verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Die Vorläufer unserer Neujahrskarten.
In der diesjährigen Weihnachtsnummer der „Gartenlaube“ hat Alexander Tille erzählt, wie sich die Christbescherung zum Teil aus dem Brauch der Neujahrsgeschenke entwickelt hat, der, wie bei vielen anderen Völkern, von altersher bei den Römern bestanden hat. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die Vereinigung von Glückwünschen für Weihnachten und Neujahr, die sich noch heute auf den englischen „Weihnachtskarten“ (christmas-cards) finden – „eine fröhliche Weihnacht und ein glücklich Neujahr!!“ – von jener Verschmelzung alten Neujahrsbrauchs mit neuer Weihnachtssitte herstammt.
Wenn wir auf die Geschichte unserer deutschen Neujahrskarten, soweit sie sich nachweisen läßt, zurückblicken, so finden wir, daß diese Vereinigung von Weihnachts- und Neujahrsfeier in der Form eines Glückwunsches in Deutschland nie bestanden hat, oder wenigstens nur insoweit, als eben der Anfang des neuen Jahres mit dem Weihnachtsfeste zusammengefallen ist, daß dafür aber auf den ältesten uns überlieferten gedruckten Neujahrswünschen das Christkind, als Patron des Jahresanfangs dargestellt worden ist.
Ein Schriftsteller aus dem Beginne des 16. Jahrhunderts schildert, wie es zu seiner Zeit in Deutschland am Neujahrsfeste gehalten wurde; doch wie damals wird es wohl auch schon Jahrhunderte früher hergegangen sein, denn in jenen Zeiten veränderten sich die Sitten nur langsam. „Zum 1. Januar,“ schreibt er, „zur Zeit, wo das Jahr und alle unsere Zeitrechnung beginnt, besucht der Verwandte den Verwandten, der Freund den Freund; sie reichen sich die Hände und wünschen sich glückliches Neujahr und feiern dann diesen Tag mit festlichen Glückwünschen und Trinkgelagen. Nach althergebrachter Gewohnheit macht man sich auch gegenseitig Geschenke.“ Anstatt der Weihnachtsgeschenke waren damals noch allgemein Neujahrsgeschenke üblich.
Als mit der allgemeinen Verbreitung der Kultur im 14. und 15. Jahrhundert sich auch die Kunst des Schreibens immer mehr ausbreitete, als man unter Verwandten und Freunden anfing, fleißig sich Briefe zu schreiben, gelangte zur Zeit des Jahreswechsels die Formel in Gebrauch: „Gott geb’ Dir und uns allen ein gut selig neu Jahr und nach diesem Leben das ewig Leben. Amen.“
Die Erfindung des Buchdruckes und des Kupferstiches in der Mitte des 15. Jahrhunderts, der rasche Aufschwung, den die graphischen Künste damals nahmen, brachte einen Ersatz für die mündlichen und geschriebenen Glückwünsche: die „gedruckten“. In welcher Ausdehnung die Herstellung der gedruckten Wünsche in der Wiegenzeit dieser Künste erfolgte, kann nicht mehr festgestellt werden, da der größte Teil derselben, wie es bei dem vergänglichen Material derselben begreiflich genug ist, zu Grunde gegangen ist. Der älteste noch erhaltene gedruckte Neujahrswunsch rührt von dem ersten deutschen Kupferstecher von Ruf, dem sogenannten Meister E. S. vom Jahre 1466, her, dessen Namen die Forscher noch nicht bestimmen konnten. Auf einer reich und üppig erblühten, trefflich stilisierten Blume, die das anbrechende Jahr versinnbildlichen soll, steht das Christuskind; es hält ein fliegendes Band mit dem Wunsche „Ein goot selig jor“. Welch großer Beliebtheit sich dieser sinnige Neujahrswunsch, dessen Abbildung hier ihn etwas verkleinert zeigt, erfreute, sagen uns die verschiedenen Kopien, die es von ihm giebt.
Derselbe Wunsch „ein gut selig Jahr“ findet sich auch auf dem Kopfe von Wandkalendern jener Zeit. Auf einem solchen, den Hans Zainer in Ulm für das Jahr 1483 druckte, steht auf der vorderen Randleiste das Christuskind, während in dem quer über den Kalender sich hinziehenden Spruchbande, das wir verkleinert abbilden, der Neujahrswunsch des Buchdruckers steht: „Jhesum und Maria sein mutter klar, wünschet euch Hanns Zainer zum guten Jar.“ Man kommt in Versuchung, diesen Kalender als eine Widmung, als ein Neujahrsgeschenk Hans Zainers an seine Kunden anzusehen, von der Art, wie sie der Buchdrucker der Neuzeit seinen Geschäftsfreunden in das Haus sendet.
Also schon vor mehr als vierhundert Jahren hat man sich durch Karten beglückwünscht und erhielt man zum neuen Jahr einen Kalender mit Glückwunsch, ganz wie heutzutage. Natürlich kamen durch die gedruckten Wünsche die mündlichen und geschriebenen nicht außer Brauch. In den Briefen, die um Neujahr geschrieben wurden, fehlt der Wunsch zu einem glückseligen gnadenreichen neuen Jahr niemals. Die Nürnberger Klosterfrau Brigitta Holzschuherin sandte dem Michel Behaim zum neuen Jahr 1496 folgenden überschwenglichen Glückwunsch: „Jesus Christus der neugeborn Künig mit allem Trost, Freud und Seligkeit, die er uns mit seiner Geburt gebracht hat, besunder mit seiner Kraft wirken den heilsamen Namen Jesu am achten Tag ausgesetzt in der Myrrhen Bitterkeit seines Blutvergießen, in dem Geschmack der Süßigkeit des Weihrauch und Gold seiner unergründten Lieb, wünsch u beger ich dir aus Grund meines Herzen, zu einem guten seligen gnadenreichen neuen Jahr.“ Solchen Wünschen lag dann wohl auch noch Konfekt oder ein Fazenetlein (Taschentuch) als Geschenk bei. Nicht alle Nonnen hatten ein solch demutsvolles, gottergebenes Gemüt. Anna Tucherin, die gegen ihren Willen Klosterfrau geworden war, schreibt zornigen Gemütes an ihre Muhme: „Gott geb ihm ein verdorben Jahr, der mich macht zu einer Nunnen.“
Dem besprochenen Urahn unserer heutigen Neujahrskarten können wir eine Reihe sich anschließender Karten, welche den Zusammenhang mit unseren modernen herstellen würden, nicht folgen lassen. Ebenso ist der Kalender des 16. Jahrhunderts ganz wesentlich verschieden von seinem Vorgänger. Es wiederholt sich hier die merkwürdige Erscheinung, daß gerade die Erstlinge irgend einer Kunstübung oder irgend eines neuen Gegenstandes oft auf einer merkwürdig hohen Stufe stehen, von der die Nachkömmlinge schnell und zwar sehr tief herabsinken, um sich manchmal erst in Jahrhunderten wieder zur Höhe der Erstlingsprodukte zu erheben.
Die gedruckten Neujahrswünsche des 16. Jahrhunderts haben zwar mit denen des vorhergehenden die Darstellung des Christuskindes, den tiefreligiösen Sinn gemein; aber man begnügte sich mit so einem Bildchen allein nicht mehr; man war redseliger geworden und hängte demselben noch einen langen Text an, so daß die Wünsche über das Kartenformat hinauswuchsen und zu Plakaten
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 882. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_882.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2022)