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Seite:Die Gartenlaube (1894) 877.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 52.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Um fremde Schuld.
Roman von W. Heimburg.
(Schluß.)


In der Stadt verlautete erst etwas von den Geschehnissen im Wollmeyerschen Hause, als der Arzt gerufen wurde, um festzustellen, daß der Herr Stadtrat, aus noch unermittelten Gründen, den Tod gesucht und gefunden habe.

Ich saß während der ganzen Zeit auf dem nämlichen Fleck im Lehnstuhl am Ofen, die Füße emporgezogen, ohne Speise und Trank. Die Komtesse, die bei mir war, hielt mich krampfhaft an den Händen. Fähig zum Sprechen war ich nicht, als die Herren vom Gericht mich um dieses und jenes befragten.

„Lassen Sie das arme Kind,“ bat die Komtesse. „Sie sehen, sie ist krank.“

Der Hof stand voll Menschen, eine Menge Leute kam und ging; eine beklemmende schwüle Luft war draußen und drinnen. Die Bekannten des Hauses eilten mit verstörten Gesichtern herbei und einige drangen bis zu mir herein.

„Aber um Gotteswillen, weshalb denn nur?“ fragten sie. „Was war denn der Grund?“ „Vermögensverluste!“ „Ach Gott bewahre, der Tod der Frau!“ „Ja freilich, er war so anders in letzter Zeit; der Sanitätsrat hat ihn durchaus auf Reisen schicken wollen, aber er ging ja nicht.“ „Armes Kind, nun so ganz verwaist!“ So ging das hin und her.

Das war in den Nachmittagsstunden; gegen Abend kam niemand mehr. Anfänglich leise, dann immer bestimmter, immer machtvoller drang die Kunde von dem wahren Sachverhalt unter die Menschen, die in diesem Mann ein Vorbild bürgerlicher Tugenden zu verehren gewohnt waren. Selbstmord, weil er der Absicht überführt worden war, aus dem verschlossenen Schubfach des alten Fräulein Himmel ein Dokument zu entwenden, das eine schwere Schuld seiner Vergangenheit bewies! Allerlei Einzelheiten, die heute noch im Munde der Westenberger sind, wenn man vom Stadtrat Wollmeyer spricht, wurden erfunden – aber so schwer, so schrecklich wie die Wirklichkeit war ja doch nichts.

Um zehn Uhr abends brachte man den Toten nach der Leichenhalle des Friedhofs.

Die Komtesse hatte uns verlassen, die Nacht senkte sich über all die Häuser und Hütten der kleinen Stadt, in denen heute die Leute ausnahmslos mit dem Gedanken an das traurige Ereignis einschliefen. Eine Nacht war es, die so recht paßte zu dem grausigen Geschehnis. Das Gewitter, das schon gestern gedroht, war mit Sturm und Regen herangezogen, die hohen Bäume des Gartens ächzten und bogen sich im Sturm, und Blitz auf Blitz flammte hernieder. Die Mädchen im Hause fürchteten sich; sie saßen mit blassen Gesichtern, bei brennender Lampe die ganze Nacht in der Küche beisammen, und wenn ein Laden knarrte oder der Regen prasselnd gegen die Fenster geschleudert wurde, schrieen sie auf, daß es bis in unsere Stube scholl.

Die Base, das Schlüsselbund im Gürtel, war allein in den oberen Flur hinaufgegangen, um dort ein schlecht schließendes Fenster zu verriegeln. Die Thüren der Gemächer droben trugen bereits das obrigkeitliche Siegel.

Einige Briefe, die nachmittags gekommen waren, lagen auf dem Tisch im Zimmer der Base, einer davon aus Amerika, mit Brankwitzens Handschrift.

„Jetzt gehen Sie schlafen, Anneliese,“ sagte die alte Frau, „ich bleibe hier bei Ihnen. Freilich, es wäre besser, Sie schliefen in dem netten Stübchen bei der Komtesse.“

„Sie hier allein lassen? Niemals, Base!“

So blieben wir beisammen in der schrecklichen Nacht, ohne zu sprechen. Keiner von uns kam der Schlummer. Gegen Morgen kochte die alte Frau Kaffee. Als es fünf Uhr schlug, löschte sie die Lampe, öffnete die Läden und stand dort wartend; endlich ging sie rasch aus dem Zimmer. Ich hörte, wie sie die Hausthür aufschloß und dann mit jemand sprach.

Ich richtete mich in meinem Stuhle empor – Robert Nordmann? Die Base


Das abziehende alte Jahr.
Nach einer Originalzeichnung von E. Unger.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 877. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_877.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2022)
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