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Seite:Die Gartenlaube (1895) 214.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


er dankend und benahm sich überhaupt so, wie es Hänschen vom Fähnrich erträumt hatte. Das will sagen, er tanzte mit niemand anderem als mit unserm überglücklichen jungen Fräulein, und die sonstigen jungen Mädchen mochten sich die Augen aussehen. – Keine konnte sich nachher rühmen: „Ein Lieutenant war auch da und der hat mit mir getanzt.“ Der Fähnrich gestattete sich inzwischen, von Bowle und Liebe ermutigt, sämtliche Schleifen und Bonbons, die ihm in die Hände fielen, der Riesin zu Füßen zu legen, so daß diese, angesichts seiner zweifellos ernsten Absichten, sich schon im stillen mit dem Rechenexempel zu beschäftigen begann, wie lange es wohl dauere, bis ein Fähnrich zu Amt und Brot gelange und imstande sei, eine Riesin zu ernähren. –

So ging dieser ereignisreiche Abend schließlich für alle Teilnehmer befriedigend zu Ende, und Hänschen hatte, angesichts der schwierigen Sachlage, eine Selbstbeherrschung an den Tag gelegt, welche die Eltern doch wieder mit dem herzlosen Fähnrich aussöhnte, da sie ohne Frage als Resultat seiner Erziehung zu betrachten war.

Als aber der letzte Gast sich verabschiedet hatte, sagte der Präsident nachdenklich zu seiner Frau: „Weißt Du, Mathilde, das Mädchen wird uns aber vor der Zeit verdreht gemacht – sie muß doch noch in Pension!“


Aber sie kam nicht in Pension. Der Einfluß des Fähnrichs hielt vor, auch nachdem er sich von der präsidentlichen Familie verabschiedet hatte, um in einer fernen Garnison neues Unheil unter Mädchenherzen anzurichten.

Sein Fortgehen wurde, trotz der perfiden, übrigens ebenso rasch erloschenen, wie entflammten Leidenschaft für die Riesin, von der ganzen Familie aufrichtig bedauert und die lustigen Sonntage mit Spiel und Tanz riefen noch oft, nachdem sie wieder durch ernstere Bestrebungen verdrängt waren, bei Hänschen und Lotte den Seufzer hervor: „Wenn doch der Fähnrich noch da wäre!“

Aber die entschiedene Heiterkeit, die der junge Mann bei seinem letzten Besuch trotz aller dankbaren Rührung an den Tag legte, das sichtliche Regen der Schmetterlingsflügel, das in seinem Abschiedsgruß lag, genügte doch, um unser Hänschen zu dem Entschluß zu bringen: „Nun mache ich mir aber auch nichts daraus!“

Ja, sie gewann es sogar über sich, die Photographie des Herrlichen, auf der er schon „beinahe wie ein Lieutenant“ aussah, dem Familienalbum zu gönnen und nicht für sich zu „räubern“, obwohl die Eltern, wenn auch blutenden Herzens, am Ende das Opfer gebracht hätten, sie ihr zu überlassen.

Der Fähnrich machte es übrigens wie alle Fähnriche – oder, um gerecht zu sein, wie viele Fähnriche! – Er war nicht sobald fort und Lieutenant geworden, als er nie mehr von sich hören ließ und nur zu Neujahr noch eine Karte mit p. f. an das Haus entsandte, in dem er so segensreich gewirkt hatte.

So waren denn zwei Jahre hingegangen seit dem ereignisreichen Geburtstag – zwei Jahre, in denen nicht nur der Fähnrich zum Lieutenant und Hänschen zu einer reizenden, sehr mädchenhaften, jungen Dame – sondern auch der Assessor vor ganz kurzer Zeit – sehr früh und sehr erfreulich! – zum wohlbestallten Regierungsrat geworden war.

Er hatte dieses angenehme Ereignis erst schriftlich dem ganzen befreundeten Hause und dann mündlich der Mutter desselben in einer langen ernsthaften Unterredung mitgeteilt. Den Schluß und das Resultat dieser Unterredung können wir uns nicht versagen, zu belauschen, wenn es auch vielleicht recht indiskret von uns ist.

„Der einzige Zweifel, den ich noch habe, ob ich wagen darf, meine Bewerbung auszusprechen,“ sagte der neugebackene Regierungsrat mit einer gewissen Verlegenheit, „ist der – glauben Sie wirklich, verehrteste gnädige Frau, daß Ihr Fräulein Tochter – sie ist jetzt so unendlich ruhig und gehalten in ihrem Wesen, daß jede Vermutung“ –

Er stockte.

„Nun?“ frug die Mutter, die zu dem Lobspruche etwas ironisch dreingesehen hatte.

„Ich meine“ – brachte der Regierungsrat mutig, aber nicht ohne ein männliches Erröten hervor, „glauben Sie wirklich, daß sie den Fähnrich von damals ganz vergessen hat?“

Die Präsidentin lachte hell auf.

„Mein lieber Freund!“ sagte sie heiter, „hat Ihnen der Jüngling so lange Kopfzerbrechen gemacht? Nein – ich glaube, da können Sie ganz ruhig sein! Wir wollen übrigens gleich einmal die Probe aufs Exempel machen!“ setzte sie ruhig hinzu und gab dem Hausfreund gar keine Zeit, zu protestieren, da eben Hänschen ins Zimmer trat.

Sie begrüßte den Gast – nicht ganz unbefangen, wie ich bemerken muß, falls einem meiner Leser um den Assessor von einstmals angst werden sollte.

„Hänschen!“ begann die Mutter mit dem ernstesten Gesicht von der Welt, „rate einmal, wer sich verlobt hat? Unser ehemaliger Fähnrich – der Lieutenant von Soten. Was sagst Du dazu? Nun? Aber ehrlich!“

Hänschen öffnete ihre großen Augen sehr weit.

„Das ist mir doch so ‚Wurst‘!“ erwiderte sie würdig und lieferte mit dieser Wendung den erfreulichen Beweis, daß sie im Grunde doch noch das alte Hänschen von damals sei und einen Kraftausdruck nicht verschmähte, wo er zur Klärung der Situation dienen konnte.

Die Mutter hatte, angesichts dieser Wendung, das deutliche Gefühl, dem Assessor sehr geschickt auf den Weg geholfen zu haben, und verließ mit der beliebten Bemerkung „Ich muß einmal nach der Küche sehen“ das Zimmer.

Wir dürfen uns aber wirklich nicht noch einmal so indiskret benehmen wie vorhin und wollen jetzt mit ihr in die Küche gehen.

Zur Belohnung für dieses zartfühlende Betragen sind sämtliche Leser freundlichst eingeladen, zum Polterabend des Assessors – nicht doch, des Regierungsrates mit Fräulein Hänschen wieder zu kommen, wo unter allen Aufführungen und Vorführungen keine solches Glück machte wie die von Karl.

Er gab nämlich zu allgemeinem Beifall den „Fähnrich als Erzieher“.


Erfinderlose.

Konrad König und der Brunnen auf dem Königstein.
Von Cornelius Gurlitt.


Die sächsische Festung Königstein liegt nahe der böhmischen Grenze auf der Höhe eines ringsum senkrecht abfallenden Felsens des Elbsandsteingebirges dicht über der Elbe. Die Natur hat ihr Bestes gethan, um sie für Feinde unzugänglich zu machen. Bis heute ist sie auch kriegerischer Waffengewalt noch nicht erlegen, wenngleich sie jetzt an strategischer Bedeutung eingebüßt hat. Sie gilt eigentlich nur noch als einbruchssicherer Geldschrank, in welchem Dresden seine Schätze verbirgt, sobald Gefahr im Verzuge ist, und als ein Sperrfort für den Durchzug von Truppen und Transporten auf der Verkehrsstraße des Elbthales. Als solches ist sie neuerdings wieder verstärkt worden.

Früher war das anders, da war der Königstein ein militärisch wichtiger Platz, dessen Befestigung auf der Höhe der damaligen Kriegswissenschaft zu halten sich seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts die sächsischen Fürsten allezeit angelegen sein ließen. Unter diesen ragt Kurfürst August I. als vorsorglicher Landesfürst hervor. Er ist es, welcher der Feste eines ihrer stärksten Verteidigungsmittel gab, den Brunnen. Dieses viel bewunderte Werk ist nach neuen Messungen 152,5 Meter tief in den Felsen gehauen; früher scheint er tiefer gewesen zu sein. Die Angaben schwanken bis zu 190 Meter. Dieser Brunnen liegt also gesichert vor Zerstörung durch den Feind wie vor dem Versiegen des Wassers. Denn der Schacht reicht inmitten des riesigen Steinblockes, welcher die Festung trägt, bis fast auf den Spiegel der in die Elbe sich ergießenden Bergwässer des Elbsandsteingebirges hinab, während die Elbe selbst 246 Meter unter der Gleiche der Festung zwischen bewaldeten reizvollen Berghöhen in breiter Schlangenlinie vorüberzieht.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_214.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)
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