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Seite:Die Gartenlaube (1895) 278.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Du liebst mich nicht, Ditscha – es ist das beste, wir trennen uns – bekümmere Dich nicht mehr um mich! Es kommt ja in der Welt auf einen mehr oder weniger nicht an, der an solcher Geschichte zu Grunde geht, und Du kannst dann recht ruhig leben, weil Du nicht einen Schritt vom Pfade der sogenannten Wohlerzogenheit abwichest. – – Leb’ wohl – Du bist ein schönes kluges Mädchen, aber ein Herz hast Du nicht!“

Er ruft das letztere schon vom Pferde herunter, reißt das Tier herum und stürmt davon. Er ist ein guter Schauspieler, Hans von Perthien, und Ditscha gegenüber wird ihm die Rolle nicht einmal schwer. Sie ist ein himmlisches Mädel, wenn auch ein Eiszapfen und – alle Wetter, Beetzen doch am Ende auch nicht zu verachten; der tolle Kronen hat seit Jahren nichts verbraucht, und seine Frau ist eine Geborene von Zweifelden, das muß gefleckt haben! Wenn, um Gotteswillen, er, Hans, doch Mittel und Wege fände, diese Geschichte zu erzwingen!

Ditscha geht mit gesenktem Kopfe zurück; auf dem todeseinsamen dunklen Wege begegnet ihr plötzlich eine weibliche Gestalt in Mantel und Spitzentuch, die höflich zur Seite tritt.

„Fürchten sich denn gnä’ Fräulein nicht?“ fragt Grete Busch.

Betroffen schaut Ditscha sie an. – Grete muß Perthien noch gesehen, muß sie beide zusammen gesehen haben, ein Wunder, daß er sie nicht überritt bei seinem tollen Jagen! Hat sie die beiden belauschen wollen?

„Ich fürchte mich nicht, guten Abend,“ sagt Ditscha.

„Gnä’ Fräulein werden nämlich gesucht,“ berichtet Grete Busch weiter und geht neben ihr. „Der gnädige Herr Baron waren selbst vor unserer Thür. Da hab’ ich ihm gesagt, Fräulein Ditscha seien nach dem Erbbegräbnis zu gegangen – er wollte just zum Park hinaus.“

„Hätten Sie ihn doch gelassen, Grete Busch,“ antwortet Ditscha hochmüthig, „ich würde mich gefreut haben, wäre er mir entgegengekommen.“

Grete beißt sich auf die Lippen; sie hat einen Pik auf dieses vornehme Mädchen, das doch ganz gewiß nicht um ein Haar besser ist als sie, die sehr leicht beschwingte kokette Grete Busch, die nächstens einen spanischen Reitschulstallmeister heiratet, wie oll Mutter Busch sich ausdrückt, was annähernd der Wahrheit entspricht, nur mit der Variante, daß der Verlobte bloß Reitknecht ist im Cirkus Bandini und die Manege mit aufharkt zwischen zwei Piecen, und daß er allerdings ernstlich bestrebt ist, eine höhere Carriere einzuschlagen. Grete Busch, die zuweilen bei großen Aufzügen im Cirkus mit figuriert, lernte ihn da kennen, und mit Hilfe ihres kleinen Vermögens, das sie von dem Alten zu erpressen gekommen ist, will das Paar irgendwo ein Reitinstitut gründen. Grete findet diesen Beruf sehr vornehm, und „vormehm werden“ ist von jeher das einzige gewesen, worüber ihr thörichter Kopf ernstlich nachzudenken vermag.

Ditscha ist trotz alledem zu gutmütig, sich von dem Mädchen, mit dem sie als Kind gespielt, kurz zu verabschieden. So gehen sie nebeneinander bis an die Gärtnerwohnung, wo Grete scheinbar demütig „Guten Abend!“ wünscht, um gleich hinterher ein Paar bitterböser Augen zu machen.

Ditscha ahnt gar nicht, was für eine Feindin sie da eben verläßt. Sie kommt müde und verstört ins Haus zurück und weiß nicht, wie sie ihre Gedanken zur Ruhe hringen soll. Nichts ist ihr so schrecklich, als jemand wehe zu thun –. Wenn sie nur das eine wüßte, ob er sie wirklich so liebt!

Gedankenvoll sitzt sie bei Tische, mechanisch ißt sie und antwortet sie.

„Was hast Du in Nässe und Schnee so spät bei der Kapelle umherzulaufen?“ poltert Onkel Jochen.

„Ich war nicht bei der Kapelle, Onkel.“

„Aber der aufgedonnerte Zieraffe vom Gärtner hat mir’s doch gesagt!“

„Dann hat sie sich – dann hat sie Dich belogen, Onkel; ich war draußen auf dem Waldwege an der Birkenbank.“

„Verrückte Einfälle! Bertha, ich sage Dir“ – seine Gedanken sind schon wieder bei der Gärtnerstochter – „sieh Dir das Frauenzimmer an, was ist’s jetzt für ’ne Welt! Die Buschens sind doch brave Leute, und da haben sie nun so einen Kakadu ausgebrütet! Wenn ich Vater Busch wäre, ich nähme die Reitpeitsche und haute sie, bis die Lappen herunterflögen!“

Tante Bertha nickt, sie hat auch schon davon gehört. „Jochen, wir beide verstehen die Welt nicht mehr,“ erklärt sie, „wir kommen zu wenig hinaus. die alte Einfachheit sitzt vielleicht nur noch in unserem Winkel hier.“

„Zum Teufel,“ räsonniert er, „was thun wir noch hier, Berthachen!“ Und er schneuzt sich.

„Der Teufel, ja, Jochen, der Teufel!“ seufzt Tante Anna, „Du hast recht, Jochen, der Teufel hat die Grete Busch beim Kragen!“




Ditscha ist krank. Sie liegt auf ihrem Sofa, hat fieberheiße Wangen und fährt zusammen, sobald die Thür geht. Sie ist mit sich ins reine gekommen, sie hätte Hans nicht fortlassen dürfen, ihn, der sie so gebeten hatte, ihm Halt und Stütze zu sein. Wenn er sich nun totschießt aus Verzweiflung – wie soll sie das ertragen?

Sie hat wunderliche drei Tage verlebt; niemand kümmert sich um sie, oder liegt das an ihr? Sie hat doch sicher geglaubt, der Papa würde ihr ein gutes väterliches Wort schreiben – nichts! Der Papa hat freilich geschrieben, aber an Onkel Jochen, und zwar, daß er der Ansicht sei, Ditscha gegenüber die ganze Sache als eine Bagatelle zu behandeln und gar nicht davon zu reden. Junge Mädchen seien immer sehr geneigt, solche Ereignisse als riesig wichtig zu nehmen, nun gar Ditscha! Onkel Jochen ist völlig damit einverstanden und hat Tante Bertha instruiert und Tante Anna, und letztere hat den Befehl nach oben vermittelt an Tante Klementine und an Hanne. So kommt es, daß Ditschas Liebesangelegenheit wie von der Luft aufgesogen scheint.

Sie grübelt und grübelt und ist elend dabei geworden. Heute abend kommen Pfarrers und Oberförsters; sie kann sich zwar kaum aufrecht halten vor Kopfweh, aber sie beschließt, hinunterzugehen, denn es wäre ja möglich, daß man von ihm spricht. Die Oberförfterin ist die Tante ihrer besten Freundin Liesing, das junge Mädchen war einen Sommer lang im Forsthause und Ditscha hat sich mit der ganzen Wucht ihrer Empfindung auf diese Freundschaft geworfen. Als die kleine blonde Liese wieder zu ihrer Mutter ging, war Ditscha krank vor Kummer. Sie hat immer gehofft, Liesing würde wiederkommen, aber sie kam nicht, sie war im Gesellschaftsstrudel ihres Berliner Kreises untergetaucht, hat immer weniger Zeit gefunden zum Schreiben und nun – nun ist sie verlobt, nun ist’s aus! Sie fragt gar nicht erst die rundliche hübsche Frau: „Frau Oberförsterin, wie geht es Liesing?“ Die Sache ist abgemacht.

Bei Tische kommt die Rede auf die dörfliche Chronique scandaleuse. Buschens Grete wird abfällig beurteilt; die Schulzenfrau hat Zwillinge bekommen. Tante Anna sagt, sie wolle das Wappen an dem Kronenschen Kirchenstuhl frisch vergolden lassen, wozu Jochen von Kronen bemerkt, daß er sich das verbitte. Tante Bertha sefzt: „Wozu denn, Anna? Für Jochen und mich ist’s ja gut genug so!“

Frau Pfarrer, die sehr lebhaft ist und sich brennend für alles interessiert, was in der Stadt vorgeht, fragt die Oberförsterin nach dem Winterball des Bützower Kasinos. Die beiden Damen haben die Gewohnheit, sich mit dem Familiennamen anzureden, dem sie immer ein „chen“ anhängen.

„Ja freilich, Weberchen, war ich da!“

„War’s hübsch?“

„Ein schauderhaftes Gedränge, ganz hübsche Toiletten, aber an Tänzern fehlt es ja immer, und wenn nun gar noch –“

„Ja,“ sagt der Oberförster, „’s ist ein Skandal! Eine ganze Reihe hübscher kleiner Deerns, die alle keinen Tänzer haben – und dann steht da noch so ein blasierter Jüngling in den Thüren herum und sieht sich das erbarmungslos mit an.“

„Also, soweit sind wir nun in Bützow auch schon,“ bemerkt Jochen. „Weiß Gott, Berthachen, so was hätte unser Jung –“ er schluckt die Bemerkung hinunter.

„Ich habe dem Herrchen auch gründlich den Staar gestochen,“ erklärt der Oberförster, „und ihn gefragt, ob er zu enge Stiefeln habe.“

„Wer war’s denn?“

„Na, einer vom Domänenrat Calwerwisch, sein jüngster Stoppelhopfer, ein hübscher schneidiger Bengel, der da mit ein Paar Augen in das Vergnügen hineinguckte, als wollt’ er all die lütten Mädels vergiften.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_278.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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