Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Der Hausherr machte ihm halb scherzhaft Vorwürfe, daß Quintus Camillus ihm neulich seinen Cajus verführt habe.
„Lucius,“ versetzte der Quästor lachend, „ich wäre stolz darauf, wenn ich dem Bacchus einen so glorreichen Priester wirklich erzogen hätte! Dazu aber fehlt so gut wie alles. Vor Deinem Cajus beuge ich demutsvoll dies ruhmstrahlende Haupt. Er zecht für Dreie, Dein Sohn – und weißt Du, mit jener Grazie, die unerlernbar ist. Selbst im Rausch bleibt er noch Herr seiner Anmut!“
Lucius Menenius fühlte sich von den Worten des Quästors unangenehm berührt, zumal ihm tags zuvor ein Brief zugegangen war, der keine Unterschrift trug und nur die Worte enthielt: „Sorge dafür, o Vater, daß Dein Sohn keinen Schaden erleide!“
Cajus galt also, wie es schien, ganz allgemein für ein „Tier von der Herde des Epikur“!
Da nun Menenius absichtlich das Gespräch über Cajus ausspann und einen ernsteren Ton anschlug, merkte er in der That, daß der Quästor von der Befähigung und dem Charakter des jungen Mannes keine sehr glänzende Meinung hatte, obschon sich Camillus der größten Artigkeit und Rücksicht befliß und nur unfreiwillig den wahren Kern seiner Gedanken durchschimmern ließ. Auch das fühlte Menenius heraus, daß Quintus Camillus durchaus nicht die Unbekanntschaft des Vaters mit allerlei kleinen Thorheiten des Sohnes voraussetzte.
Dergleichen war also stadtkundig! Nur er, Lucius Menenius, hatte bisher im Finstern getappt! Verknüpft mit den Mahnworten jenes eigentümlichen Briefes, fiel ihm diese betrübende Wahrnehmung schwer auf das Herz. Er warf sich eine strafbare Lässigkeit vor – und ein plötzliches Bangen ergriff ihn, ob sein wohlgemeinter Entschluß, noch heute mit Cajus zu sprechen und Aufklärung zu heischen nicht etwa zu spät komme.
Der Jüngling, um den sich das inhaltsvolle Gespräch des Vaters mit Quintus Camillus drehte, war unterdes, nur wenige Schritte von Lucius Menenius entfernt, eifrig am Werk, den geselligen Pflichten eines erwachsenen Haussohnes Genüge zu leisten. Er unterhielt sich aufs angelegentlichste bald mit einem der Großgrundbesitzer des zweiten Standes, bald mit einem Vertreter des Hochadels und vernachlässigte nur mit einiger Absichtlichkeit die Leute, die „nichts“ waren, die Klienten und Schutzbefohlenen.
Wer den Gesprächen gelauscht hätte, die Cajus mit diesen Rittern und Senatoren führte, dem wäre allerdings aufgefallen, wie sehr die Rede des jungen Mannes nur gerade die Oberfläche der Dinge streifte, ja wie er, trotz aller Beflissenheit, den unverkennbaren Stempel einer gewissen Unruhe und Zerstreutheit trug. Wiederholt schweifte sein Blick dem Thürgang zu, wo noch von Zeit zu Zeit neue Ankömmlinge ins Atrium traten . . .
Nun plötzlich wandte sich Cajus mit einem raschen „Herr, Du verzeihst!“ von dem breitschulterigen Thonwarenfabrikanten, mit dem er geplaudert hatte, hinweg, um einem auffallend hageren Mann in ausländischer Tracht entgegenzugehen, der jetzt eben vom Obersklaven Heliodorus hereingeführt worden war.
„Sei mir gegrüßt!“ sprach er, dem Fremdling die Hand reichend.
Der Mann beugte sein Haupt, das auf dem Wirbel eine hühnereigroße Tonsur zeigte.
„Hast Du den edlen Menenius auf meinen Besuch vorbereitet?“ fragte er mit einem nicht unschönen Aufflackern seiner tiefliegenden Augen.
„Noch nicht, Seleucius,“ versetzte der Jüngling errötend. „Es bot sich bis jetzt keine Gelegenheit. Aber sei unbesorgt: Lucius Menenius wird Dich empfangen wie alle die übrigen. Er ist die Gastfreundschaft selbst.“
„Es wäre mir lieber gewesen, Du hättest zuvor mit Deinem Vater geredet,“ versetzte der Orientale. „So ging die Verabredung. Ich pflege zu halten, was ich verspreche, und ich erwarte das Gleiche von jedermann.“
„Ich wiederhole Dir . . .“
„Sei’s darum! Führe mich zu ihm!“
Abermals stieg dem Sohn des Hauses eine glühende Blutwelle ins Gesicht. Der Ton dieses Mannes verletzte ihn. Außerdem aber war es ihm bänglich zu Mute bei dem Gedanken, wie denn sein Vater diesen höchst unverhofften Besuch aufnehmen würde. Lucius Menenius huldigte in religiöser Beziehung einer gewissen Schlichtheit und Einfachheit. Sein Glaube hielt an dem altehrwürdigen Gotte Latiums fest, obschon er unter dem Namen des Jupiter etwas Höheres begriff als der Pöbel. Die sonstigen Mythen der Staatsreligion hielt er für das, was sie waren: für symbolische Märchen. Die Gottheit, deren Odem das All durchdrang, konnte nur eine sein, der menschlichen Unvollkommenheit war es zu danken, wenn sie sich die verschiedenartigen Offenbarungen dieser Gottheit unter dem Gleichnis verschiedenartiger Götter vorstellte. Geradezu peinlich jedoch war ihm das Ueberhandnehmen ausländischer Kulte, zumal der ägyptischen. Mehrfach schon hatte er im Senat seine Stimme dagegen erhoben, daß man den Priestern der Isis, des Horus, des Serapis und des schakalköpfigen Gottes Anubis so ungehindert nicht nur die Ausübung ihrer religiösen Gebräuche – das hätte er gelten lassen – sondern auch die rastlose Werbung unter den römischen Bürgern gestattete. Seinem gewichtigen Einfluß war es zu danken, daß man jüngsthin wieder von der Erneuerung halbvergessener Edikte sprach, die sämtlichen orientalischen Priestern, mit Einschluß der chaldäischen und babylonischen Wahrsager und Mathematiker, den Aufenthalt in der Hauptstadt bei schwerer Strafe verboten.
Und diesem ausgesprochenen Gegner führte nun Cajus den vornehmsten und vom Standpunkt des Lucius Menenius gefahrvollsten Vertreter der orientalischen Propaganda, den Isispriester Seleucius, als Gast beim Morgenempfange zu! Es war nicht abzusehen, wie sich Lucius Menenius in dieser befremdlichen Lage verhalten würde.
Cajus ging ein paar Schritte voran. Seleucius folgte. Ein selbstgefälliges menschenverachtendes Lächeln spielte um seinen Mund. Gerade weil Menenius sein Gegner war, hatte Seleucius eine Beziehung zu diesem Hause so angestrebt. Gewohnt, über die Geister zu siegen und fremden Willen sich dienstbar zu machen, glaubte er den Gefahren, die von Menenius ihm drohten, die Spitze abbrechen zu können, falls es ihm nur gelang, mit dem erlauchten Feind in Verkehr zu kommen. Eine verführerische Beredsamkeit, Welterfahrung und philosophische Bildung, persönliche Liebenswürdigkeit und ein Schauspielertalent ersten Ranges – das waren die Vorzüge, auf deren unfehlbare Wirkung er baute.
„Mein Vater,“ hub Cajus an, „der würdige Priester Seleucius von Alexandria wünscht Dir seinen Gruß zu entbieten.“
Lucius Menenius war außerordentlich überrascht. Sofort aber wußte er sein berechtigtes Staunen zu meistern.
„Seleucius ist mir willkommen“ sagte er höflich, „willkommen wie jedermann, der in friedlicher Absicht meine Schwelle betritt.“
Seleucius verneigte sich.
„Ich hoffe, erlauchter Menenius, Du scheuchst mich auch dann nicht von hinnen, wenn ich die Absicht eines ehrlichen Kriegs mit mir hereintragen sollte.“
In dem Ton dieser Worte lag ein so schmeichelhaftes Vertrauen auf die Großmut und die Gastfreundschaft des Senators, daß Lucius Menenius angenehm davon berührt wurde.
„Wie verstehe ich das?“ fragte er lächelnd.
„Herr,“ versetzte der Priester, „ich kenne die Anschauungen, die Du mit so zündender Ueberzeugungskraft im Senate vertrittst. Die meinigen brauche ich hier nicht zu erörtern. Du weißt, daß sie den Deinen schnurstracks zuwiderlaufen. Es lockte mich nun, dem Mann gegenüber zu stehen, der für mich und meine Genossen eine so ungeheure Gefahr bedeutet. Mit dem einzelnen Denker darf man die Fehde wagen; mit der geräuschvollen Menge kämpft man leider vergebens. Ich setze voraus, daß es dem edlen Menenius nur um die Wahrheit zu thun ist, nicht um den äußerlichen Triumph des Rechtbehaltens. Uebrigens,“ fügte er eilig hinzu, da er bemerkte, daß Lucius Menenius beunruhigt auf seine Umgebung blickte, „selbstverständlich war es durchaus nicht mein Wunsch, Deinen Morgenempfang durch philosophische Diskussionen zu stören. Ich weiß, ein Römer in Deiner Stellung gehört um diese Stunde der ganzen glänzenden Schar, die sein Atrium füllt. Es galt mir nur, mein Erscheinen, das Dich erstaunen ließ, zu begründen. Wenn Du mir späterhin – bei Gelegenheit – eine Weile Gehör schenkst, hoff’ ich Dir darzuthun, daß ich nicht ganz jenem unheimlichen Gespenst gleiche, für das Du mich ausgiebst.“
„Ich kann Dir nicht abstreiten,“ sagte Menenius, „daß die Freimütigkeit Deines Auftretens durchaus meinen Beifall hat. Wenn Deine Lehre mir gleichermaßen genehm schiene – was allerdings nicht zu hoffen steht – so würde ich heut’ noch Dein eifrigster Schüler werden. Aber lassen wir das! Meinem Grundsatz getreu, daß auch der Gegner gehört werden müsse, will ich Dir gerne im Lauf dieser Woche ein paar Nachmittagsstunden
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_704.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)