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Seite:Die Gartenlaube (1894) 610.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

fünf bis zwölf Jahren, alle mit blutenden Nasen, der älteste mit einer tüchtigen Beule vor der Stirn, aber alle wie die Besessenen schreiend.

„Wo ist Else?“ rief Werner und hielt die abgesträngten Pferde noch fest.

„Fräulein kommt zu Fuß nach!“ stöhnte der Knecht der jetzt angehinkt kam. „Ich glaube, ich habe mir das Bein gebrochen –“

„Hummel,“ schnaubte Werner ihn an, „zum ersten Oktober zieht Er! Einen Esel, der nicht fahren kann, den kann ich nicht gebrauchen. Versteht Er? Mir ist das nie passiert!“

Der Knecht sah ihn giftig an. „Na, gottlob, wenn Sie kündigen, brauch’ ich nicht wegzulaufen. Ich hab’s lang’ satt –“

Da klang eine helle erstaunte Stimme durch all den unerfreulichen Lärm. „Aber mein Gott, was ist denn das?“

In der Einfahrt stand ein junges Mädchen, die Heuharke über der Schulter, den großen Strohhut zurückgeschoben, und sah aus klaren Augen auf den Wirrwarr. Eine schöne stattliche Gestalt und ein Gesicht dazu, daß man’s sobald nicht vergaß.

„Schnell, Else, es hat ein Unglück gegeben, aber, gottlob, kein großes; hilf den Jungen!“ rief Werner dem Mädchen zu.

Das mußte die älteste Tochter sein, kein Zweifel, es war Haltung und Gesicht des Vaters in seinen Studentenjahren, nur ins Zartere, Jungfräuliche übersetzt. Mit herzlicher Teilnahme lag mein Blick auf ihr. Jetzt sah sie auch mich. Aus großen erstaunten Augen schaute sie mich an – anders als vor kurzem die Mutter, nur eine Sekunde; dann war sie bei der Arbeit, tröstend, aufrichtend, ermahnend, tadelnd. Es war ein überaus reizvolles Bild, wie das junge schöne Mädchen auf dem Brunnenrand saß in ihrer einfach ländlichen Tracht, um sich her die weinende Schar, wie sie hier das Blut abwusch, dort die wunde Stirn kühlte und dazwischen mit klarer Stimme dem wieder erschienenen Knecht Befehle gab. Der Vater hatte die Pferde in den Stall gezogen, die Mutter war nicht mehr zu sehen. Ich stand neben Else und half, dem Aeltesten den arg zerschlagenen Kopf zu verbinden. Unsere Hände berührten sich und wir sahen einander in die Augen. Fragend ruhte ihr Blick in meinem.

„Ich bin ein Freund Ihres Vaters von seiner Studentenzeit her und heiße Willmann,“ stellte ich mich vor. „Ich bin gekommen, um ihn zu besuchen – aber ich habe Unglück ins Haus gebracht.“

„Hat mein Vater sich nicht schrecklich gefreut?“ fragte sie leise.

„Ich kam ihm zu unerwartet.“

Sie schlug die Augen voll auf. Was lag alles in dem einen Blick! „Es wird Ihnen bei uns nicht gefallen,“ sagte sie fast flüsternden Tones. „Aber ich bitte Sie – bleiben Sie einige Tage!“

„Aber Sie kennen mich gar nicht, Fräulein Else!“ antwortete ich, und wieder hob sie das Auge, in dem ein köstlicher Ausdruck von Vertrauen lag. „Ich kenne Sie doch,“ sagte sie einfach, „und ich kenne meinen Vater.“ Ich nickte ihr zu. Wir waren Freunde von Stund’ an, wir zwei, Else und ich. Sie neunzehn Jahre, ich dreiundvierzig. Ganz ungefährlich!

Da trat Werner zu uns. Es lag ein anderer Ausdruck auf seinem Gesicht, etwas wie Stolz und Freude. „Mein ältestes Mädel, meine liebe Else!“ sagte er und fuhr ihr mit der Hand über den dunklen Scheitel. „Ihr kennt Euch schon durch Euer Samariterwerk?“ Wir bejahten beide.

Nun waren Adolf und Christian und Johannes und Erich gewaschen und überall, wo’s notthat, ausgebessert und trollten sich mit Else.

„Nun, das ging noch gut ab!“ meinte Werner tief aufatmend. „Aber mein armer Siegfried, noch hast Du mit keinem Tropfen Deine Kehle genetzt. Else soll Dir einen Topf voll Buttermilch aus dem Keller holen, das wird Dir gut thun, besser als der verrückte Kaffee meiner Frau. Kaffee – der ist für sie immer das höchste der Gefühle.“ Wieder lag der bittere Zug um seinen Mund. „Und dann soll Else Dir Dein Zimmer zurechtmachen. Hast Du Deine Sacheu bei Dir? Und wie lange bleibst Du?“

„Ich weiß noch nicht. Es kommt auf den Wald an, wie er sich zur Sommerfrische eignet. Thut er das, dann geb’ ich mich in Pension bei Euch.“ Ich dachte an Else. „Das Notwendigste habe ich bei mir, mein Koffer steht auf der Station.“

„Soll morgen geholt werden. Nun komm’!“ – 00000000000000000000


Wir hatten in der Jasminlaube zu Abend gegessen. Frau Elsbeth war im anständigen Hauskleid erschienen, und Else in ihrem lichtblauen Kattunkleidchen, das schöne reiche Haar im Nacken zum Knoten gesammelt, sah reizend aus; ihr Lachen klang wie Lerchenschlag durch die Stille des Abends. Werner war allmählich aufgetaut, und hin und wieder brach ein Strahl des alten Geistes bei ihm durch. Er hatte nur verlernt, wie’s einstmals war. Aber wie konnte das sein? Ich sollte es erfahren.

Es war ein prächtiger Abend geworden nach der Schwüle des Arbeits- und Wandertages. Frau Elsbeth, die während des guten ländlichen Mahles wenig geredet, hatte sich zurückgezogen. Else war ihr gefolgt. Warm hatte ihre Hand noch in der meinen gelegen. „Morgen gehen wir zusammen in den Wald,“ hatte sie fröhlich gesagt, „ich will Ihnen schon Thäler und Quellen zeigen, an denen Sie Ihre Freude haben sollen!“ Dahin ging sie im letzten Abendschein, schlank und jung und frisch.

Werner legte seine Hand auf meine, wie ich ihr so in Gedanken nachsah. „Nicht wahr, Siegfried, es ist schade um das Mädchen hier?“ Fast brutal kam diese Frage heraus.

„Ist es schade um den Sonnenschein. –“

„Wenn er in ein dunkles Kellerloch fällt?“ unterbrach er mich mit kurzem harten Lachen. „Derartiges wolltest Du doch wohl sagen? Und da stimm’ ich Dir allerdings bei, daß er da eigentlich erst recht seinen Beruf erfüllt. Aber komm’, lassen wir die trüben Gedanken! Wollen noch ’mal wieder jung werden. Du bist es noch, ich möcht’s noch sein. Denkst Du daran, daß heute, am 13. Juli, unser Stiftungsfest ist, und wie wir da immer beim Ausritt voransprengten? Wollen heut’ noch ’mal unter uns kommersieren. Komm’ mit mir in den Keller – hab’ da aus alten Tagen noch einen Tropfen liegen, den holen wir heraus! Es ist mir so, als sollten wir miteinander fröhlich sein!“

Mild und weich war die Luft. Von den Wiesen her wehte mit dem leisen Nachthauch der würzige Duft von frischem Heu zu uns herüber. Droben am Himmel stand scharf und klar die Mondsichel, und auf dem Tisch vor uns stand im matten Schein eines Windlichtes der goldige Wein. Werner hob das Glas. „Prosit, Bruder! Was kann das schlechte Leben helfen! Man muß die Feste feiern, wie sie fallen!“ Es kam ihm nicht aus dem Herzen, das Lustigsein. Mit einem Zuge goß er den Wein hinunter. Plötzlich schlug er sich vor die Stirn. „Mensch, ich kann Dir nicht ’mal eine Cigarre anbieten. In meiner apostolischen Armut bin ich auf Havannas nicht mehr eingerichtet, und die Feld- und Wiesencigarre, die ich Dir bieten könnte, die rauchst Du jedenfalls nicht.“

Ich griff in die Tasche. „Hier! Wir haben so oft geteilt, thun wir’s weiter!“

„Vergelt’s Gott!“ sagte er mit einem Lächeln, das mir wehthat. Dann brannte er mit Behagen eine der Cigarren an und blies den duftenden Rauch in die Nachtluft. So saß er da, hintenübergelehnt, und blickte in den Mond. Da kam durch die Nacht her ein helles süßes Klingen, der Ton einer Menschenstimme in dieser tiefen Einsamkeit, weich und klangvoll schallte es zu uns herüber:

„Der Mond ist aufgegangen,
Die güldnen Sterne prangen
Am blauen Himmelssaal,
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.“

Das Lied war verhallt. Else hatte es im Fenster ihres Kämmerleins gesungen. Werner richtete sich auf und fuhr mit der Hand über die Augen. „Wenn ich das Mädel nicht hätte!“ sagte er leise. „Aber komm’ – wir wollten ja lustig sein! Laß uns auch ein Lied singen! Vom Dorfe hört uns keiner, die schlafen alle. Stimm’ an:

      „Es hatten drei Gesellen
      Ein fein Kollegium ...“

Es war der Zauber der Sommernacht, der über uns kam. Wie oft hatten wir zusammen gesungen, er zweite, ich erste Stimme. Und ich stimmte an. Eine Stimme trug die andere, und leise ließ sich der Geist aus alten Tagen auf uns nieder.

„Der trank keinen Tropfen mehr!“

verhallte wehmütig der letzte Ton. Werner schwang die Flasche. „Doch! Es reicht noch für manchen Tropfen heute nacht! Siegfried, gieb Dein Glas her – so! Und nun laß uns noch einmal wie einst im Mai Brüderschaft trinken! Schling’ Deinen Arm in meinen – komm’, liebes und getreues Bruderherz!“

„Ja, Werner, komm’!“ Der Mondstrahl fiel in den goldenen Wein, als wir tranken; wir schüttelten uns die Hände. „Nun bleibt’s auch zeitlebens dabei, nicht wahr, Werner?“

„Ja, das soll’s. Ich laß Dich nicht wieder los. Und nun

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_610.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)
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