Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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übergesiedelt. Es giebt ein ägyptisches Quartier mit Kamelen, Eseln und dem obligaten Schmutz, ein syrisches Quartier mit Schwerttänzern, ein türkisches Quartier, ein anamitisches Theater und Gott weiß was sonst noch für orientalische Vergnügungsplätze. Die Zahl der arabischen oder türkischen Cafés ist Legion. Panoramen verschiedener Art, die üblichen Labyrinthe, ein Wiener Prater, eine unzählige Menge von Musikkapellen aller möglichen Nationen sind auf dem linken Flügel der Ausstellungsgebäude zusammengehäuft, während in der äußersten rechten Ecke die Schwimmkünstler Boyton und Pawnee Bill ihre Vorstellungen geben.
An besseren musikalischen Genüssen bietet die Weltausstellung Vorträge recht guter belgischer Militärorchester, während in der Festhalle abends von 8 Uhr ab die Konzerte eines ganz vorzüglichen Symphonie-Orchesters stattfinden.
Ein reizvolles Bild entfaltet sich des Abends, wenn die Dunkelheit hereingebrochen ist. Da flammt es auf an den Wegen und den Einfassungen der Blumenbeete, Lämpchen aus bunten Gläsern leuchten von den Rasenplätzen herüber oder ziehen den architektonischen Linien der Gebäude nach. Ketten von bunten Lampions schwingen sich an hohen Masten empor und die elektrischen Bogenlampen gießen ihre Lichtfülle über das belebte Gelände. Werden dann um 8 Uhr die Räume der eigentlichen Ausstellung geschlossen, dann wogt eine schier unerschöpfliche Menschenmenge durch dieses Meer von Licht den verschiedenen gastlichen Stätten zu. Unsere deutschen Landsleute werden sich da besonders durch vertraute heimatliche Trinkstätten angezogen fühlen. Im Nürnberger „Bratwurstglöckchen“ und in der „Moselburg“ werden sie sich gern die körperliche Erfrischung durch behagliches Verweilen in vaterländischen Erinnerungen würzen.
Wandlungen.
(Schluß.)
Ein Vierteljahr nach Irmgarts Abreise verging,“ fuhr Werner tief aufatmend in seiner Erzählung fort. „Eine traurige Zeit. Abends saß ich unten beim Inspektor und rauchte eine Pfeife nach der andern. Mitunter schaute auch die Wirtschafterin herein und saß ein Weilchen bei uns. Eines Abends kam sie mit rot verweinten Augen. Sie wollte nicht sagen, was ihr sei. Wir gingen zusammen den Gang hinunter, der zu unseren Stuben führte; sie schritt still und gedrückt neben mir her. Vor ihrer Thür faßte ich ihre Hand. ‚Sie haben mir damals Gutes gethan, ich möcht es Ihnen vergelten. Was haben Sie für Kummer?‘
Sie fing an zu weinen. ‚Das kann ich Ihnen nicht sagen!‘
‚Sie sollen’s aber; vielleicht kann ich helfen.‘
Da erzählte sie mir nach vielem Quälen, ihr Vater, ein armer Förster mit vielen Kindern, habe ihr in großer Not geschrieben um fünfzig Thaler, deretwegen ihn einer verklagen wolle, und die hätte sie nicht. Ich zog sie in mein Zimmer, machte Licht, lief zum Schreibtisch, holte das Geld heraus und gab’s ihr in die Hand. Blaß stand sie vor mir; aber mit einem Mal griff sie nach meinen Händen und wollte sie küssen.
‚Lassen Sie das, Elsbeth!‘ bat ich, aber sie ließ es nicht, bis ich den Arm um sie legte und sie mit sanfter Gewalt hinausführte. Sie ging schweigend, gesenkten Hauptes auf ihr Zimmer.
Sie mied mich von jetzt an. Scheu huschte sie an mir vorüber, mit befangenem Gruß, und in die Inspektorstube kam sie auch nicht mehr. Aber auf meinem Tisch oder Pult stand, sobald der alte welk wurde, immer ein Strauß frischer Feldblumen. Nur eines Tages klopfte sie bei mir an und blieb, ein Päckchen in den Händen, dunkelrot und scheu in der Thür stehen.
‚Nun, Fräulein Elsbeth?‘
‚Mein Vater,‘ begann sie zaghaft und hob die Augen – und mit einem Ruck riß sie das Papier ab und legte einen Marderjagdmuff vor mich auf den Tisch. ‚Mein Vater möchte Ihnen danken –‘ Sie atmete tief und schwer. Ich faßte nach ihren herabhängenden Händen, sie gab sie mir und trat einen Schritt näher; aber plötzlich schlug sie die Augen auf und sah mich an – ein wunderbarer Blick – und riß ihre Hände los und stürzte hinaus. Und ich legte das Gesicht auf das weiche Marderfell und seufzte tief auf: ‚Irmgart!‘
Und wieder wich Elsbeth mir aus. Da kam nach Wochen der Inspektor zu mir und brachte eine Einladung von einem Nachbar, einem Landsmann von mir, zu dessen Geburtstag. Es war zufällig auch meiner. Nach drei Tagen sollte die Feier sein. Der Baron und seine Frau waren verreist, ich also mein eigener Herr. So sagte ich zu. Es war mir lieb, der Einsamkeit einmal zu entrinnen. Außer mir hatte man noch jemand eingeladen – meine Nachbarin, Fräulein Elsbeth. Sie war mit der Schwester des Geburtstagskindes drüben befreundet. Ich hatte, wie ich die neue Kunde vernahm – sie erzählte es mir freudestrahlend, als wir uns auf der Treppe trafen – ich hatte das Gefühl, die Sache sei eigentlich nicht ganz standesgemäß. Aber jetzt ablehnen, hätte hochmütig und dumm ausgesehen. Doch zog ich es vor, nicht mit dem Inspektor und ihr zu fahren, als der Tag herangekommen war. Es wäre mir auch sonst nicht möglich gewesen. Ich sehnte mich stürmisch nach einigen Stunden einsamen Gehens. Ohne eine begleitende Zeile war am Morgen meines Geburtstages ein kleines Paket angekommen, aus dem ich ein Lesezeichen herausschälte, auf dessen helle Seide ein Epheuzweig zierlich gestickt war. Ich wußte, von wem allein das kommen konnte, und mit meiner kaum oberflächlich erkämpften Ruhe war’s wieder vorbei. Was hatte das kleine Seidenband wieder an- und aufgeregt! Sie hatte mich nicht vergessen, dachte vielleicht mit derselben Leidenschaft der Stunden, die wir zusammen verlebt, der unendlich seligen Augenblicke, die wir dem Leben abgestohlen hatten und doch blieb sie mir unerreichbar für alle Zeit! Berauscht von Erinnerungen, aufgerührt bis in die Tiefen meines Seins, trat ich nach einem stundenlangen Gang durch den Wald in die lärmende Gesellschaft ein. Lauter brave wetterharte Inspektoren, sattel- und trinkfeste Leute. Mit großem Jubel und Hallo ward ich empfangen. Sie hatten mich alle gern, denn ich konnte ein guter fröhlicher Kamerad sein und lief vor einem Scherz nicht weg. Das gab ein Gratulieren und Händeschütteln und Zutrinken. Mir that das stürmische Wesen wohl; ich mußte aus mir heraus. Ich nahm den Humpen, den man mir reichte, und schwang ihn hoch. ‚Komme den Herren nach!‘ rief ich und setzte ihn an und trank ihn aus in einem langen durstigen Zuge – aber ich trank hinüber in die Ferne. ‚Irmgart, Irmgart – Dir bring’ ich’s,’ zog es mir durch den Sinn. Ich setzte den Krug ab. Da traf mein Blick auf Fräulein Elsbeth, deren Auge mit verschleiertem Ausdruck auf mir lag. Sie sah gut aus: blühend, frisch, und das schwarze Wollkleid umschloß knapp ihre Gestalt.“
Er hielt inne.
„Siegfried –“ und er neigte sich zu mir – „nun kommt meine Beichte. Willst Du sie hören?“
„Ja, Werner!“ sagte ich leise und nahm seine Hand. Um uns war tiefe Nacht; die Mondsichel war schon weit hinabgesunken; der Tisch, auf dem meine Hand in seiner lag, war feucht vom Tau.
„Gut, Du weißt, wie solche Feste verlaufen. Die Braten dampften, die Champagnerpfropfen knallten, die Stimmen schwirrten und polterten durcheinander. Es wurde scharf getrunken, wiehernd gelacht: es wurden Reden gehalten und schallender Handschlag ausgetauscht, und die Geister der rauschenden Lust übermannten die Trauergedanken meiner Seele. Mir gegenüber saß Elsbeth. Die Lebenden haben Recht! – ‚Ihr Wohl, Fräulein Elsbeth!‘ Sie hob ihr Glas und stieß stark mit mir an und sah mich an – und lachte; ein eigentümliches Lachen, es lag etwas Wehrloses darin, und ihr Blick war der einer Sklavin, die die Hände über der Brust faltet. Und Blick um Blick flog herüber und hinüber aus Augen, die der Wein glänzen machte. Da stürzte in die tobende Fröhlichkeit ein Unglücksbote. Unser Inspektor wurde abgerufen; mit dem Reitpferd des Barons war der Stallknecht hergejagt der hochedle englische Hengst, der ein Kapital wert war, der Neid aller Zuchtställe, habe Kolik bekommen.
Mit einem derben Fluch sprang der Inspektor auf. ‚Herr Kandidat, dann müssen Sie auf dem Rückweg kutschieren; Sie können’s ja. Geben Sie nur auf das Sattelpferd acht. Adieu allesamt!‘ Und draußen verhallten die Hufschläge des davon sprengenden Reiters in der Mainacht.
Ja – eine dunkle linde Mainacht war’s, in der ich mit Elsbeth nach Hause fuhr. Wir mußten auf dem Waldweg langsam fahren. Meine Stirn glühte. Still saß das Mädchen neben mir. Ueber uns rauschte der Nachthauch in den Kronen der Fichtenbäume.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_623.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2023)