Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1895) 173.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Heiligenbilder, in Gold und Silber gekleidet, mit verhärmten großäugigen Gesichtern. Drei Priester, denen die Haarflechte unter den hohen Mützen im Nacken hervorschaut, amtieren und lesen mit klagenden Stimmen weichklingende Gebete, zwei alte Mütterchen knien seitab im Winkel und berühren von Zeit zu Zeit den kalten Estrich andächtig mit ihren runzligen Stirnen.

Wir nehmen unten an der Landung das letzte Kaïk und gleiten im Abendsonnenschein, der immer wundervoller strahlt, langsam am Ufer entlang bis zur kleinen Bucht von Stambul, zu Füßen der Yeni-Djami, der die Beterschar entgegeneilt. Vor uns schwingt sich die mächtige, von lebhaftem Volkstreiben unruhig belebte Validebrücke nach Galata, dem alten Quartier des europäischen Handels, hinüber, und sie trägt uns aus Elend und Idylle in die hastende und schaffende Kultur zurück. Auf der Brücke drängen sich die Scharen der Arbeiter und der Frauen des Volkes, die vor dem strenggebotenen Schlusse des mohammedanischen Tagewerkes nach Hause ziehen. Ein einsames, schwerbeladenes Eselchen trappelt noch fürbaß, vorbei an der Gruppe von Negerinnen mit ihrem elenden schwarzen Kindchen, das stummberedt das Mitleid der Reichen anfleht. Da tritt droben der Muezzin auf die Galerie des nächsten Minarets der gewaltigen Yeni-Djami. Die Sonne ist hinunter – fern, ob den Höhen, die den Bosporus säumen, steht schon der erste Stern, und als wir Galata erreicht haben, liegt die Brücke bereits fast verödet hinter uns.

Der folgende Tag bringt uns die griechischen Ostern und damit das Fest der „Hamals“. Die armenischen Lastträger, die Hamals von Konstantinopel, sind genau so typisch wie die Hunde der großartigen Hügelstadt. Sie kommen zum großen Teil aus der Trebisonder Landschaft herüber und sind gerade, verläßliche Menschen, dem allgemeinen Urteil zum Trotz, das die Armenier falsch und verschlagen heißt. Der echte Hamal ist ein Hüne von Gestalt und Kraft. Durch die schwere, andauernde Arbeit mit ungeheueren Lasten haben sich die Muskeln ihrer Arme, Hände und Füße so sehr ausgebildet, daß sie auch im Zustande der Ruhe straff schwellend und angespannt unter der derben Haut zu liegen scheinen wie steinerne Schlangenlinien. Die Gesichter sind ernsthaft, die Stirnen vielfach gefältelt, die Augen nehmen jenen wachen und aufmerksamen Blick an, der fortwährend nach Hindernissen zu spähen hat. Landestelle von Barkenführern.

Armenische Lastträger.

Man muß sie durch die engen Bazarsträßchen schreiten sehen, die schreiende, rennende, temperamentvolle Menschenmenge teilend, vor sich herschiebend wie eine Woge, selbst ruhig und gelassen. Zu acht bewegen sie das Riesenfaß mit russischer Butter fort, das an vier langen wippenden Stangen befestigt ist. Je zwei tragen immer eine Stange auf der linken Achsel und ergreifen mit der Rechten die Stange des Nebenmannes, zur eigenen und des Kameraden Stütze. So schreiten sie im Takt mit kurzen, wuchtigen Schritten, und im Takt scheint auch das stoßweise Atmen zu keuchen. Der Schweiß rieselt in Strömen an den lederbraunen Gesichtern unter dem rotstreifigen Turbantuche hin, durch die greifenden Hände bebt ein fortwährendes Vibrieren, das dennoch nichts von Schwäche weiß. Man meint, so müsse in unvordenklichen Sagenzeiten der Atlas die Wucht der Erdkugel getragen haben.

Allein nicht nur Lastträger sind die Hamals, auch als Hausgeister und treue, verläßliche Diener der Geschäfts- und Privathäuser finden sie vielfach Verwendung. Prächtig nehmen sie sich aus im Festschmuck des griechischen Ostertages, diese treuherzigen Burschen! Sie tragen das weite blaue Beinkleid, um die Knöchel ganz eng anliegend und sich im festen Lederschuh verlierend, um die Bluse den breiten, buntgestreiften Schärpengurt, um das Fez oft ein lichtgeflammtes Turbantuch. Ueber die breite Brust hängt das feine silberne oder gar goldene Kettengewirr, den Miederschnüren der Tegernseer Bäuerinnen gleichend, das Uhr und Petschaft trägt und Anhängsel aller Art; der Handschar, ein kurzer gebogener Dolch, steckt im Gurt. So eilen sie mit den kurzen wuchtigen Schritten, die ihnen eigentümlich sind, die große Perastraße hinan; zierlich geputzte griechische Dienstmädchen im kleidsamen Kopftuch oder übertriebenen Modehut folgen und schließen sich an, und auch wir gehen langsam hinterdrein.

Vorüber am „Taksim“, dem großen Wasserreservoir, und am hübschen Promenadengarten, der dem Taksim seinen Namen entlehnt hat, dann zur Linken eine glatte Anhöhe voll jämmerlich zertretener Frühlingsblumen empor und auf dem großen Exercierplatze vorwärts. Von oben herab sehen wir zu unseren Füßen vor dem steilen Hügel des nachbarlichen Griechenviertels Tatawla in ein wirres eng zusammengepferchtes Jahrmarktstreiben.

„Dort hinunter?“

„Wenn Sie wollen? Aber Sie müssen sich Nase und Ohren verstopfen, die eine Hand in der Tasche um Ihre Börse schließen, die andere bereit zur Abwehr halten und im Munde nur die zwei Worte führen: „haide!“ und ‚yok!‘ – die Worte: ‚Pack Dich!‘ und ‚Nein!‘“

Die Geschichte da drunten schaut sich zwar ein bißchen ungemütlich an, aber – dem Mutigen gehört die Welt. Mein flotter Kavalier springt mit drei zierlichen Sätzen den Abhang hinunter, ich folge, ob meines furchtsamen Rutschens und Gleitens von einer ganzen Horde kleiner Baschi-Bozuks mit „aferim!“ verfolgt, was soviel wie „Bravo!“ bedeutet.

Von der reinen Höhe, wo die Luft süß vom Jonquillenduft und frisch vom Meeresodem ist, sind wir fast unvermittelt in eine unsäglich traurige Schlucht versetzt, zehnfach traurig und herzbeklemmend im Golde dieser heißen glänzenden Sonne, deren Strahlen, einem Seziermesser gleich, die tiefsten Schäden bloßlegen, die Oede zum Fegfeuer machen durch die Kraft ihrer sengenden Flammen.

Unrat, Fäulnis und spitze Steine! Der süße Frühlingshauch verpestet von den Ausdünstungen verwesender Tierkadaver. Dort am staubigen Hange, dessen Geröll nichts trägt als Disteln- und Dorngestrüpp, miaut ein zum Gerippe abgezehrtes verendendes Katzentier, hier zu meinen Füßen zwischen Scherben, inmitten einer ekelhaften Lache, zuckt ein schwach winselnder Hund, schlammbedeckt, von Aasfliegen umsummt. Uns zur Rechten eine schiefstehende Zigeunerhütte neben der anderen, von dürftigen Lehmmäuerchen eingehegt; Lehm, Unrat, abstoßende Fetzen, Knochen und Scherben übereinander gepackt und gehäuft. Zwischen den Hütten graue Zelte mit malerischen Einblicken auf hockende und faulenzende Gruppen von braunen Gesellen und weißbärtigen und weißlockigen Alten. Draußen stehen abgetriebene Eselchen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_173.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2021)
OSZAR »