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Seite:Die Gartenlaube (1895) 152.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

sich zum Führer nach ein paar von ihr aus Geschäftsgründen aufgesuchten, aber schwer zu findenden Sträßlein der innersten Stadt erboten hatte. Das Resultat war befriedigend: er sah entschieden anständig und treuherzig aus, also gab sie ihre Zustimmung, und wenige Augenblicke später saßen die beiden in dem berühmten, von Tabaksrauch erfüllten Lokal hinter einer schäumenden Maß, zu deren Teilung sich Lorenz durch Trinkgeld und gute Worte von der Kellnerin ein Glas verschafft hatte.

Nun stellte er sich auch ganz ergebenst vor als Sohn seines Vaters, Geschäftsinhabers und Hausbesitzers in Salzburg, im weiteren Verlaufe der Unterhaltung konnte Fräulein Panke nicht umhin ihrer neulichen Fahrt mit einer jungen Salzburgerin, der Schwägerin Volkhards, zu erwähnen. Dabei sah sie, wie ihres Begleiters frisches Gesicht um eine Schattierung dunkler wurde, während ein ungewisses. „Ja, das ist ja – eine Nachbarstochter von uns!“ seinen Lippen entfloh.

Nun hätte Fraulein Panke nicht die findige Durchschauerin von Menschen und Verhältnissen sein müssen, wäre ihr nicht sofort der Verdacht aufgestiegen, daß hier der Mann vor ihr sitze, dessen Hauptfehler darin bestand, kein „Abgrund“ zu sein. In der That sah Herr Lorenz Käsmeyer nicht nach einem solchen aus, er war offenbar ein guter Junge und ließ sich sehr bald durch die erst verblümten, dann ziemlich direkten Fragen seiner Nachbarin zu einem offenen Geständnis seiner Wünsche und Hoffnungen verlocken, er verhehlte auch nicht, daß er „dem Tonerl“ nachgereist sei, als ihm ihre schnelle Abreise hierher zum Künstlerball mitgeteilt wurde.

„Wollen Sie sie bei Volkhards aufsuchen?“ fragte die Schriftstellerin mit ihrem scharfen Inquisitorenblick.

Lorenz gab nicht sogleich Antwort. Er klopfte mit seinem Stöckchen an den Stiefeln herum und sagte endlich, wieder aufsehend:

„Nein, das nicht gerade, ich weiß ja nicht, ob ich sie allein zu sehen bekäme. Ich gehe morgen auf den Ball, da hat man doch am leichtesten Gelegenheit, miteinander zu reden. Und da werde ich die Sache ins reine bringen. Der Papa hat nichts dawider, ganz im Gegenteil, mit dem hab’ ich gestern noch geredet, er meint, es war eine Dummheit, daß ich überhaupt geschrieben habe. Na ja! Ich wollt’ sie halt damit einmal fest bekommen, damit sie mir nicht immer mit ihren Spasseteln ausweicht, wie sie das in der Gewohnheit hat.“

„Aber –“ fühlte sich die Menschenkennerin verpflichtet zu warnen, „wenn Fräulein Burghofer Ihren Brief noch in Salzburg erhielt und abreiste, ohne ‚Ja‘ zu sagen, das sieht doch nicht nach einer freudigen Zustimmung aus!“

„O,“ fiel er eifrig ein, „das müssen Sie nicht so auffassen! Sie ist so eine, die einmal das Sekieren nicht lassen kann. Das macht ihr jetzt Spaß, daß sie denkt, ich bin in einer rechten Unruhe, derweil sie sich hier amüsiert. Aber daß sie ernsthaft nicht wollte – ah, ba ist ja gar kein Gedanke dran. Wen soll sie denn anders heiraten als mich? Das versteht sich ja schon sechs Jahre lang sozusagen von selbst!“

Und mit sieghafter Zuversicht leerte er den stattlichen Rest seiner Maß auf einen Zug.

Fräulein Panke verzichtete darauf, weitere Zweifel zu äußern, sie fühlte bereits etwas wie Wohlwollen dem gutmütigen Menschen gegenüber, nebenbei gedachte sie auch des morgenden Abends und daß zum Hingehen eine männliche Begleitung, stehe sie auch nicht auf den Höhen der Bildung, immer besser sei als gar keine. Ihre erste Andeutung traf sofort auf lebhafte Bereitwilligkeit, denn Lorenz seinerseits berechnete sich auch den Nutzen einer gutgesinnten Gardedame für das zu hoffende Beisammensein, und somit schloß die Sitzung im Hofbräuhaus unter zufriedener gegenseitiger Abrede für morgen abend 8 Uhr.

*      *      *

Toni hatte den Fisch in der Küche abgegeben und dem Hausmädchen die Abweisung für Besuch so lange überhört, bis sie ohne Anstoß ging. Dann stieg sie hinauf, um die Schwester im Atelier aufzusuchen.

Nicht in dem berühmten Prunkraum, wo die Staffeleien mit Bildern sich wie köstliche Leuchtpunkte aus der farbendunkeln Pracht des Ganzen heraushoben, hier arbeitete Volkhard nicht, hier stand er nur zur Besuchsstunde, die Palette in der Hand, die Cigarre im Mund, vor einem Bild, das in der Hauptsache fertig war und deshalb vor den Augen des Publikums vollendet werden konnte. Rechts von seiner Hünengestalt im farbenbeklexten Sammetrock saß dann, so recht dem ersten Blick des hereintretenden Beschauers dargeboten, auf einer teppichbedeckten von Palmen überwölbten Estrade die schöne Frau und hielt, in scheinbarer Arbeit, einen schweren grauen Seidenstoff mit violettem Sammetfutter über die Knie gebreitet. Ihr weißes Gesicht und das leuchtende Rothaar mit diesen Farben zusammen – dekorativ im höchsten Grade! …

Noch war aber nicht Besuchsstunde, deshalb suchte Toni das Ehepaar hinter der nächsten Thüre in dem wirklichen, sehr einfach eingerichteten Arbeitsraum, wo verschiedentliche Fensteröffnungen und Verschlüsse, sowie elektrische Lampen die berühmten Volkhardschen Lichteffekte hervorbringen halfen. Hier studierte er, hier stand der Unermüdliche wochenlang bis zu sechzehn Stunden am Tage, bis dann wieder einmal die Zeit kam, wo er alles wegwarf, um auf der Jagd und bei sonstigen voll geschlürften Genüssen dem mächtigen Körper sein Recht angedeihen zu lassen. Zu einem gleichmäßigen Leben brachte er es nicht, so wenig als zu geordneten Verhältnissen, trotz der enormen Einnahmen für seine Bilder.

Aber manchmal erfolgte ein plötzlicher Anstoß zur Sparsamkeit mit ungeheuren Vorsätzen totaler Umkehr. Gewöhnlich dann, wenn Frau Resi sich genötigt sah, ein paar schwere Toilettenrechnungen zur Zeit der Ebbe zu präsentieren, statt sie, wie sonst bei hoher Flut, stillschweigend mit dem übrigen flott zu machen.

Dann tobte der Mann unmäßig und warf mit verzweifelten Redensarten um sich, wie eben in dem Augenblick, als Toni nach wiederholtem vergeblichen Klopfen schüchtern die Thür öffnete.

Das Unglück hatte gewollt, daß eine dringend nötige Zahlung den Ausbruch des Gewitters schon jetzt, vor der Lachsforelle, veranlaßte, und so verharrte eben Frau Resi, um seinen Verlauf abzuwarten, im doppelten Schutz ihres natürlichen Phlegmas und einer ganz respektabeln Fähigkeit, auch ihrerseits „loszulegen“, wenn sie den Augenblick für gekommen erachtete. Sie saß, über den Tisch gebeugt, anscheinend ganz ruhig in dem runden Lutherstuhl, ihr fester weißer Nacken mit den goldroten Halshärchen und dem ansteigenden Schwall des dunkelroten Knotens ragte reizvoll aus der Spitzenumrandung des grausammetnen Schlafrocks heraus, dessen Schleppe seitwärts über das Parkett hinfiel. Auf dem Tisch stand die geöffnete Geldkasse, eine höchst echte alte Truhe von Schmiedeeisen mit großen Schnappschlössern, deren geschwundenen Inhalt zu erspähen Frau Resi ihren Hals so weit vorbeugte.

Weder sie noch der im Zimmer auf und ab rennende Volkhard nahmen Notiz von Tonis Eintreten. Er hielt die verhängnisvoll langen Zettel in der Hand und schwang sie zornig hin und her.

„Zweihundert – Fünfhundertundsechzig – Achthundertundneunzig Mark –“ addierte er jetzt, stehen bleibend, voll Ingrimm und schlug dabei auf jedes Blatt einzeln. „Und noch dazu grade heut’, vor dem Fest!“

„Ja,“ sagte Frau Resi gleichmütig, „übermorgen wär’ mir auch lieber gewesen. Aber die Müller schreibt, sie kann das Kostüm nicht schicken, eh’ nicht das andere zuvor bezahlt ist. Das benutzen solche Leut’ halt immer.“

„Lauter Sachen, von denen ich nichts weiß,“ fuhr Volkhard fort, der sich inzwischen in die Lektüre der Rechnungen vertieft hatte. „So eine Frau! Sie läßt nicht aus, bis sie mich ruiniert hat vom Kopf bis zu den Füßen!“

„So ist es allemal!“ rief sie, sich energisch umdrehend, „alles, was ich brauche, ist zuviel, während der gnädige Herr für sich –“

„Mach’ mich nicht wild!“ schnob Volkhard. „Was Du ‚brauchst‘, das geht schon über die Möglichkeit. Meinst Du denn, ich finde das Geld auf der Straße?“

„Es sind lauter notwendige Sachen,“ beharrte sie trotzig. „Wenn Du eine elegante Frau haben willst, mußt Du die Schneiderrechnungen zahlen. Ich kann nicht auf der einen Seite ein großes Haus führen und auf der anderen sparen und selbst schneidern wie ein notiges Beamtenweiberl. Das paßt mir nicht und dafür hab’ ich nicht geheiratet.“

„Meint man nicht wunder, wo sie herkäme, wenn man sie so reden hört!“ rief Volkhard höhnisch nach der betretenen Zuhörerin hin. „Herrgott!“ er fing wieder an, auf und ab zu rasen, „wenn ich denk’ – das Haus steht voll Hypotheken, die Kinder haben heute nichts, wenn ich die Augen zuthue, und eine solche Wirtschaft –“

„Jetzt hör’ auf!“ rief Frau Resi mit blitzenden Augen in die Höhe fahrend und trat ihm fest in den Weg. „Sonst frag’ ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_152.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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