Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Die Liebhaberphotographie.
Vor einiger Zeit wurde öffentlich die Frage aufgeworfen, wer wohl von den jetzt lebenden „Amateuren“ die Photographie am längsten betreibe. Die „Photographische Rundschau“ teilte als Antwort auf diese Frage mit, daß ihres Wissens der berühmte Indienreisende Dr. Jagor in Berlin der Nestor der Liebhaberphotographen sei, denn er betreibe diese Kunst bereits seit dem Jahre 1849. Ist dies richtig, dann ist die Liebhaberphotographie ungefähr ebenso alt wie die Photographie selbst. Aber in den früheren Jahrzehnten waren die Jünger der ersteren recht selten, man merkte in der Oeffentlichkeit wenig von ihrem Wirken und Schaffen; erst seit einem Dutzend Jahre etwa ist die Zahl plötzlich angewachsen; mit einem Mal begegnete man einer Schar von Leuten, die nicht des Erwerbs wegen, sondern zum eigenen Vergnügen photographierten, auf den Höhen der Berge bis zu der Gletscherregion hinauf und am Strande der See, in stillen Hausgärten, selbst in der Enge der häuslichen vier Pfähle und in dem lauten Volksgetümmel großstädtischer Straßen. Das Photographieren wurde sozusagen Mode und der Liebhaberphotograph zu einer volkstümlichen Gestalt. Er, der ohne Erlaubnis seine Nächsten als Modelle für seine Lichtbilder benutzte, wurde zum Wiedervergelt selbst als Modell herausgegriffen – von Zeichnern sowohl wie von Schriftstellern, die mit Humor seine kleinen Schwächen aufdeckten; er wurde als ein neuer Typus des 19. Jahrhunderts in Skizzenbüchern und Novellen verewigt. Welcher von unsern Lesern würde sich nicht mit Vergnügen des „Amateurphotographen“ erinnern, dessen Bild Hans Arnold mit so köstlicher Laune in der „Gartenlaube“ gezeichnet hat?
Zwei Fortschritte waren es, welche Ende der siebziger Jahre die Liebhaberphotographie, wenn nicht ins Leben riefen, so doch zum raschen Emporwachsen brachten. Früher mußte der Photographierende seine Platten selbst zubereiten und mit ihnen arbeiten, so lange sie noch feucht waren; erst allmählich kamen die lichtempfindlichen Trockenplatten auf, und nachdem das Bromsilbergelatine-Verfahren die Feuerprobe bestanden hatte, konnten die Platten fabrikmäßig hergestellt werden. Das Photographieren wurde bei weitem müheloser. Zugleich gelang es der Wissenschaft, die Empfindlichkeit der Platten wesentlich zu steigern; die Augenblicksphotographie blühte auf. Während früher nur unbewegliche Gegenstände aufgenommen werden konnten und Bildnisse nur von den Menschen gelangen, die sich bequemten, vor dem Apparat zu sitzen, war nunmehr ein mit geeigneter Kamera ausgestatteter Liebhaber der Lichtkunst imstande, Menschen im Laufe und Vögel im Fluge zu photographieren. Mit Trockenplatten im Tornister, wanderte er nunmehr über Berg und Thal und steckte die schönsten Ansichten in die Tasche, mit der Moment- oder Geheimkamera stürzte er sich in das volle Leben hinein und erbeutete Augenblicksbilder aller Art.
Das Neue übt auf die Menschen einen großen Reiz aus, und neu war damals das Photographieren ohne Vorbereitung, ohne Lehrkurse und ohne ein ständiges Atelier. Tausende und Abertausende rüsteten sich mit photographischen Apparaten aus, die bald in großer Zahl vorhanden waren, da die Fabrikanten den äußerst günstigen Augenblick wahrnahmen und dem Bedürfnis der Zeit mit größtem Eifer entgegenzukommen suchten. Da erwies sich nun, daß die Liebhaberphotographie ein gar eigenartiges Steckenpferd sei, das mit dem Reiter leicht durchgeht und ihn in tollem Lauf ungeahnten Zielen entgegenträgt. Dieser Reiter zeigte sich so recht als ein Kind unseres nervösen, hastenden und jagenden Jahrhunderts. Er hatte den Apparat, die Platten, Schalen und Chemikalien gekauft und mußte nun Aufnahmen machen. Die Landschaft, die still hält, genügte ihm nicht, er wollte den Berufsphotographen ersetzen und ging daran, sein Familienalbum zu bereichern. In wie vielen Häusern lebt nicht heute die Erinnerung an die Wochen fort, da der Vater, von dem Photographierfieber erfaßt, die Familienmitglieder, alt und jung, zum Sitzen zwang, da er, um die Mutter mit dieser brotlosen Kunst auszusöhnen, an das schwierige Unternehmen ging, den zappelnden jüngsten Buben auf die Platte zu zaubern!
Für die Hausfrau sind die Geduldsproben noch das Wenigste. Ein kluger Gatte weiß sie auch abzukürzen, indem er des Nachts beim Magnesiumlicht Aufnahmen macht. Die Beleuchtung wird ihm nicht schwer, er hat ja eine große Wahl zwischen verschiedenen gefahrlosen und gefährlichen Blitzlichtgemengen und mehr oder weniger praktischen Blitzlichtlampen; aber die Verwertung des künstlichen Lichtes zeigte sich in der Praxis doch nicht so einfach. Die Wirkung von Licht und Schatten mußte eingehend studiert werden, und nachdem diese Klippe überwunden war, machte der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_604.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2023)