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Seite:Die Gartenlaube (1895) 159.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ewige Vorwurf dann! Und wie er sie liebt! Es muß sein, es giebt keinen Ausweg! So jagten sich die Gedanken in ihrem Kopf, während sie die Leiter zu Marei hinaufstieg.

Sie lag in tiefem Schlaf und träumte. – Sie tränmte süß. Loni sank vor dem Bett auf die Knie, das Weh der Trennnng übermannte sie. „I kann net!“ Sie küßte ihr Kind.

Marei that, noch im Schlummer, die Arme auseinander und umschlang ihren Hals. „Willy!“

Da brach Loni in lautes Schluchzen aus, Marei erwachte und sagte halbverschlafen: „Mutter, i’s schon Zeit?“

„Net für Di! I wollt’ Dir nur sag’n, daß i fort muaß nach Imst auf einige Tag’ zu meine Verwandten. I hab’ ganz vergess’n gestern, Dir’s z’sag’n. Daß Dir kan Sorg’ machst. I muaß glei fort, daß i no zum Zug z’recht komm’!“ Zögernd setzte sie hinzu: „Und morgen in der Früh’, eh’ Du selber gehst, sagst’s dem Flori und bitt’st ihn, daß er auf dem Hof bleibt, bis Du wieder ham bist.“

Marei war noch im Halbschlaf, das Ueberraschende der Nachricht kam ihr nicht voll zum Bewußtsein. „Aber bald wieder komma, Mutterl! ’s wird ja so schön jetzt bei uns – so schön!“

Loni war es, als müßte sie das Mädchen emporreißen, sich an ihre Brust werfen – doch dann wäre ihr die Trennnng noch schwerer, vielleicht unmöglich gewesen und der Anderl wartete unten.

Sie küßte ihr Kind auf die Stirn. Marei lächelte ihr zu, ohne die Augen zu öffnen. Sie konnte sich wohl von ihrem Traumbild nicht trennen.

„Pfüt’ Gott, Muatterl!“

Loni floh die Leiter hinab.

Inzwischen hatte Anderl entdeckt, daß das Fenster in der Wohnstube beleuchtet war. Wenn der Flori wach war und sie belauschte?

Er schlich herbei und spähte vorsichtig hinein. Der Steinhauer lag in tiefem Schlaf. Auf dem Fensterbrett lag ein brennendes Kerzenlicht, das vom Sturmwind aufgerissene Fenster hatte dasselbe offenbar aus der nebenstehenden Flasche geworfen, dessen Hals als Leuchter gedient hatte. Die Flamme züngelte gegen die weißen Vorhänge, die der Luftzug bewegte. Brannte es noch weiter herab, war ernstliche Gefahr. Alte Kleider hingen dicht am Fenster und auf der Bank darunter lag ein Bündel Flachs.

Anderl betrachtete haßerfüllt den schlafenden Flori. Der war dran schuld, daß er wie ein gehetztes Wild herumirren mußte von nun an. Und jetzt wird der Schuft sich warm betten im Mentnerhof, als der Retter, dem die Besitzerin, das Marei, alles zu danken hat.

Dann beobachtete er aufmerksam das Licht und das Züngeln der Flamme. Das Brett schwärzte sich schon und der Vorhang wehte hin und her und streifte die Flamme.

Er brauchte nur hineinzulangen und das Licht aufzuheben, zu verlöschen. Schon streckte er die Hand danach aus – doch er zog sie wieder zurück.

„Was kümmert’s Di? Hast’s ja net hing’legt. Zu was nimmt man denn an Wächt’r ins Haus, als zum Aufpass’n auf Feuer und Licht?“ Was kümmert ihn noch der Mentnerhof? Mag er niederbrennen, wenn’s sein soll! „Gut’ Nacht, Flori!“ murmelte er triumphierend. Er eilte hinter den Schupfen. Loni mußte jeden Augenblick kommen.

Die Flamme am Fenster reckte sich indes wie ein drohender Finger empor und immer wieder huschte der Vorhang darüber. Seine Blicke hafteten wie gebannt an dem Fenster.

Da knisterte der Kies – Loni kam.

Er umfing sie stürmisch. Sie schluchzte auf. In diesem Augenblick begriff er den Schmerz, den sie litt.

Jetzt trieb sie selber zur Eile. Sie warf keinen Blick mehr zurück auf das Haus. Sie fragte auch nicht, wohin es ging, es war ihr gleichgültig. Nur vorwärts, fort!

Es ging dem Bergwald zu, der Grenze. Anderl wandte sich hin und wieder um, Hagenberg lag in Nacht, nur ein rotes Pünktchen zuckte auf und ab, bald größer, bald kleiner werdend, das Licht im Mentnerhofe.

Loni wandte sich nicht. Der Wind schlug ihr ins Gesicht, aber sie schritt ungestüm vorwärts. Ihr war’s ganz recht, daß es stürmte, die tausend Stimmen, welche die Luft erfüllten, übertönten die in ihrem Innern.

So erreichten sie den Wald. Der Sturm hatte hier keine Macht mehr, nur in den Wipfeln der Bäume rauschte und sauste es. Der rote Punkt war verschwunden, als Anderl ihn zum letztenmal gesehen, war er ihm größer erschienen.

„Jetzt bist mein! Kein Herrgott kann Di mir mehr nehma!“ rief Anderl und umfaßte siegestrunken die neben ihm Schreitende.

Loni schauderte in seinem Arm. „Weiter! Weiter!“ Sie drängte vorwärts, ohne zu denken wohin. Ein freier Schlag öffnete sich vor ihnen, von hier aus bot sich der letzte Blick auf Hagenberg.

Anderl wandte sich zurück. Blitzartig durchfuhr es ihn – dämonische Freude und Schreck zugleich, – der rote Punkt war jetzt eine lodernde Flamme! Ganz Hagenberg stand im Purpurlicht. Die Blütenbäume, die Häuser, der Kirchturm, die schwarze Wolke, welche darüber jagte, trug grellrote Säume. Eine zweite schoß auf, von Funkengarben durchleuchtet. Der Mentnerhof stand in Flammen.

Und der Flori hinter dem Ofen in tiefem Schlummer – ’s Marei! – es durchschauerte ihn. Doch hat er’s gethan? Nur zu! Daß nur die Loni sich nicht umschaut, war jetzt seine Sorge. Schnell hinüber über den Schlag, ins Holz! Er ergriff Lonis Arm und beschleunigte seine Schritte. Schon hatten sie den Rand des Waldes wieder erreicht, da hielt Loni an. Doch er riß sie gewaltsam vorwärts.

Der Sturm wehte schrille Glockentöne herüber. Anderl murmelte einen Fluch in den Bart.

„Horch!“ Loni war nicht mehr weiter zu bringen, „läuten thuan’s!“ Sie befreite sich von seinem Arm und wandte sich um – ein wilder Schrei hallte durch den Forst! Der Mentnerhof stand in hellen Flammen, die Frontseite, der Garten waren grell beleuchtet. Kleine schwarze Schatten huschten davor umher – und in diesem Augenblick stob eine Funkengarbe empor zum Nachthimmel. „Marei! Heiliger Gott, s’ Marei!“

Loni sank in die Knie und faltete die Hände zum Gebet.

„Is ja der Flori da! Was kümmert Di no der Hof?“ drängte Anderl.

Da sprang sie auf. „Der Flori! Heiliger Gott! Er meint ja, ’s Marei is fort!“ Sie schrie krampfhaft auf. „Das is d’ Straf’! Aber i komm’, Marei! I komm’!“ In wilden Sätzen sprang sie über den Schlag bergab, ohne auf Anderl zu achten. Er ihr nach wie ein Raubtier, dem die sichere Beute entgeht. Er erhaschte sie, ergriff sie, sie rang mit ihm.

„Mordbrenner!“ schrie sie ihm zu. Ihre Faust traf ihn zwischen den Augen, er taumelte zurück – sie entwich.

Ohne eines Pfades zu achten, über Wurzelwerk und Gestrüpp, im Straucheln sich aufrichtend, das Haar vom Wind und den Zweigen der Bäume zerzaust, das Gesicht blutig gepeitscht, eilte sie vorwärts, erreichte sie die Freiung.

Jetzt lag das grellbeleuchtete Dorf vor ihr. Die ganze nächtliche Wölbung des Himmels glühte, eine feurige, im Wind auf- und abzuckende Rauchsäule, von Funken durchwirbelt, reckte sich empor. Unausgesetzt wimmerte die Glocke.

Das Herz schmerzte ihr vom ungestümen Lauf, sie ließ sich dadurch nicht aufhalten. Sie überkletterte die Zäune, übersprang die Gräben.

Noch war der Dachstuhl nicht eingestürzt, aber aus den Fensterhöhlen schlug die flammende Lohe. Mit lautem Knall flogen Bretter empor, die glimmenden Schindeln prasselten vom Dach gleich Funkenregen. Jetzt war sie angelangt. Der schwarze Menschenknäuel, der die alte Dorfspritze vor dem Haus umdrängte, stob auseinander vor ihr, als sie, Entsetzen im Blick, mit fliegenden Haaren plötzlich erschien.

„Mei’ Marei! Marei!“ gellte ihr Ruf.

Jetzt erkannte man sie erst.

Durch die weit offen stehende Hausthür blickte sie in ein wallendes Glutmeer.

Da stand der Flori rauchgeschwärzt mit einem Wassereimer.

Loni sprang auf ihn zu. „Wo hast ’s Marei?!“ keuchte sie.

Flori ließ vor Entsetzen den Eimer fallen.

„’s Marei!“ stotterte er. „Aber die is ja fort – gestern – Du selb’r –“

Loni stieß ihn zurück und eilte auf das Haus zu. Doch sie stutzte vor dem Eingang – ihr Kind schlief ja nicht mehr wie früher, sie lief um die Ecke und verschwand in der Stallthür.

Männer waren im Stall daran, zwei sich wie rasend gebärdende, nie gehörte Schreie ausstoßende Pferde von der Kette zu lösen – vergeblich! Die Tiere ließen sich in ihrer Angst nicht mehr zügeln und die angespannte Kette war nicht aus dem Ring zu bringen. Von oben herabdrängender Rauch zwang sie zum Weichen. Sie prallten mit Loni zusammen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1895, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_159.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2020)
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