verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Doktor Eisenbart. Wer unter den erwachsenen Lesern männlichen Geschlechts hatte in feuchtfröhlicher Stunde nicht auch einmal aus voller Brust und mit viel Behagen in den schönen Cantus eingestimmt:
„Ich bin der Doktor Eisenbart,
zwiwele bim bam bum!
Kurier’ die Leut’ nach meiner Art,
zwiwele bim bam bum!
Kann machen, daß die Blinden geh’n,
zwiwele bum juchheirassa!
Und daß die Lahmen wieder seh’n,
zwiwele bim bam bum!“
Und welche Freude empfand man nicht an den Radikalkuren dieses merkwürdigen Arztes, der Zahnweh durch Herausschießen des hohlen Zahnes, Podagra durch Abschneiden der beiden Beine auf ebenso einfache als gründliche Art für immer zu heilen verstand!
Daß dieser Doktor Eisenbart durchaus keine nur der Sage angehörende Persönlichkeit ist, sondern seiner Zeit in Fleisch und Blut auf dieser Erde wandelte, das wissen die älteren Leser der „Gartenlaube“ u. a. aus dem interessanten Aufsatz von R. Koser im Jahrgang 1875 dieses Blattes, worin ein eigenhändiger Brief des „Joh. Andreas Eysenbarth, Med. & Operator aus Magdeburg“ mitgeteilt ist. Es wird ferner bezeugt durch seinen Grabstein, der an der nördlichen Außenseite der St. Aegidienkirche zu Hannöverisch-Münden heute noch eingemauert steht.
Der Magistrat dieser Stadt hatte die Freundlichkeit, einen Gipsabguß dieses Grabmales für die Grabdenkmälersammlung des Germanischen Museums in Nürnberg zu stiften. Der Grabstein ist ziemlich einfacher Art. Oben halten zwei etwas plumpe Engel das Wappen unseres Freundes, das einen Strauß zeigt mit einem Hufeisen im Schnabel, was hoffentlich keine Anspielung auf die Arzneimittel sein soll, die Doktor Eisenbart verschrieben hat. Darunter findet sich folgende Inschrift:
„Alhir ruhet in Gott der weiland hochedle, hocherfahrne weltberüm. Herr, Herr Joh. Andreas Eisenbart, Königl. Grosbritanischer und Churfürstl. Braunschw. Lüneb. brivilegirte Landartzt, wie auch Königl. Breussischer Raht und Hofoculiste von Magdeborg. Gebohren Anno 1661, gestorben 1727 d. 11. Novemb. aetatis 66 Jahr.“
Nach den Titeln, die der Herr führte, scheint er für seine Zeit ein gesuchter Arzt gewesen zu sein, trotzdem er seine Kunst in einer für unsere Begriffe wirklich marktschreierischen und charlatanhaften Weise betrieb; man wird ihn deshalb auch in medizinischen Nachschlagewerken vergebens suchen; nicht in der Wissenschaft, sondern im deutschen Liede lebt er fort und wird er fortleben, so lange deutscher Humor, deutsche Sangesfreudigkeit nicht erstorben sind, wovor uns Gott in Gnaden behüten möge!
Wie Doktor Eisenbart zu der Ehre gekommen ist, durch dieses Lied verewigt zu werden, wird sich nur schwer feststellen lassen. Doch scheint das Lied, wie es jetzt meist gesungen wird, teils älter, teils jünger zu sein als Eisenbart selbst. Das Germanische Museum bewahrt unter seinen Flugblättern ein Spottbild auf einen marktschreierischen Arzt, das der Zeit um 1660, also der Geburtszeit Eisenbarts angehören dürfte und auf dem sich Verse finden, die gerade so beginnen wie das Lied vom Doktor Eisenbart. Sie lauten:
„Ich bin der Doctor von Calabrian,
Der den wurm schneid und destilliren kan,
Dem die würm, mücken undt Hasen plagen
Will ich ein Remedium bald sagen.“
Der Marktschreier befreit den einen Patienten von diesen Plagen durch Anzapfen des Leibes, den andren dadurch, daß er ihn in ein Wasserbad setzt und die Grillen, die ihn plagen, aus ihm heraus „destilliert“. Der erste dieser Verse scheint mir die Grundlage zu dem Eisenbartliede zu sein, und es spricht für Eisenbarts weitverbreiteten Ruf, daß ihm später der Doktor von Calabrian weichen mußte. Dann ist wohl Schritt für Schritt im Laufe der Jahrhunderte etwas hinzugedichtet, anderes weggelassen worden, bis es nach und nach seine heutige, in Einzelheiten freilich immer noch verschiedene Fassung erhielt. Daß das Lied Anachronismen, zeitliche Widersprüche enthält, spricht für unsere Erklärung seiner Entstehung. Einen Anachronismus bilden z. B. die Verse:
„Zu Potsdam trepanierte ich,
Den Koch des großen Friederich;
Ich schlug ihm mit dem Beil vor’n Kopf,
Gestorben ist der arme Tropf.“
Natürlich konnte Doktor Eisenbart, der 1727 gestorben ist, dem „Koch des großen Friederich“ nichts mehr anthun, da Friedrich der Große erst 1740 zur Regierung kam. Auch der Vers von dem Mann zu Ulm, der gerne „gekuhpockt“ sein wollte, dürfte kaum vor Doktor Jenners Tagen, d. h. also vor dem Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sein. Aber die Erkenntnis dieser Widersprüche wird daran nichts mehr ändern, daß Doktor Eisenbart für alle Zeiten als der größte aller Quacksalber und Charlatane – dank jenem schönen Liede – betrachtet werden wird. Hans Bösch.
Slowakische Spielwarenhändlerin. (Zu dem Bilde S. 597.) Die Heimat des slawischen Volksstammes der Slowaken im nordwestlichen Ungarn ist von der Natur keineswegs reich ausgestattet. Mühsam ringt der slowakische Bauer dem Boden kargen Ertrag ab, und ein großer Teil des Volkes sucht sich draußen in der Welt seinen Unterhalt, indem er mit Leinwand, Mausefallen, Spitzen, Glas- und Kinderspielwaren u. dergl. hausieren geht. In ganz Oesterreich insbesondere sind die wandernden slowakischen Händler wohlbekannte Gestalten, nicht alle aber sind sie so hübsch und anziehend wie das Mädchen, das unser Bild darstellt. Ihr freundliches Gesichtchen unterstützt die bittenden Worte, mit denen sie allerlei Kindertand zum Kaufe anbietet, und man darf glauben, daß es ihr an Absatz nicht fehlen und daß sie am Ende ihrer Fahrt einen hübschen Spargroschen mit nach Hause bringen wird.
Wettangeln an der Oberspree. (Zu dem Bilde S. 600 und 601.) Wenn man an einem schönen Sommermorgen Berlin auf einem der Spreedampfer verläßt, die den Ausflügler ostwärts ins Freie führen, zu den reizenden Ansiedlungen und Vergnügungsorten längs der Oberspree, dann kann man dort, wo der Fluß die Stadt zu verlassen beginnt, am grünen Ufer eine endlose Reihe von Booten sehen, mit großer Regelmäßigkeit die Spitze auf den Strand gezogen, so daß das Steuerende frei ins Wasser hineinragt. Männer in regloser Haltung sitzen oder stehen in den Booten, eine lange Gerte in den Händen. Es sind Leute, die dem Sport des Angelns obliegen. Namentlich ist es jene Uferpartie der oberen Spree, die an der Oberbaumbrücke, bald nach der bekannten Pfuelschen Schwimmanstalt, beginnt, das Ufergebiet des Schlesischen Busches und des städtischen Villengeländes bis nach Treptow hin, das von den Freunden des Angelsports aufgesucht wird. Wie alles in Berlin, was sich auf irgend einem Gebiet zu gemeinsamer Beschäftigung zusammenfindet, sich zu Vereinen zusammenschließt, so giebt es natürlich auch mehrere Anglervereine, deren Mitglieder mit eifriger Beflissenheit und geradezu engelhafter Geduld dem Sport des Fischangelns mehrere Stunden des Tages oder richtiger des allerfrühesten Morgens widmen. Und wie jeder Kegelklub oder Ruderverein sein Wettkegeln oder Preisrudern hat, so natürlich auch jeder Berliner Anglerverein sein Wettangeln. Zu diesem Zweck begeben sich die „Angelbrüder“ bereits um Mitternacht auf ihre Fangplätze und werfen ihre Angeln aus. Schweigend sitzen oder stehen sie da, als gälte es einem großen Thun, und in gespannter Erwartung hinter ihnen Frauen und Kinder, im Festkleide, die den frühen Anglern den Morgenkaffee und das Frühstück nachgebracht haben, so daß sich der Uferrasen fast zum Volksfestplatz gestaltet. Plötzlich – allerdings oft erst nach stundenlangem Zuwarten – ein Jubelruf aus dem Munde eines der Sportbeflissenen: er hat den ersten Fisch an seinem Angelhaken! Es ist gleich, ob es ein brauchbarer Plötz oder Barsch oder gar ein stattlicher Hecht oder ob es nur ein ganz wertloser kleiner Weißfisch ist, den der glückliche Angler herauszieht – er hat den ausgesetzten Preis erobert, denn die erste Beute hat er gehabt. Ob verwertbar oder nicht, wenn es nur ein Fisch war, der an seinen Köder angebissen hat. Der gewonnene Preis stellt oft einen höheren Wert dar, als der Gewinner jemals in täglich sechsstündiger geduldiger Sitzung auf seinem Boot an Fischen erangelt hat.
Am Parkgitter. (Zu unserer Kunstbeilage.) Gewiß ist es nicht reiner Zufall gewesen, daß der junge Mann in der Tracht der Wertherzeit seine Schritte in der Nähe des prächtigen herrschaftlichen Parkes vorüberlenkte. Zu gut weiß er, daß unter den alten rauschenden Bäumen eine blonde Elfe ihren Lieblingsplatz hat und daß bei der Wahl gerade dieses Lieblingsplatzes wohl ein Stückchen romantische Naturschwärmerei mitgesprochen hat, noch mehr aber die bequeme Nähe des Gitters, an dem der Freund so oft vorübergeht. Auch heute haben beide nicht umsonst auf ein süßes Plauderstündchen gehofft. Hold neigt sich die blonde Jungfrau zu dem schlanken Jüngling herab. Was sie einander zu sagen haben, wir können es nicht hören; aber erraten können wir’s aus dem Blick dieser Mädchenaugen, die sich tief in die des Freundes senken, aus dem leisen Druck, mit dem sie die Finger ihrer Linken auf seiner Hand ruhen läßt. Und die alten Bäume, die der Elfe Lieblingsplatz schützend umhegen, müssen es sich gefallen lassen, daß das Herz ihrer Herrin ihnen nicht mehr allein gehört.
Wilhelm Amberg, der Schöpfer unseres Bildes, zählt zu den hervorragendsten Genremalern der Gegenwart. Er ist 1822 zu Berlin geboren, hat dort seine erste Ausbildung als Künstler erhalten und sich nach Vollendung seiner Studien in Paris und Italien in seiner Vaterstadt niedergelassen. Sein Hauptwerk „Vorlesung aus Goethes Werther“ befindet sich in der Nationalgalerie zu Berlin.
Inhalt: Um fremde Schuld. Roman von W. Heimburg. S. 597. – Slowakische Spielwarenhändlerin. Bild. S. 597. – Wettangeln an der Oberspree. Bild. S. 600 und 601. – Das Rätsel der Hydra. Regenerationserscheinungen im Tierreiche. Von Robert Franceschini. S. 602. Mit Abbildungen S. 602 und 603. – Die Liebhaberphotographie. Skizze von C. Falkenhorst. S. 604. Mit Abbildungen S. 604, 605 und 606. – Wandlungen. Novelle von Gerhard Walter. S. 607. – Das Telldenkmal für Altdorf. Bild. S. 609. – Blätter und Blüten: Das Telldenkmal für Altdorf. S. 611. (Zu dem Bilde S. 609.) – Doktor Eisenbart. Von Hans Bösch. Mit Abbildung S. 612. – Slowakische Spielwarenhändlerin. S. 612. (Zu dem Bilde S. 597.) – Wettangeln an der Oberspree. S. 612. (Zu dem Bilde S. 600 und 601.) – Am Parkgitter. S. 612. (Zu unserer Kunstbeilage.)
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_612.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)