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Seite:Die Gartenlaube (1895) 035.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

schien es, als ob das Mitleid in ihrem Herzen siegen würde. Aber es war nur eine flüchtige Regung zum Guten – Aurelie war schon zu weit gegangen, um den Mahnruf des Gewissens zu beachten, außerdem war es ihr ein zu köstliches Vergnügen, dem unerschütterlichen Vertrauen dieses Mannes einen kleinen Stoß zu geben.

„Ich meine,“ sagte sie daher langsam, jedes Wort betonend, „daß Franziska mancherlei Wege geht, von denen ihr Herr und Gebieter nichts ahnt, und daß es für eine so junge Frau vielleicht besser wäre, etwas strenger überwacht zu werden.“

In Zorn und Verachtung blickten die Augen des Kranken auf das falsche Weib, mühsam rang er nach Worten.

„Wie kannst Du es wagen, meine Frau zu verdächtigen – sie, die Dir nur Gutes thut!“ stieß er hastig heraus. „Wenn sie auch jung und unerfahren ist – das merke Dir, Aurelie – Franziska wird nie etwas thun, dessen sie sich vor ihrem Mann zu schämen hat – nie!“

Er sank erschöpft in die Kissen zurück. Als sie, ohne ein Wort des Widerspruches zu wagen, schwieg, fügte er schwach hinzu: „Jetzt geh’, bitte! Um unserer alten Freundschaft willen will ich versuchen, Deine bösen Worte zu vergessen.“

Da stand sie auf und ging hinaus mit dem jammervollen Bewußtsein verfehlter Pläne und eigener Schlechtigkeit.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.


Auf eine Reform unserer Volksfeste hinzuwirken, scheint der Zweck eines Preisausschreibens zu sein, das der Centralausschuß zur Förderung der Jugend- und Volksspiele in Deutschland erlassen hat. Die Frage „Wie sind die öffentlichen Feste des deutschen Volkes zeitgemäß zu reformieren und zu wahren Volksfesten zu gestalten?“ soll in einer Abhandlung beantwortet werden, die den Raum von zwei Druckbogen nicht überschreiten darf, für deren Umfang diejenigen der Jahrbücher des Centralausschusses, Verlag von Voigtländer in Leipzig, vorbildlich sind. Von den weiteren Bedingungen machen wir folgende namhaft. Undeutlich geschriebene Arbeiten können nicht berücksichtigt werden. Jede Arbeit ist mit einem Motto zu versehen. Ein verschlossener Briefumschlag mit demselben Motto ist beizufügen; in demselben muß Name und Adresse des Bearbeiters enthalten sein. Die Arbeiten sind bis zum 15. März 1895 frei einzusenden an den Geschäftsführer des Centralausschusses, Direktor H. Raydt in Hannover, Petersilienstraße 2d. Das Preisgericht besteht aus den sechs Vorstandsmitgliedern des Centralausschusses: Abgeordnetem von Schenckendorff-Görlitz, Dr. med. J. A. Schmidt-Bonn, dem Geschäftsführer H. Raydt-Hannover, Professor Dr. Koch-Braunschweig, Gymnasialdirektor Dr. Eitner-Görlitz und Turninspektor A. Hermann-Braunschweig. Diese beteiligen sich an der Bewerbung nicht. Die beste Arbeit wird mit einem Preise von 300 Mark, die beiden dann folgenden mit je 100 Mark prämiiert. Diese drei Arbeiten werden Eigentum des Centralausschusses, der sich vorbehält, dieselben in ihm geeignet erscheinender Weise zu veröffentlichen.

Die erste chinesische Eisenbahn. Daß sich das Reich der Mitte den neueren Errungenschaften der europäischen Kultur gegenüber bisher nicht eben sehr entgegenkommend verhielt, ist bekannt. Auf keinem Gebiete fällt dies mehr auf als auf dem der Eisenbahnen; denn China besitzt auf seinen 11 Millionen Quadratkilometern Land und für seine 360 Millionen Einwohner heute kaum 200 Kilometer Eisenbahn.

Der erste Versuch zur Einführung des modernen Verkehrsmittels wurde anfangs der siebziger Jahre gemacht, und zwar bei der Hafenstadt Shanghai. Dieses „Liverpool des Ostens“ liegt an dem Flusse Wusung, welcher sich bei der gleichnamigen Stadt in den Jangtsekiang ergießt und welcher sowohl bei Shanghai als bei Wusung tief genug ist für die größten Panzerschiffe. Unmittelbar oberhalb der Mündung aber ist der Fluß in seiner ganzen Breite durch eine Sandbarre gesperrt, über der auch bei höchster Flut nur etwa 5½ Meter Wasser stehen – ein recht unangenehmes Hindernis für die Schiffahrt.

Infolge dieser Barre sind die großen Post- und Frachtdampfer der eurapäischen Linien gezwungen, wenn sie ankommen, bei Wusung zu leichten, d. h. einen Teil der Ladung auszuladen und, wenn sie abgehen, die Ladung dort erst zu vervollständigen. Chinesische Schiffer übernehmen in beiden Fällen das Geschäft, die Waren von oder nach den großen Schiffen zu befördern.

Weil aber Zeit Geld ist, so kamen die beteiligten Dampferkompagnien auf die Idee, eine Bahnlinie zwischen Shanghai und Wusung bauen zu lassen, die ihnen raschere Arbeit gemacht hätte als die chinesischen Dschonken. Auf ihr Ansuchen und durch Vermittlung der verschiedenen Gesandten erhielt auch eine europäische Gesellschaft die Genehmigung zum Bau gedachter Bahn. Mit großen Unkosten wurde das Material für die etwa 45 Kilometer lange Strecke aus Europa beigeschafft und endlich nach jahrelangem Bau stand 1876 diese erste Eisenbahn Chinas fertig da, von den Europäern gefeiert als die Bahnbrecherin einer neuen Aera.

Allein die Rechnung war ohne den Wirt gemacht.

Hunderte, ja Tausende von Menschen hatten aus dem Güterverkehr zu Wasser als Schiffer, Ladeknechte etc. ihren Lebensunterhalt gezogen. Sie standen da und hatten nichts, als jener Verkehr zum weitaus größten Teil der Bahn zufiel. Zudem verbot ein uralt ehrwürdiges Gesetz den „Wasserchinesen“ – und dazu gehörten alle diese Fischer, Kahnführer, Bootsleute etc. – jegliche Art von Geschäftsbetrieb auf dem Lande. Begreiflich darum, daß sie die neue Einrichtung mit feindseligem Grolle betrachteten. Religiöser Fanatismus kam hinzu, und eines Tags riß eine wütende Menge die Schienen auf, schoß mit Kanonen nach den Zügen, und als die Regierung die Bahn pflichtgemäß schützen wollte, erhob sich die ganze Gegend in offenem Aufruhr.

Schließlich gab die Regierung nach. Sie kaufte die Bahn an und ließ sie abbrechen. Ein Jahr, nachdem man sie unter hochtönenden Worten eingeweiht, war die erste Eisenbahn in China wieder vom Erdboden vertilgt. Die Schienen wanderten nach Takao auf der Insel Formosa, um dort zu Hafenbauten verwendet zu werden; da es aber dazu an Geld fehlte, so blieben sie liegen, bis sie vom Rost zerfressen wurden.

Der „letzte Lieutenant der Großen Armee“, Nicolas Savin, dessen merkwürdige Schicksale in Nr. 42 des vor. Jahrgangs der „Gartenlaube“ von Paul Holzhausen geschildert wurden, ist inzwischen, am 15. Dezember v. J., in Saratow gestorben. Am 17. April 1768 geboren, war er wohl der älteste aller Veteranen der Armeen Napoleons I., die bis in die Gegenwart gelebt haben, zählte er doch im Jahre 1812, in welchem der furchtbare Tag an der Beresina ihn in russische Gefangenschaft geraten ließ, bereits 44 Jahre. Wie sich Savin in Rußland dann eine bürgerliche Existenz als Sprachlehrer begründet und im halbasiatischen Saratow lange Zeit in glücklicher Ehe und nach dem Verlust seiner Frau an der Seite der einzigen Tochter in wunderbarer Rüstigkeit weitergelebt hat bis in unsere Tage, ist in dem Aufsatz des Näheren dargelegt worden. Nachtragen können wir dagegen heute eine Auskunft, zu deren Einholung uns verschiedene Anfragen aus den Kreisen unserer Leser veranlaßt haben. Wie es der Hundertsiebenundzwanzigjährige angefangen hat, sich in so hohe Jahre hinein rüstig zu erhalten, war der gemeinsame Sinn dieser Fragen. Direkte Auskunft hat der Verstorbene nicht mehr erteilen können. Aber der Gewährsmann Holzhausens und langjährige Freund Savins, C. Woensky, glaubt das Wunder auf sehr einfache Weise dadurch erklären zu sollen, daß große Mäßigkeit in allen Lebensgenüssen seinem Freund von klein auf zur Gewohnheit geworden war.

Das Peak-Fort auf Madeira. (Zu dem Bilde S. 33.) Die Insel Madeira hat zwei Gesichter, ein finstres und ein freundliches. Jenes bietet sie dem, der von Norden sich nähert, dieses lächelt dem Seefahrer, der von Süden kommt. Dort stürzt die Küste in steilen Felsmassen jäh zum Meere ab, hier steigt das Gebirge in sanften Wellen allmählich empor und seine Hänge kleiden sich in heitere Farben. Am schönsten Punkt der Südküste liegt Funchal, die Hauptstadt und der einzige Hafen der Insel; malerisch bauen sich an dem Bergrund seine weißleuchtenden Häuser empor, betupft mit grünen Fensterläden, und die roten Dächer stechen vorteilhaft ab gegen das dunkle Grün der Cypressen, Lorbeerbäume und Kastanien, welche rings um die Stadt und in den Gärten zwischen den Gebäuden emporragen. Nur ein Punkt will nicht ganz zu dem paradiesischen Bilde stimmen; das sind die derben trotzigen Mauern des Peak-Forts, welche Stadt und Reede von Funchal beherrschen; doch gießt die Sonne des Südens auch über sie ihren Glanz aus, die üppige Vegetation drängt empor und steigert die malerische Wirkung des Kontrastes.

Madeira ist heute portugiesischer Besitz, wie Portugiesen die ersten europäischen Besiedler der Insel waren; ein Gouverneur, der über eine Abteilung Artillerie und Infanterie gebietet, vertritt die Regierungsgewalt des Mutterlandes. Zeitweise hatten auch die Engländer ihre Hand auf die Insel gelegt; aus jener Zeit stammt der englische Name des Forts. Engländer vermitteln auch heute noch in erster Linie den Handel mit den Erzeugnissen des Landes, besonders dem köstlichen Madeirawein, und ihnen gehört die Kohlenstation zu Funchal, um deren willen der sonst keineswegs sehr günstige Hafen daselbst von den meisten vorüberfahrenden Dampfern aufgesucht werden muß. Auch in die Kolonie derer, die Madeira um seines gleichmäßig milden Klimas willen zur Heilung ihrer kranken Lungen aufsuchen, stellen die Engländer den stärksten Zuzug. Die ansässige Landbevölkerung, etwa 135 000 Köpfe stark, ist portugiesischer Abkunft, aber in den unteren Schichten durch Mauren und Neger stark beeinflußt. Eine Eigentümlichkeit der Nationaltracht, die leider immer mehr im Schwinden begriffen ist, bekommen wir aus dem Bilde Franz Leuschners noch zu sehen: es ist die sogenannte „Carapuça“, ein Käppchen aus blauem Tuch mit langer Spitze, das von Männern und Frauen gleichermaßen getragen wird.

Neumanns Ortslexikon des Deutschen Reichs. Ein nützliches Nachschlagebuch für den Schreibtisch und die Familienbibliothek ist schon immer Neumanns Ortslexikon des Deutschen Reichs gewesen. Nachdem es nunmehr durch Wilhelm Keil einer durchgehenden Neubearbeitung (3. Auflage, Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig) unterzogen und in den Zahlenangaben, Kartenbeilagen etc. auf den Stand der Gegenwart gebracht worden ist, erfüllt es wieder in jeder Hinsicht die Anforderungen, die man billigerweise an ein derartiges Werk stellen kann. Aufgenommen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_035.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)
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