verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Nr. 30. | 1894. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Die Brüder.
Der Prinz hielt in seiner Erzählung inne, tief Atem holend; auf seinen Gesicht flog es unruhig hin und her; seine großen kräftigen Zähne leuchteten glitzernd im Gaslicht zwischen den vollen Lippen.
„Soll ich weiter erzählen, Herr von Weßnitz? Nun, ich fing an zu studieren, zu lernen. Ein angeborener Wissensdurst fesselte mich an die Arbeit. Im übrigen, ein Mensch von achtzehn Jahren, ein Fürst mit solchen zerstörten Jugendträumen, mit einem fast unbeschränkten Kredit – Sie werden sich selbst sagen, was aus ihm werden mußte! Trotzdem sank ich nicht ganz: es gab etwas, Was stärker war als die Lockungen der Gelage, als die Süßigkeiten für meine verhätschelte Eitelkeit, die mir überall gereicht wurden. Es kam ein Tag, wo der Ekel vor mir selbst mich faßte, wo ich erwachte. Ich ging nach Wien, nach Italien, ein Stürmen und Drängen in der Brust, als müßte ich etwas Neues, Großes schaffen. Ich begann zu schreiben, zu dichten, suchte den Verkehr mit Künstlern, mit hervorragenden Männern und fand den Wert des Lebens bei ihnen. Aber die Achtung vor der Frau war in mir erstorben, und doch packte es mich oft mit heißer Sehnsucht, nur eine zu finden, zu der ich aufsehen könnte, ein Wesen, das mit mir fühlen und denken würde. Eine nur, die nicht wäre wie alle andern, die nicht nach Namen, nach Stand, nach Reichtum spähte! So kam ich nach Paris. Wieder packte mich das alte Leben in dieser Stadt, wo es so bequem ist, von Genuß zu Genuß zu taumeln, wenn man Geld hat. Ich habe
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_501.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)