Verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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widmen. Bringe das ganze Rüstzeug Deiner Redekunst mit – ich gedenke ihm stand zu halten.“
„Dank, edler Menenius! Anders hab’ ich dies von dem erlauchten Manne, den ganz Rom als den Gerechten und Milden preist, nicht erwartet. Und selbst, wenn ich Dich nicht überzeuge, ein Gewinn bleibt mir doch: das Glück, eine echt männliche Seele kennengelernt zu haben, an der kein Falsch ist.“
Seleucius von Alexandria verneigte sich wieder mit jenem gewinnenden Lächeln, das über sein hohlwangiges Angesicht einen Glanz goß wie vom Schimmer der Morgenröte. Hiernach wandte er sich zu einem der Umstehenden, der ihm, so schien es, seit lange befreundet war.
„Woher kennst Du den Priester?“ fragte Menenius den Cajus.
„Ich traf ihn . . .“ stammelte Cajus, „bei . . . dort bei dem Ritter, mit dem er sich jetzt unterhält. Findest Du nicht, Vater, daß er ein Mann von ungewöhnlichen Gaben des Geistes ist?“
„Er macht den Eindruck,“ versetzte Menenius.
Nun kam der breitschulterige Thonwarenfabrikant auf den Hausherrn zu und erkundigte sich mit warmherziger Teilnahme nach dem Befinden Plotinas. Während Menenius leuchtenden Auges dankte – sobald von Plotina die Rede war, strahlte er wie ein beschenktes Kind – mischte sich Cajus, froh, weiteren Fragen entgangen zu sein, mit erneuter Lebhaftigkeit unter die Gäste und erreichte nach fünf Minuten den Isispriester, der sich just anschickte, das Atrium zu verlassen.
Cajus trat mit ihm in den Thürgang.
„Also es bleibt dabei?“ fragte er flüsternd.
„Es bleibt dabei!“ versetzte der Priester.
„Sie kommt?“
„Eine Stunde nach Sonnenuntergang.“
„Wie in aller Welt hast Du’s nur fertiggebracht? Sie, die Spröde, die Tugendhafte!“
„Pah, das wäre ein kläglicher Magier, der einem Weibe nicht einreden könnte, was er für gut findet! Meine betäubenden Wunder haben sie mürbe gemacht.“
„Und Du stehst mir dafür, daß keine Gefahr der Entdeckung droht?“
„Keine!“
„Ich weiß es nicht,“ murmelte Cajus, „mir ist nicht wohl bei der Sache. Ueber dem Herzen liegt mir ein Druck . . . Ich wage zu viel, Seleucius!“
„So tritt doch einfach zurück!“
„Um keinen Preis! Versteh’ mich doch: es ist nur der Rest noch des alten Vorurteils. Eine Jungfrau vom heiligen Feuer, eine Vestalin! Es steht ein schmachvoller Tod darauf!“
Steht nicht der Tod auf allem, was Du auch treiben magst? Zum Tode bist Du verurteilt mit der Sekunde, da Du geboren wirst. Er schwebt über uns wie ein Raubvogel, der seine Beute wählt. Uebrigens hüte Dich vor dem Blick Deines Vaters. Mach’, daß Du jetzt wieder hineinkommst, und benimm Dich so harmlos wie möglich! Fällt das Gespräch auf mich, so singe nur ja nicht mein Loblied, sondern verhalte Dich gleichgültig! Du möchtest sonst seinen Verdacht wecken. Gehab’ Dich wohl!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_705.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)