eigenhändig im Ziegenschlauch Wasser aus dem Nil zu schöpfen und mit den Metallschalen klappernd durch die Straßen zu ziehen und den Wanderern einen Labetrunk oder saftige Früchte anzubieten.
Sie hatte es nicht nötig, an den Straßenecken zu sitzen, wie sie mir erzählte; aber der strenge Derwisch Mewsik vom Kloster der heulenden Derwische hatte ihr die Buße auferlegt. Doch trug sie, wie es schien, nicht allzuschwer an der Last, sondern plauderte gar heiter und vergnüglich, und die dunkeln Augen glänzten voll Lebenslust hinter dem bunten Tuch, wie wenn sie wohl wüßte, daß die Vorübergehenden am wenigsten ihrer Früchte wegen bei ihr stehen blieben. C. C.
Neue naturwissenschaftliche Prachtwerke. Wie unsern Lesern bekannt, ist von Brehms „Tierleben“ vor nicht langer Zeit eine dritte Auflage zum Abschluß gekommen. Das unvergleichliche Meisterwerk ist damit wieder für eine geraume Zeit zu dem erhoben, was es bei seiner Entstehung war, zu einer Zusammenfassung des dermaligen Wissens über das Leben der Tiere, so, wie es in der Gegenwart beobachtet wird. Auf die Entstehung der Tierwelt, auf die allmähliche Entwicklung der Formen und Arten durch die Perioden der Erdgeschichte hindurch ist Brehm nicht eingegangen. Erst Darwin hat ja der wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Fragen einen neuen epochemachenden Anstoß gegeben. Als eine Ergänzung des Brehmschen Werks nach dieser Seite hin dient nun das gleichfalls im Verlag des Bibliographischen Instituts zu Leipzig erschienene Buch „Die Schöpfung der Tierwelt“ von Dr. Wilhelm Haacke, einem der hervorragendsten Mitarbeiter an der neuen Auflage von Brehm, einem Gelehrten, der als Forschungsreisender, Tiergärtner, Museumsdirektor und akademischer Lehrer reiche Gelegenheit gehabt hat, sich mit allen Zweigen der Tierkunde eingehend vertraut zu machen. Das Buch ist ebenfalls mit einer Fülle mustergültiger Abbildungen, darunter vielen farbigen Tafeln, ausgestattet. – Aus demselben Verlage geht hervor die zweite Auflage eines Werkes, das in der naturwissenschaftlichen Litteratur eine nicht minder hervorragende Stellung einnimmt; es ist „Der Mensch“ von Johannes Ranke, dem berühmten Münchener Anthropologen. Die neue Bearbeitung wird von allen Freunden der Wissenschaft vom Menschen mit Freuden begrüßt. Hat doch kein Geringerer als Adolf Bastian Rankes „Der Mensch“ seiner Zeit ein „Fundamentalwerk der Anthropologie“ genannt, „das für jeden, der sich unter ihre Jünger eingeschrieben, ein unentbehrliches bleiben wird!“
Belauscht. (Zu dem Bilde S. 489.) Sie war ein kleiner Naseweiß, Annchen mit dem dunklen Lockenhaar und den schwarzen Augenbrauen, die ihrem 17jährigen Gesichtchen ein so eigenartiges Gepräge gaben. Und Annchen witterte ein Geheimnis in der Luft: Lise, die Schwester, so zerstreut, die Mutter so feierlich, der Vater so aufgeräumt, und der schöne stattliche Rechtsanwalt ein so gar häufiger Gast im Hause! Da war etwas im Werk, und zwar etwas sehr Interessantes, geeignet, Schwester Annchens natürliche Anlage zur Neugier auf eine fieberhafte Höhe zu
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_499.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)