Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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in die richtige Mitte zwischen den sehr roten Lippen und den sehr schwarzumgebenen blauen Augen, hüllte die Schultern in das weiche, federnbesetzte Sammetjackett und nahm nach dieser kleinen technischen Abschweifung die beleidigte Entrüstungsmiene wieder voll auf.
„Ich gehe!“ sagte sie, die Handschuhe überstreifend, sehr nachdrücklich, indem sie sich nach dem Fenster hinwandte. „Und es bleibt dabei. Sie machen die Geschichte mit den zwei Genien rückgängig. Ich brauche niemand auf meinem Wagen, ich will niemand weiter, verstehen Sie?! …“ Und in einem Rückfall ihres kaum gedämpften Zornes stampfte sie heftig auf den Boden.
Er fuhr herum, sein Gesicht war blaß und in seinen Augen funkelte etwas Bösartiges.
„Aber ich will nicht,“ stieß er heraus. „Ich verspreche nicht heute, um morgen zurückzunehmen. Und außerdem: es ist gegen Ihr eigenes Interesse. Wir sind schon genugsam miteinander im Gerede!“
„Ah–h!“ rief sie, blaß vor Wut.
„Ich kann nicht mehr anders,“ beeilte er sich, hinzuzusetzen. „Herrgott, wofür erkläre ich denn seit einer Stunde, daß ich nicht allein über die Sache verfüge! Ich kann nicht in der Komiteesitzung die Mädels ablehnen – ein paar helle Backfische noch dazu – wenn man mich bittet, sie noch unterzubringen und als Grund angeben, daß ich allein mit Ihnen zu sein wünsche!“
„Genug im Gerede!“ rief sie, das Hauptwort herausgreifend, mit bebenden Lippen. „Ihr seid einer wie der andere – Feiglinge und Verräter sämtlich. O – das ist der Dank! Man opfert sich für Euch, man wird weggeworfen – ganz recht! Warum war man so einfältig, an Eure Liebe zu glauben!“
„Sei doch vernünftig, Ilona,“ sagte Pereda nähertretend und mit Augen, die noch keineswegs von Ueberdruß sprachen, ihre bei aller Aufregung reizende Person umfassend. „Was mußt Du denn immer gleich solche große Worte brauchen und Dir tolles Zeug in den Kopf setzen ohne alle Not –“
Er wollte sich zu ihr niederbeugen, sie stieß ihn zurück.
„Helle Backfische,“ nahm sie mit unverminderter Heftigkeit das zweite Thema auf. „Siebzehn und achtzehn Jahre, und schöne Mädchen! Die älteste schwärmt ja wohl für Dich – ja ja, ich habe meine Quellen … Denke nicht, daß ich mich vor ihnen fürchte,“ fuhr sie auf sein vielsagendes Achselzucken mit neuem Eifer auf, „aber ich will sie nicht, die blöden Dinger, ich will niemand, es stört meinen Effekt, ich muß als ‚Phantasie‘ ganz allein stehen – auf dem Gold- und Palmenhintergrund, den leuchtenden Stern über dem Kopf“ – ihre Augen vergrößerten sich, sie erhob die Hand mit einer anmutig feierlichen Gebärde, „und Du dann zu meinen Füßen als Wagenlenker in Deinem silbernen Gewand – sahst Du denn nicht ein, daß das der größte Effekt des Zuges werden muß? Was sollen dabei noch ein paar dumme Geniusse? …“
„Wir bringen sie auf der Rückseite unter,“ erwiderte er, „daß man auf den ersten Blick gar nichts von ihnen sieht. Ich kann nicht ausweichen, Ilona, der Vater ist einer der einflußreichsten Leute hier, ich habe im Haus dort vielfach verkehrt und bin ihm verpflichtet. Mir liegt ja gar nichts an den Mädels, Du weißt es, aber sie haben sich nun einmal darauf gefreut.“ …
„O,“ rief sie mit neu aufloderndem Zorn und einem häßlichen Lachen, das ihren Zügen plötzlich einen niedrigen Ausdruck gab, „ja, ich weiß! Stelle Dich, wie Du willst, ich sehe, was dahinter steckt. Aber düpieren lasse ich mich nicht, lieber gleich reine Arbeit gemacht. Also nur noch zwei Worte!“ Sie stellte sich mit funkelnden Augen vor ihn hin und klopfte mit dem steinbesetzten Griff des Schirmes in ihre behandschuhte Linke. „Entweder Du machst das rückgängig, sofort und definitiv –“
„Oder?“ fiel er halb belustigt, halb verächtlich ein.
„Oder Du wirst mich kennenlernen. Aber ich rate Dir, laß es nicht darauf ankommen! Adieu, ich erwarte Deine Entscheidung morgen!“
Sie war schon in der Thüre, als er ihr zornig nachrief: „Die kannst Du schon heute haben –“ er verstummte aber sofort, als er durch den geöffneten inneren Flügel Stimmen im Vorzimmer hörte. Er machte den äußeren auf, verbeugte sich tief gegen die rasch hinauseilende, nur flüchtig mit dem Kopfe nickende Frau von Hetvary und kam eben recht, seinem getreuen Philipp aus der verzweifeltet Lage einer befohlenen, aber Frau Volkhards Energie gegenüber schwer ausführbaren Verleugnung zu befreien.
„Das ist wieder eine von Ihren Dummheiten, Philipp,“ sprach er strafend, „ich hatte Ihnen doch gesagt, daß ich die gnädige Frau heute morgen erwarte. Das haben Sie wohl ganz vergessen? Verzeihen Sie, meine Damen, und erweisen Sie mir die Gnade, hier einzutreten!“
Er öffnete diensteifrig die Thürflügel und ließ, sich verbeugend, Frau Volkhard und Toni vorangehen.
Philipp stand sprachlos und sah seinem entschwindenden Herrn nach. Donnerwetter – der verstand es! Da konnte selbst Philipp noch etwas lernen, der doch auch im Fach der Notlügen kein Anfänger war. Und durch diese mit seiner gerechten Empörung streitenden Anerkennung bewogen, vergab er ihm großmütig das erlittene Unrecht und ging aufs neue zu seiner Beschäftigung über.
Drinnen im Atelier, während Frau Volkhard ein neugieriges Wörtlein über die interessante Baronin fallen ließ und von Pereda aufs harmloseste und offenherzigste über die noch notwendig gewesene Besprechnug für das Fest übermorgen beschieden wurde, stand Toni in stummer Betrachtung und Bewunderung der umgebenden Herrlichkeit versunken. Sie kannte ja wohl Volkhards berühmte Werkstatt und das harmonische Zusammenstimmen der alten Möbel, Gobelins, Waffen und Palmen mit prachtvollen farbendunkeln Stoffen, aber hier trat ihr etwas völlig Neues entgegen: raffinierter Luxus von fast weichlichem Charakter, untermischt mit der Beute des Weltfahrers, die wie auf gut Glück herumgestreut oder an den Wänden verteilt war. … Zwischen Seidenvorhängen und goldglänzenden Wandschirmen hervor erblickte ihr Auge allerhand seltsam geformte Dinge von Metall, Flechtwerk, Elfenbein und Sandelholz, die ihr völlig rätselhaft waren, deren Besitz ihr aber gleichwohl sofort die höchste Stufe menschlicher Auszeichnung zu bedeuten schien. In einer sonderbar süßen Beklommenheit atmete sie den von ihnen ausgehenden scharfen und feinen Duft ein, und endlich wagte sie es auch, die Blicke zu „Ihm“ zu erheben, der mittlerweile Frau Resi vor die Staffelei gefolgt war und sein neuestes Bild, einen ‚Sklavenmarkt in Aden‘, erklärte. Leise näherte sich auch Toni, und während sie sich alle Mühe gab, den tiefblauen Himmel, die scharf gelb hineinragenden Gebäude und das bunte Menschengewimmel zu betrachten, fühlte sie nur eines: daß er neben ihr stand, daß sie den sonoren Ton seiner Stimme hörte und sich glücklich fühlte, so glücklich wie noch niemals in ihrem kurzen Menschenleben.
Mehr als unumgänglich war, von Frau Resis Bewunderungsrufen mit anzuhören, fühlte sich Pereda nicht geneigt, er fragte also sehr bald, ob er den Damen jetzt das Wertvollste in seinem Atelier zeigen dürfe, und öffnete dann einen mächtigen alten Eichenschrank, dessen Inneres eine Reihe großer Schubladen enthielt. Ihnen entnahm er einen wahren Reichtum von Kostümen, Stoffen und Schmuckgegenständen und häufte alles vor Tonis geblendeten Augen auf. Jedes neue schien ihr wieder das schönste zu sein: hatte sie sich in Gedanken eine spanische Tänzerin ausgesucht, so lockte ein zigeunerischer Kopfschmuck von klirrenden Münzen und Perlenschnüren; hielt sie diesen in der Hand, so schillerte daneben bunte japanische Seide höchst verführerisch oder feine halbdurchsichtig weiße orientalische Stoffe, deren Umwandlung in ein altägyptisches oder griechisches Kostüm Pereda als eine wahre Kleinigkeit darstellte. Hierüber hatte Frau Resi leider ganz verschiedene Ansichten, auch wollte sie, als wohlgezogene Künstlersgattin, trotz Peredas lebhaften Zureden, keinen Scheerenschnitt in seine Stoffe verantworten. So blieb denn schließlich, nachdem das Verschiedenartigste gemustert und verworfen war, nachdem sie erklärt hatte, die Spanierinnen würden zu Dutzenden herumlaufen und die Japanerinnen seien einem allmählich entleidet, außer dem Zigeunerkleid nur noch der prachtvolle rotgoldene Byzantinerstoff, dessen Verwendung für eine Tunika der Maler feurig empfahl, als das unbedingt Schönste von allem. Dies schien in der That leicht genug ohne Zerschneiden und Toni versöhnte sich auch mit der einfachen Form, als sie bei flüchtigem Ueberwerfen Peredas entzückten Ausruf hörte und selbst im Spiegel sah, wie prächtig der edelsteinbesetzte Reif im Haar und der schwere goldene Halsschmuck über den Purpurfalten ihrer jungen Schönheit stand.
„Das ist doch was anderes als die garstige Dachauerhaube!“ konnte sie nicht umhin, zu der Schwester zu sagen. Aber stark empörte sie deren Antwort:
„Sie hätte eigentlich besser zu Dir gepaßt.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_150.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)