Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Es ist nicht mehr so leicht wie früher, dem Königstein einen Besuch abzustatten. Es bedarf einer schriftlichen Anfrage beim Kommandanten und eines wirklichen Grundes, um die Erlaubnis zu erhalten. Wer die Erlaubnis zum Besuche erhält, den führt ein Unteroffizier mit vorsichtiger Gefälligkeit herum. So kommt man auch in das Brunnenhaus, einen stattlichen, aber äußerlich wie innerlich kunstlosen Bau. Man muß die Hebekunst für das Wasser des Brunnens bewundern, nachdem der Führer mittels einer Blendlaterne und eines Spiegels in die Tiefe hinabgeleuchtet hat. Da sieht man denn, über das gähnende schwarze Loch gebeugt, tief tief unten den matten Schein einer Wasserfläche. Der Brunnen selbst bildet einen Cylinder von 3,5 Metern Durchmesser. Der herumgleitende Lichtstrahl des Spiegels beleuchtet blitzweise hier und dort seine rauhen, triefenden Wände. Dann gießt der Führer einen Krug Wasser in die Tiefe. Es dauert eine ganze Weile, bis man es unten aufschlagen hört, denn die 17 bis 18 Sekunden gespannter Aufmerksamkeit verrinnen nicht so schnell wie sonst. Und während des Wartens überzieht wohl viele eine Ahnung der Mühen und Sorgen, welche einst dieser Brunnenbau den Werkleuten machte. Denn er entstand in einer jener technischen Hilfsmittel noch völlig entbehrenden Zeit, durch welche wir jetzt solche Bauausführungen so ungleich leichter zu bewältigen vermögen. Aber auch für uns wäre es eine nicht ganz leichte Aufgabe, etwa 1500 Kubikmeter festen Sandstein aus einer Tiefe zu brechen und zu fördern, welche der Höhe der Türme des Kölner Domes nur um 4 1/2 Meter nachsteht.
So lange der Brunnen so große Tiefe noch nicht erreicht hatte, mochte seine Wetterführung wenig Schwierigkeiten bieten. Der Bau begann 1559. Bis zur Zeit der Reformation stand auf dem Felsen ein Kloster, aber schon 1556 ließ Kurfürst August einen Stall aus dessen verfallenem Gemäuer errichten, wohl in Voraussicht der Baufuhren, welche nun für die zur Festung bestimmten Felsenhöhe nötig sein würden. Anfangs mag der Brunnen sogar als Steinbruch für diese Bauten betrachtet worden sein. Aber je tiefer man kam, desto beschwerlicher wurde das Heraufziehen der Lasten, das Arbeiten in der feuchten, bei mangelnder Luftbewegung dumpfen Unterwelt. Im Jahre 1568, begann man ein großes Laufrad zu bauen, welches von vier Mann getreten wurde. Ein solches Rad war ein recht ungefüges Ding. Etwa 3 Meter breit und 5 Meter im Durchmesser hoch, bewegte es sich um eine mächtige, wagerecht liegende Achse. Die Speichen waren so gestellt, daß im Inneren des Rades eine freie Laufbahn in Gestalt einer Trommel blieb. Latten waren auf diese aufgenagelt – und nun stellte man die Arbeiter, meist Sträflinge, in das Rad. Sobald dies in Bewegung war, mußten die Arbeiter vorwärts laufen, um nicht mit in die Höhe gerissen zu werden, und so waren sie denn, bis man von außen das Rad anhielt, zu einem ununterbrochenen Trabe gezwungen, zu einem endlosen Vorwärtsschreiten, ohne von der Stelle zu kommen, da das Rad unter ihren Füßen immer zurückrollte. Es war dies eine wahre Sisyphusarbeit, ohne Rast, ohne Ziel, ohne Belohnung.
Etwa 1574 scheint die Tiefe im Brunnen erreicht worden zu sein, welche für reichliche Wasserversorgung Gewähr bot. Damals entwarf der italienische Graf Rochus Quirin von Lynar, derselbe, welcher Teile des Berliner Schlosses baute und die Festungswerke von Dresden und Spandau schuf, eine neue, den damals gültigen Gesetzen der Befestigungskunst entsprechende Ummauerung des Berges, an die man wohl nicht gedacht hätte, wenn das wichtigste Erfordernis, um einer langwährenden Belagerung widerstehen zu können, das Wasser, gefehlt hätte.
Also etwa 15 Jahre dauerte der Tiefbau im Brunnen. Es mag nicht eben leicht gewesen sein, Arbeiter zu finden, welche sich zu solchem Werke hergaben. Wie der Kurfürst, auch in diesen Dingen der Sohn einer rauhen Zeit, dafür sorgte, daß es seinen Brunnenbauten nicht an Kräften fehlte, das zeigt das Beispiel der gleichzeitig betriebenen Anlage am Schloß Augustusburg. Er ließ die ihres Verbrechens überführten Wilddiebe auf die Baustelle bringen, sie in Eisen legen und zu der schwersten Arbeit heranziehen. Ein „Steckenknecht“ trieb diese Zwangsarbeiter auf des Kurfürsten ausdrücklichen Befehl alle Abend in einen Stall und durfte ihnen nicht mehr geben als notdürftige Speise und Kleidung. „Andern Wilddieben zur Abscheu“ solle der Steckenknecht sie mit Peitschenhieben zur Arbeit anhalten. Ja, als drei der Gepeinigten entflohen, befahl der Fürst, den Steckenknecht im Gefängnis selbst mit scharfen Ruten zu streichen, die Wilddiebe aber von nun an nur im Brunnen selbst arbeiten zu lassen, bis sie Wasser fänden, und ihnen ihren Lebensbedarf mit dem Haspel hinab zu lassen. In der feuchten Tiefe, fern von der Sonne, mußten die Sträflinge unter den Peitschenhieben des Steckenknechts, nur getrieben von der Hoffnung, daß die Feuchtigkeit, welche der Fels ausschwitzte, endlich durch eine reichliche Wasserader ersetzt werde, ihr Leben unter harter Arbeit fristen. Der Kurfürst lehnte alle Bitten, sie aus ihrer Lage auch nur auf Zeit zu befreien, entschieden ab. Mancher mag nur als Leiche seine Arbeitsstätte verlassen haben. Solche Sträflinge waren es wohl auch, welche auf dem Königstein den Brunnen teuften. In die ungeheure Tiefe wurden die Seufzer der von einer harten Zeit in die Unterwelt Hinabgestoßenen mit versenkt.
Als aber der Brunnen selbst fertig war, begannen erneute Schwierigkeiten, jetzt galt es, Vorkehrungen zur Hebung des Wassers in solche Höhen zu treffen, wie hier nötig war. Die verschiedenen Versuche, welche in Bergwerken gemacht worden waren, um den Wasserandrang zu bekämpfen, hatten bisher meist nur geringen Erfolg ergeben. Statt der Hebewerke legte man daher lieber mit hohen Kosten Stollen an, um das Grubenwasser nach den Thalsohlen zu aus den Bergwerken zu entfernen. Im Königsteiner Brunnen aber mußte ein Werk angelegt werden, welches für eine größere Garnison genügendes Wasser 150 Meter hoch zu heben vermöchte. Und da war guter Rat teuer!
Der Kurfürst hatte einen Uhrmacher aus Altenburg kennengelernt, dessen Begabung ihm viel versprach. Konrad König hieß der Mann. Er hatte sich ihm 1574 durch Einsendung einer „General-Sonnenuhr“ empfohlen, welche die Form eines vergoldeten Büchleins hatte. Der Kurfürst gab ihm 500 Gulden für dieses Werk. Andere Bestellungen folgten, die zur Zufriedenheit ausfielen. Durch all dies veranlaßt, begann der Kurfürst seine Hoffnung auf den neuen Künstler zu richten. In jener Zeit des beginnenden Studiums der Naturwissenschaften mischte sich noch so viel kindliches Hoffen, so viel kühnes Wagen mit unter die thatsächlichen Entdeckungen, daß selbst die Besten ihrer Zeit geneigt waren, geschickten Projektemachern Glauben zu schenken, zumal auch diese meist nicht Betrüger, sondern selbst durch ihre Phantasie Betrogene waren. Es geht durch die Reihe der besten Fürsten jener Zeit die Sucht, sich mit Geldmachern zu verbinden, und es genügten Jahrhunderte der Mißerfolge nicht, um den Glauben zu zerstören, daß es möglich sei, aus minderwertigen Metallen das edelste herauszumischen. Es brauchte noch viel längerer Zeit und ist zum Teil noch heute nicht gelungen, spintisierenden Köpfen die Ansicht zu nehmen, daß man eine Maschine erfinden könne, welche, einmal in Bewegung gesetzt, nie wieder in Ruhe käme, ja deren Kräfte sich selbst steigerten. Der Stein der Weisen, welcher den Schlüssel für die Goldbereitung liefern sollte, und das Perpetuum mobile, die sich selbst in unendlicher Bewegung haltende Maschine, zu erfinden, war der Ehrgeiz aller jener, welche die Wissenschaft mit beweglicher Phantasie ergriffen.
Kurfürst August war ein Mann ohne hohen Geistesflug. Aber er sah sehr wohl ein, welchen Nutzen die beiden so eifrig angestrebten Künste seinem Lande und seinem Schatze bringen könnten. Er hatte daher ein scharfes Auge auf alle sich ihm darbietenden technischen Neuerungen. Der mathematisch-physikalische Salon in Dresden, ein Teil der berühmten Kunstsammlungen der sächsischen Hauptstadt geben noch heute Kunde vom Sammeleifer des Fürsten auch nach dieser Richtung. So wurde denn auch Konrad König dem Kurfürsten wichtig, seit er mit einer neuen Erfindung sich meldete und zwar 1576 im Schlosse Annaburg bei Torgau, dem damaligen Sitze des Hofes, eine „Wasserkunst“ im Modell vorlegte, durch welche er das Wasser im Königsteiner Brunnen von der Sohle bis zur Höhe der Festung zu heben versprach. Sein Vorschlag fand so lebhaften Anklang, daß er bald darauf aus seiner Heimat Altenburg genauere Risse für die Arbeit einsenden mußte. Der Kurfürst ließ ihn in einem besonderen Wagen abholen, später auch seine Frau und seine Söhne, in der kurfürstlichen Gießerei wurden Röhren hergestellt, alles vorbereitet, damit das Werk bald in Gang gesetzt werde. Königs Glück schien gemacht, denn der Kurfürst war als ein Mann bekannt, welcher einmal aufgenommene Gedanken mit zäher Gewissenhaftigkeit durchzuführen liebte.
Am 1. Dezember 1576 begann der Baubetrieb auf dem Königstein. König mochte sich und seinem Bauherrn die Sache
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_215.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)