Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Bruder – dieser gebeugte Mann mit den vorhängenden Schultern, dem glanzlosen Blick?
„Du willst mir nicht die Hand geben, Hermann?“
„Nein.“
„Nie wieder?“
„Nein.“
Bruno lachte leise, unheimlich in sich hinein. „Ja, ja, Du hast recht! Ich hätte mich nie an Dich gewendet, lieber tot als das. Aber die Lore wollte es durchaus. – Hier,“ er zerrte einen Koffer heran und versuchte lange vergeblich, mit den von der Kälte starren Fingern den Schlüssel ins Schloß zu bringen. Endlich gelang es. „Da, da! Sieh hier!“ Es raschelte im Koffer unter seinen Händen. Goldstücke rollten heraus. „Hier, hier, gute Staatspapiere! Mehr, viel mehr als meine Schuld betrug!“ Er riß ein Bündel Papiere heraus und warf sie auf den Tisch.
„Wo hast Du das Geld her?“ schrie Hermann auf und krampfte seine Hand um die Schulter des Bruders, so daß dieser scheu zurückwich.
„Ja, ja, Hermann – heute mir, morgen Dir! Ich komme von Monaco, die dreißigtausend Mark haben schnell Zinsen getragen – alles ehrlich erworben!“
„Ehrlich erworben!“ stöhnte Hermann. Ein unsagbarer Ekel stieg in ihm auf.
„Ich hatte gerade noch eine Woche Zeit, als das Geld. von Dir ankam. Meine Ehre war zwar gerettet – –“
„Deine Ehre, Bruno?“
„Ja – nein . . . doch einerlei! Meinetwegen die Deine und die der Familie! Aber was half das mir? Wir wollten doch nicht hungern, Du, die Lore und der Junge. Da blitzte mir der rettende Gedanke durch den Kopf: nach Monaco!“ Seine Augen begannen fieberhaft zu glänzen, seine Finger krümmten sich unwillkürlich. „O – und ich gewann, gewann immerfort, ohne Aufhören!“
„Und wenn Du verloren hättest?“
„Dann hätte ich mich totgeschossen!“
Ein Lachen gellte durch das Zimmer, grauenhaft, gespenstisch. „Dann schossest Du Dich wirklich tot? Ha, ha, ha!“
Bruno nickte nur stumpf mit dem Kopfe. Eine Weile blieb es still.
„Und das Sündengeld soll uns retten?“ Mit raschem Griff riß Hermann die Papiere an sich und trat vor den Kamin. Bruno folgte mit den Blicken den Bewegungen des Bruders. Schon hob dieser den Arm den züngelnden knisternden Flammen entgegen.
„Bist Du wahnsinnig?“ Mit einem Sprung hatte Bruno den Bruder erreicht und umklammerte mit wilder Energie dessen Handgelenk. Hermann blickte ihn eigentümlich von der Seite an. „Ja Du hast recht! Du willst weiterleben! Warte.“ Er öffnete die Päckchen und begann die Papiere zu zählen. „So, hier – dreißigtausend Mark! Da – das andere magst Du behalten! Dies hier ist nur die Deckung für eine häßliche Schuld unseres Vaters.“
„Was redest Du?“ fragte der jüngere Bruder unsicher.
„Nun ja, um diese Summe hat er jemand gebracht, als er noch jung war. Nur eine Schwäche, eine kleine Schwäche – Du weißt, das liegt bei uns so in der Familie –“
„Das verstehe ich nicht.“
„Ist auch nicht nötig.“
Im Gang ertönte des kleinen Edgar helle Kinderstimme. „Laßt mich – ich will zu Papa! Papa! Papa!“
Bruno sprang zur Thür, aber des Bruders Rechte fiel ihm hart auf die Schulter. „Laß!“ Hermann ging selbst zur Thür und rief hinaus: „Geh zu Bett, Edgar! Dein Vater kann Dich heute nicht sehen, er ist schon schlafen gegangen.“
„Wie die Mama?“ fragte das Kind von außen. Hermann zog, ohne Antwort zu geben, die Thür zu.
„Wo ist Lore?“ fragte Bruno, sich willenlos fügend.
Mit einem Ruck fuhr Hermann herum und starrte entsetzt zum Bruder hinüber. „Warst Du nicht wieder in Brüssel? Hast Du meinen Brief nicht erhalten?“
„Nein, ich fuhr geradeswegs von Monaco hierher, habe nur in Paris das Geld in Papiere umgesetzt. Aber, was blickst Du mich so an – ist sie nicht wohl?“
„O ja, ihr ist sehr wohl!“ kam es dumpf zurück. „Wenn Du sie suchen willst – sie ruht neben der Mutter!“
Ein gurgelnder Laut, ein qualvolles Stöhnen tönte durch das Zimmer. Kraftlos ließ sich Bruno auf einen Sessel sinken. „Wie starb sie?“ fragte er endlich heiser.
„Ruhig und friedlich.“
„Hab’ ich sie gemordet?“
Keine Antwort.
„Sprach sie von mir? Wünschte sie nicht, mich noch zu sehen?“
„Nein. Sie hat mir Euren Knaben anvertraut, mir – nicht Dir!“
„Hermann!“ schrie Bruno und sprang auf. „Das Kind gehört mir! Kein anderer hat ein Recht darauf!“
„Dir gehört es, dem Spieler und Fälscher?“ klang es erbarmungslos zurück. Da knickte Bruno zusammen, als träfe ihn ein Dolchstoß mitten ins Herz. Fast wollte Hermann ein Mitleid überkommen beim Anblick der gebrochenen Gestalt da vor ihm.
„Laß genug sein, Bruno, geh – Du hast keine Heimstätte mehr hier! Nimm das Geld! Hast Du den Abschied eingereicht?“
„Nein, noch nicht.“
„So thu’ es hier, gleich, sofort!“
Etwas wie Trotz flog über Brunos Gesicht, aber rasch verschwand dieser Ausdruck unter dem kalten Blick Hermanns. Willenlos setzte er sich an den Schreibtisch. „Was soll ich schreiben? Ich weiß nicht, welchen Grund ich anführen soll.“
„Schreibe!“ Im Zimmer auf und abgehend, diktierte ihm Hermann das Gesuch. „So, das wäre fertig, ich werde alles Weitere selbst besorgen – ich reise morgen nach Berlin. Nimm Dein Geld, vielleicht hilft es Dir irgendwo ein anderes Leben beginnen!“
Brunos Wille war wie gebrochen. Er packte die Papiere hastig in den kleinen Handkoffer und setzte den Hut auf.
„Leb’ wohl, Hermann!“
Dieser übersah die zitternde Bruderhand, die sich ihm entgegenstreckte; Bruno schauderte zusammen, dann trat ein Zug wilden Trotzes in sein Gesicht. Eine rasche Wendung – er war hinaus.
„Bruno!“ stöhnte Hermann auf, die alte Liebe zu dem Bruder erwachte noch einmal. Er sprang ans Fenster, dort unter den Bäumeu verschwand in der Ferne eine dunkle Gestalt. Er wollte das Fenster aufreißen, rufen – nein, nein, wozu? Seine Hand sank schlaff herab.
Am andern Tage reiste Hermann nach Berlin, er reichte den Abschied des Bruders ein und beauftragte ein Bankgeschäft, in seinem Namen dreißigtausend Mark an den Doktor Helm auszuzahlen.
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Es war still geworden in Weßnitz. Selbst Edgar schlich sich aus dem öden Hause zu dem Kutscher und den Knechten in den Stall. Dort wurde doch noch hier und da ein Lied gepfiffen, wenn auch nur gedämpft. Es war, als lagere ein Alp über allem.
Den Gutsherrn hatte keiner der Dienstboten wieder gesehen, seit er von Berlin zurückgekehrt war. Nur der alte Johann war um ihn und dieser schwieg auf alle neugierigen Fragen.
Vor drei Tagen war der Bankier dagewesen und vorgelassen worden.
„Also, Herr von Weßnitz, Sie verzichten auf jegliche Hilfe? Sie wollen das Gut fallen lassen? Es ist schade drum; es wäre zu retten gewesen – mit Arbeit, mit schwerer Arbeit.“
„Ja, ich verzichte auf alles, auch auf Ihre edle Hilfe, Herr Weber! Hier dieser Händedruck muß mein Dank sein; mehr kann ich nicht geben. Den Verkauf des Gutes, die Versteigerung des Inventars lege ich in Ihre Hände. Vielleicht bleibt soviel, daß ich mit dem Rest die Erziehung meines Neffen sicherstellen kann.“
„Wollen Sie nicht wieder in die Armee eintreten?“
„Nein!“ Hermann lächelte grausam. „Mein König braucht andere Leute, als ich es sein kann.“
Der Bankier blickte ihn besorgt an. „Ich will die Zinsen auf die letzte Anleihe drei Jahre lang stunden, Herr von Weßnitz.“
„Nein, nein – weg! Ich will nicht!“ fuhr Hermann auf, als wollte er eine Versuchung von sich abwehren.
Kopfschüttelnd war der alte Herr gegangen. –
Hermann hielt die Vorhänge geschlossen; in dieser künstlich geschaffenen Dämmerung ruhelos umherwandernd oder brütend im lederbezogenen Lehnstuhl, verbrachte er seine Tage. Dumpf grübelte er über die Zukunft, eine unbezwingliche Apathie schien seine Nerven gelähmt und ihm selbst die Kraft genommen zu haben, überhaupt irgend einen Entschluß zu fassen.
Gutskäufer, die von dem bevorstehenden Verkauf von Weßnitz gehört hatten, kamen, den Besitzer selbst zu fragen, er wies jeden
ab. So war eine Woche seit Brunos Abschied vergangen. Es war
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_584.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)