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Seite:Die Gartenlaube (1894) 534.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Hand greifen, die neben ihr auf dem Tischtuch lag, und ihn anflehen: hilf mir, du, der so stark ist, so klar und fest! Ohne es zu wollen, legte sie ihre Hand dicht neben die seinige, welche er, der Berührung ausweichend, mechanisch langsam herabgleiten ließ, unwillkürlich einer gesellschaftlichen Form genügend und ohne den Blick ihr zuzuwenden.

Ein Diener fragte, ob jetzt Champagner gereicht werden solle.

„Ja, ja, schnell! Hier zuerst!“ befahl sie rasch, froh, etwas sagen zu können.

Da blickte sie in Prinz Sissis Augen, in diese seltsam geformten slavischen Augen, darin glomm etwas, verstohlen, brennend heiß. Es war ein fast unterthäniges Aufschauen, ein vollständiges Aufgehen in ihrem Anblick. Dieser wenigstens gehört mir mit Leib und Seele! zuckte es ihr durch den Sinn. Der Ring an ihrer Rechten klirrte zitternd gegen das Glas, das sie ihm entgegenhob. „Sie träumen, Prinz! Macht das die deutsche Luft?“

Er fuhr zusammen, hob aber dann rasch sein Glas, mit den Augen die ihrigen nicht loslassend. So hatte ihn Lore von Weßnitz noch nie angesehen!

Um sich zu sammeln, blickte er Edda Helm von der Seite an. Sie lehnte ruhig auf ihrem Sitz, das scharf gezeichnete Profil Herrn von Weßnitz zugewandt, und horchte aufmerksam auf dessen Worte. Wie ruhig, wie so ganz ohne leidenschaftliche Regung ihm dies Antlitz erschien! Er fühlte plötzlich etwas wie das Sehnen nach einem unbekannten herrlichen Lande, das noch keines Menschen Fuß betreten. Diese würde dich retten, nicht Lore und nicht all die andern! rief ihm eine innere Stimme zu.

„Woran denken Sie, Prinz?“ fragte Lore, sich hoch aufrichtend, mit einem nervösen Zittern um den kleinen Mund. „Sind Sie mit der Erfindung eines neuen Frackmodells beschäftigt?“

Ohne auf Lores Neckerei einzugehen, sagte er ernst: „Ich habe gedacht, gnädige Frau, daß wir Gesellschaftsmenschen doch eigentlich Sklaven des Lebens sind, daß wir niemals in uns selbst frei bleiben können. Und jedes kämpft trotzdem sein Leben durch mit dem Anspruch auf freien Willen, der sich gegen den Zwang aufbäumt. Ich habe den Kampf aufgegeben, aber ich beneide jene anderen, die sich ihre Freiheit bewahren wollen.“

In seinem Gesicht lag ein scharf ausgeprägter Zug von schmerzlicher Ergebung, aber nur eine Sekunde lang. Ohne ihre Entgegnung abzuwarten, plauderte er plötzlich lustig drauf los, erzählte einige boshafte Geschichten aus Paris, wie sie Lore sonst nie hatte leiden mögen, und war erstaunt, daß sie aus vollem Herzen darüber lachte.

„Und ich behaupte dennoch,“ erhob Hermann im Eifer seines Gesprächs mit Edda die Stimme lauter, „daß eine Frau, die sich einem männlichen Beruf, besonders dem Studium der Medizin widmet, Gefahr läuft, etwas zu verlieren, was eine Göttin den meisten Frauen in die Wiege legt.“

„Und das wäre?“ fragte Edda ruhig.

Er sah ihr scharf in die Augen und besann sich eine Sekunde. „Die unbewußte Anmut. Ich darf diese Ansicht offen aussprechen einer Dame gegenüber, die eine Ausnahme von der Regel bildet.“

„Kinder, seid nicht so gelehrt!“ rief Lore, während Edda ihr für die Unterbrechung einen dankbaren Blick zuwarf. „Es ist wirklich unerhört – da stehen die beiden Champagnergläser noch unberührt, dagegen muß ich als Wirtin protestieren! Auf gute Freundschaft!“

Edda trank haftig, noch mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Irgend jemand hielt jetzt einen heiteren Trinkspruch; es antwortete ein anderer – man trank auf Lores Gesundheit, auch Doktor Helm winkte mit einem gefüllten Glas in der Hand herüber und jedesmal schlürfte seine Tochter den perlenden ihr ungewohnten Wein achtlos hinunter, sich an der Kühle labend, so daß Hermann ab und zu einen erstaunten Blick auf sie richtete.

Die Anwesenden bekamen allmählich etwas erhitzte Gesichter; hier und da hörte man ein helles lustiges Lachen. Es drängten sich Herren an den Tisch, um mit der Dame des Hauses anzustoßen; einer und der andere redete auch Edda an, angezogen von dem eigentümlichen Aeußeren des Mädchens, dem der Wein das Blut in schweren Wellen in die sonst bleichen Wangen trieb, ohne daß sie ahnte, wie leuchtend schön ihre Gesichtsfarbe in dieser stärkeren Färbung erschien. Man sagte ihr liebenswürdige Worte, sie raffte sich zu einigen witzigen Gegenbemerkungen auf, die etwas spöttisch ausfielen, aber doch die Aufmerksamkeit der Herren erregten. Ihr war, als sei sie nicht mehr dasselbe Menschenkind wie vordem, als sei in ihr ein Wesen erwacht, das sie bisher niemals gekannt hatte. Dazu dann die lustige Bewegung einer Gesellschaft nach aufgehobener Tafel, aus dem großen Nebenzimmer der lockende Klang eines Walzers. Sie fühlte, wie ihr Pulsschlag rasch und rascher flog. Der elegante Offizier, der eben mit ihr scherzte, war ihr nicht mehr ein gleichgültiger Mensch, sondern ein Mann mit einem kecken hübschen Gesicht, an dem sie Wohlgefallen fand.

Schließlich bot ihr Weßnitz den Arm; ganz ohne Verabredung hatten er und der Prinz die Damen getauscht. Auch Hermann sah jetzt anders aus und die Hand, die er Edda reichte, als er ihr „Gesegnete Mahlzeit“ wünschte, war heiß. Und dann ruhte ihr Arm auf dem seinigen und sie schritt neben ihm durch den Saal, mit einem Gefühl völliger Sicherheit. Frei blickte sie mit glänzenden Augen von der Seite zu ihm auf.

„Mir ist, als träumte ich,“ sagte sie leise, nachdem sie dem Gedränge der sich zum Tanz anschickenden Paare entronnen und in ein anstoßendes menschenleeres Zimmer gelangt waren. „Freilich, ich weiß genau, daß es der Einfluß des Weines ist, den ich nicht gewohnt bin, und morgen werde ich mit Kopfschmerz büßen müssen.“

Langsam ließ sich Edda auf einen Sessel nieder. Von draußen tönte, durch die Portieren gedämpft, die Musik zu ihnen herein. Hermann lehnte dicht neben Edda an einem Tisch. Sie hob den Blick voll zu ihm auf. Er fühlte, während sie einigemal tief atmete, dies kurze Anschauen wie eine Macht, gegen die er sich nicht wehren mochte.

„Wissen Sie, daß diese Balltoilette Sie außerordentlich gut kleidet, daß Sie ganz wundervoll aussehen?“ flüsterte er ihr zu, einer plötzlichen Regung gehorchend.

Sie schloß langsam die Augen, die langen Wimpern senkten sich dunkel, tief auf die Wangen, ein träumerisches Lächeln spielte um ihren Mund. Für Hermann war dies Gesicht unvergleichlich achön, wie es jetzt langsam, wie schlaftrunken auf die Lehne des Sessels zurücksank.

Eine ganze Weile blieb sie so. Hermann wurde unruhig. Was hatte sie? War sie ohnmächtig? Wußte sie von sich? Er faßte leise ihre Rechte; sie war kalt.

Mein Gott, wenn jemand sie so fand, hier mit ihm allein! Unwillkürlich beugte er sich dicht über ihr Gesicht und rief gedämpft ihren Namen, in der Verwirrung sogar den Vornamen.

„Edda!“

Diese halb geöffneten weichen Lippen, zwischen denen kaum sichtbar die weißen Zähne schimmerten! Wer diesen Mund küssen dürfte! schoß es ihm durch den Sinn. Ein scheuer Blick nach der Thür und er senkte seine Lippen auf die ihren. Kein Atemzug Eddas, keine Bewegung, daß sie empfand, was geschah.

Eine Sekunde seligen Vergessens, dann taumelte Hermann in die Höhe. Wie unritterlich, das zu thun, wie unüberlegt! Er stürzte hinaus, fand nach einigem Suchen Lore und flüsterte ihr einige Worte zu.

Diese blickte ihm eigentümlich prüfend in das erhitzte Gesicht. „O, das kommt schon vor, es wird nichts Schlimmes sein! Wo ist sie?“

Er deutete nach einer Thür. Als Lore eintrat, saß Edda aufrecht auf ihrem Stuhle, die Augen wie geistesabwesend starr vor sich hin gerichtet.

„Mir sagte soeben mein Schwager, Sie seien nicht wohl. Soll ich Ihren Vater holen, liebe Edda?“

„Nein, nein, bitte nicht! Das würde ihn beunruhigen! Nur Wasser!“ stammelte diese, sich mit beiden Händen an die Stirn fassend.

Eilig besorgte Lore das Gewünschte. Als schüttle ihre Glieder ein innerer Frost, so schauderte Edda zusammen.

„Kommen Sie, liebes Kind, hier nebenan ist mein Ankleidezimmer! Legen Sie sich dort auf das Ruhebett, ich werde in einer Viertelstunde wiederkommen.“

Wortlos, wie ein gehorsames Kind folgte Edda den Anordnungen der Freundin, die ihr das Zimmer öffnete und dann hinausging. Sie atmete auf und warf sich auf die Chaiselongue. Dieses gräßliche Kleid, die ungewohnte Umgebung, die Lichter, die Hitze und der Wein – das alles war schuld! Sie suchte sich darauf zu besinnen, was vorgegangen war. Hatte ihr nicht jemand gesagt, daß sie schön sei? O ja, sie erinnerte sich – sie hatte erwidern wollen, es sei ihr höchst gleichgültig. Ob sie aber wirklich

diese Worte gesprochen hatte, wußte sie nicht mehr. Hernach war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_534.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)
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