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Seite:Die Gartenlaube (1894) 556.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Vom VIII. deutschen Turnfest in Breslau.

Skizze von G. A. Weiß.0 Mit Zeichnungen von F. Müller-Münster.

Ueberreichung des von Breslaus Frauen gestifteten Fahnenbandes.

Die Breslauer Turnvereine, die städtischen Behörden und die Bürgerschaft hatten sich schon seit langer Zeit mit erfreulicher Einmütigkeit zu umfassenden Vorbereitungen für das deutsche Turnfest in Breslaus Mauern zusammengefunden. Galt es doch, zu zeigen, was die Hauptstadt Schlesieus vermag! Eine schöne Begeisterung durchglühte die hundertfältige Arbeit, und als alles fertig war, da leistete man sich zur „Generalprobe“ eine ganze Breslauer Vorfestwoche; und siehe, es klappte alles!

Der am Südende der Stadt, am Ausgange der prächtigen Kaiser Wilhelmstraße sehr glücklich gelegene Festplatz mit der dahinter improvisierten „Vogelwiese“ bot schon mehrere Tage vor dem Beginn des eigentlichen Festes ein eindrucksvolles und fesselndes Bild turnerischen Lebens und heiteren Treibens. In der geschmackvollen und geräumigen Festhalle wogte Abend für Abend eine überaus fröhliche Menge und lauschte den Festspielen. Die den Festplatz als schöner architektonischer Kranz umgebenden Tempel des Bier- und des Weingottes waren Zeugen der altangestammten Breslauer Lebenslust.

Ringkämpfer.

Der 21. Juli, welcher die fremden Turner unter schmetternder Marschmusik mit wehenden Bannern einrücken sah, fand die Wratislavia in froher Hast bei der Toilette. Mit tausend Händen ward gehämmert und gerichtet, vorbereitet und geschmückt. Breslaus Bewohner waren so ganz bei der Sache, daß sie für anderes kaum noch Sinn hatten, und die Breslauer Gemütlichkeit eroberte sich im Sturm die Herzen der fremden Gäste.

Die Eröffnungsfeier am Abend in der Festhalle gab dem Oberbürgermeister Bender, dem kommandierenden General v. Lewinski, dem Oberpräsidenten v. Seydewitz und Prof. Dr. Böthke-Thorn Gelegenheit, schöne und wahre Worte über die nationale Bedeutung der deutschen Turnfeste zu sprechen. Der Jubel der Versammelten und allgemeine Lieder bildeten gewissermaßen den Chor des rhetorischen Stückes, das sich auf der Bühne abspielte. Erhebende Augenblicke bildeten die brausenden Hochrufe auf die beiden Kaiser Wilhelm und Franz Josef, die Uebergabe des Bundesbanners durch Wenzel-München an die Stadt Breslau und die Ueberreichung des von den Breslauer Frauen und Jungfrauen gestifteten prachtvollen Fahnenbandes, das ein Stadtratstöchterlein mit poetischem Gruße übergab. Nach Schluß des hübschen Biberfeldschen Festspiels „Pallas und Germania“ war kein Halten mehr. Die linde Sommernacht lockte hinaus ins Freie, wo die Bierquellen sprangen, Fluten elektrischen Lichts sich über die wogende Fröhlichkeit ergossen und auf dem Tanzboden überschäumende Jugendlust sich austollte.

Hantelübungen der Frauen.

In goldenem Sonnenglanze erstrahlte die Frühe des Sonntags, des 22. Juli. Die stolze Wratislavia stand im bunten Festschmuck, des herrlichen Schauspiels harrend, das sich drüben in der Odervorstadt vorbereitete, des Festzuges. Ein lauer Wind spielte mit den zahllosen von den alten Giebelhäusern und den modernen Renaissancepalästen niederwehenden Fahnen und mit den über die Straßen sich schwingenden Gewinden. Und empor in die von Festlust erfüllte Luft drang das Branden der Menschenwogen, die sich durch die Straßen wälzten, um sich allmählich zu lebendigen Mauern zu verdichten.

Um elf Uhr rückte die Spitze des Zuges, dessen leitender Gedanke war: die Verbrüderung aller deutschen Gaue, über die prächtige Universitätsbrücke gegen das in die innere Stadt mündende Kaiserthor heran, über welchem in buntem Wappenschmuck das weithin leuchteude „Salve“ der alten Hochschule, der „Leopoldina“ grüßte. Es war ein farbenglühendes, von Schönheit, Kraft und Leben strotzendes Wandelbild, das im Verlaufe von anderthalb Stunden an den entzückten Blicken vorüberzog. Auf dem ganzen langen Wege durch die Schmiedebrücke, Albrechts-, Post- und Ohlauerstraße, Schuhbrücke, den Hintermarkt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_556.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2023)
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