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Seite:Die Gartenlaube (1895) 151.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Schrecklich!“ rief der Maler. „Glauben Sie kein Wort davon, gnädiges Fräulein. Ihre Frau Schwester findet nur aus pädagogischen Gründen gut, Ihnen zu verschweigen, welch’ liebreizende Praxedis Sie morgen abend sein werden. Zur Strafe dafür sage ich es Ihnen jetzt gleich ins Gesicht. Freuen Sie sich einstweilen auf Ihre Triumphe!“

Toni löste erglühend das Geschmeide vom Hals und streifte das Purpurkleid von den Schultern. Sie wagte nicht mehr, die Augen zu erheben, denn ein Blick aus den seinen hatte sie gestreift, so eindringlich, so verliebt-entzückt, wie Adrian Pereda – jedesmal ein schönes Modell anzusehen pflegte. Nur wußte dies die gute Toni nicht.

Ehe sie sich recht besinnen konnte, war schon der Augenblick des Abschieds gekommen. Frau Volkhard sah nach abgethanem Geschäft keinen Grund, länger zu verweilen, und Pereda hielt sie nicht. Er rief nach Philipp und beauftragte ihn, den Damen die Sachen nach Hause zu bringen, dann schickte er sich an, sie bis zum Vorgarten hinauszugeleiten.

Während Philipp seinen Pack zusammenlegte und aufnahm, suchte er zu ergründen, ob dieser Besuch mit dem vorausgegangenen Streit etwas zu thun habe. Das hübsche Gesicht war ihm neu: Frau Volkhards Schwester – hm! das schlug freilich in ein anderes Fach als das bisherige, aber vielleicht wollte er endlich solid werden? … Jedenfalls, ganz ohne schien die Sache nicht, ein Zusammenhang war sehr wahrscheinlich, wenn auch Philipps Kombinationsgabe nicht ausreichte, darüber ins klare zu kommen.

Desto mehr war dies der Fall bei der Dame, welche, seit einer halben Stunde unbeweglich wartend, in einer der auf dem Standplatz gerade gegenüber haltenden Droschke saß. Je mehr Minuten verrannen, um so zorniger nagten ihre Zähne die Unterlippe, um so durchdringender hafteten ihre Augen auf der eisernen Gitterthüre. Jetzt – endlich! da kamen sie, Pereda mit ihnen, sie nahmen Abschied, hinterdrein folgte Philipp mit dem Pack.

Im Flug hatte Frau von Hetvary den Eindruck der schönen braunen Augen und dunklen Kraushärchen unter dem Hutrand hervor gehabt, jetzt sah sie den behend Dahinschreitenden nach und murmelte:

„Das ist eine von ihnen. Frau Volkhard hat sie hergebracht. Er schickt ihnen Kostümstoffe nach Haus – o, der Treulose, der Verräter! … Aber ich will mich rächen, er soll an mich denken!“ …

Sie nickte ingrimmig ein paarmal mit dem Kopfe gegen den Eingang, hinter welchem Pereda verschwunden war, dann rief sie dem Kutscher ihre Hausnummer zu und lehnte sich, in ihren Gedankensturm verloren, achtlos gegen äußere Eindrücke in die frugale Polsterung einer Münchener Droschke zurück.




4.

Ein feines Schneegeriesel fegte in langen Streifen vor dem Wind her, als Toni des folgenden Morgens kurz geschürzt, in Pelzjacke und Käppchen, mit rotangelaufenen Wangen über den alten Marienplatz schritt. Sie hatte es eilig, denn es war schon zehn Uhr und die Schwester hatte ihr aufgetragen, einen schönen Fisch zu besorgen für den heutigen Freitagstisch.

„Schau, daß Du eine Lachsforelle kriegst,“ hatte sie gesagt, „das ist sein Leibgericht. Ich muß ihn heute bei guter Laune erhalten, denn – na, einerlei. Mach’, daß Du fortkommst!“

Toni wußte wohl, daß in dem dienstbotenreichen Hause manchmal ein großer Mangel an verfügbaren Arbeitskräften herrschte, sie kannte auch Frau Volkhards Scheu, der dicken, schlampigen, aber sehr vortrefflichen Köchin einen Gang zuzumuten, wenn diese bei schlechtem Wetter von „ihrem Fuß“ sprach, so lief sie also, ohne Einwendungen zu machen, willig und auf flinken Füßen, an den verlockendsten Modeauslagen vorüber durch die Theatiner- und Weinstraße. Sie hatte keinen Blick dafür, wie feinduftig sich die Umrisse des Rathauses und der alten Türme aus dem Nebel hoben, sondern eilte nur rasch vorwärts durch das enge Gäßchen der Peterskirche zu. Diese war ihr als bequemer Durchgang längst bekannt: ihr Deckelkörbchen würde wohl den lieben Gott nicht beleidigen, sah er doch den Morgen über noch ganz andere Ungeheuer am Arm von dicken Marktfrauen durchpassieren! Flüchtig schlug sie beim Eintreten in das Kirchenschiff ein Kreuz und verneigte sich, dabei fiel ihr Blick seitwärts auf ein verstaubtes Eisengitter, hinter welchem die Kerzen brannten, so hier der Mutter Gottes für geheime und offene Wünsche aufgesteckt werden. Nach außen angehängte Papptäfelchen sprachen den Vorübergehenden um die Unterstützung von ein paar mildthätigen „Ave Maria“ an für kranke Herzen und Augen, für vorzunehmende schwierige Geschäfte und Reisen, ja eins davon meldete sogar: Ein junger Mann, welcher eben das Staatsexamen macht, bittet um das Gebet!

Wie der Blitz schlug es in Tonis Bewußtsein ein, als sie diese Bitte las: sie stak ja auch in einer sehr schweren Unternehmung, denn ach! vor lauter Seligkeit und Kostümrichten war der bewußte Brief noch immer ungeschrieben! Es war schrecklich … Toni fühlte sich tief niedergeschlagen und fing an, ernstlich nachzudenken. Ob ihr wohl eine gute Erleuchtung kommen würde, wenn sie hier auch eine Kerze aufsteckte?! …

Sie warf einen fragenden Blick um sich, und sofort humpelte die alte „Kerzlerin“ aus einer Ecke herbei und bot ihren Vorrat an. Um ein paar Pfennig erstand Toni ein Wachslichtchen; als sie es dann auf dem Brett befestigt und brennen sah, fühlte sie sich ganz außerordentlich erleichtert. Jetzt war der Brief schon so gut wie geschrieben, sie hatte ihn sozusagen der Mutter Gottes übergeben, wenn die sich seiner annahm, dann konnte es ja nicht fehlen.

Vergnügt schritt sie das „Petersbergl“ hinunter und in das dichte Gewühl des großen Marktes hinein. Sie war stets gern dort: das laute Rufen und Bieten, die übervollen Stände mit Gemüse, Obst, Geflügel und Wildbret aller Art machten einen so lustigen Eindruck, und Toni verstand sich auf den Handel trotz einer gewiegten Hausfrau. Mit dem Fisch traf es sich glücklich: eine schöne fette Lachsforelle schien eigens auf sie gewartet zu haben, sie packte sie in den Korb und eilte jetzt, den Rückweg anzutreten.

Als sie eben durch den Rathausbogen schritt, sah sie in einiger Entfernung vor sich eine Frauengestalt gehen in einem graugrünen Mantel, den verstaubten alten Hut etwas schräg aufgesetzt – du lieber Gott! das mußte ja Fräulein Panke sein, die Reisegefährtin, an welche sie bis jetzt mit keinem Gedanken mehr gedacht hatte! Indem Toni ihre Schritte beschleunigte, sah sie, daß die Schriftstellerin nicht selbst den aufgespannten Schirm trug, es hielt ihn ein Herr über ihren Kopf, und dieser Herr – ja, wie konnte denn das möglich sein? … War’s der Lorenz oder war er’s nicht? Sein Paletot war’s und der schwarze Kopf, aber der Hut nicht – nun, er konnte sich in München einen neuen gekauft haben. Toni stand wie angewurzelt und starrte den beiden nach, die quer vor der Mariensäule vorübergingen. Wenn er nur den Kopf wenden wollte! Da – jetzt kam auch noch die „Tram“ angerasselt und von der rechten Seite ein schwerer Wagen voll Bierfässer, der die Passage für ein paar Augenblicke sperrte. Als sie dahinter vorbei war, sah sie nichts mehr von beiden Gestalten und mußte sich schleunigst aufs Trottoir retten, um jetzt nicht unter eine schnellfahrende Droschke zu geraten.

Den ganzen Heimweg über hatte sie nur den einen Gedanken: wie kam der Lorenz hierher? Wollte er sie gar aufsuchen, um sich die Antwort selbst zu holen? O, nur das nicht! … Sie sah schon der Schwester spöttisches Gesicht, den Schwager fürchtete sie weit weniger, der hatte mit allen Leuten die gleiche Art. Aber konnte nicht ein schrecklicher Zufall es fügen: „Herr Pereda, Herr Käsmeyer –“ Toni fühlte, daß diese Vorstellung ihr letzter Augenblick werden müßte. Nein, nein! Sie wollte nicht zu Hause sein, zu keiner Stunde, wenn nach ihr gefragt wurde – das würde sie gleich beim Heimkommen dem Hausmädchen einschärfen.

Während sie eiligst durch die Dienersgasse und Ludwigstraße mehr rannte als ging, waren die beiden von ihr Gesehenen durch die Burggasse in den „Alten Hof“ gelangt. Fräulein Panke, die keine Gelegenheit versäumte, etwas „mitzunehmen“, lenkte dorthin, um die winkelige Residenz der alten Bayernherzöge, die sie bei früheren Aufenthalten nicht gesehen, in Augenschein zu nehmen, und erklärte ihrem etwas teilnahmlos dreinschauenden Begleiter, daß sie sich höchst befriedigt durch den Anblick fühle.

„Es ist halt ein alter Kasten,“ sagte er, „solche giebt’s in Salzburg gerade genug. Aber zum Hofbräuhaus ist’s von da nimmer weit, wie wär’s, gnädiges Fräulein, wenn wir dort miteinander eine Maß trinketen?“

Fräulein Panke sah ihn zweifelhaft an. Ueber die gewöhnliche weibliche Schüchternheit war die Reporterin eines Weltblattes hinaus, ihre Musterung galt nur der Total-Persönlichkeit, die ihr heute beim Frühstück im „Hotel Leinfelder“ höflich die „Neuesten Nachrichten“ abgetreten und bei der jetzigen zweiten Begegnung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_151.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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