Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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mitten im Zimmer saß und sich von Bob nat einem großen Fächer Kühlung zuwedeln ließ.
„Reizendes Herbstwetter hier bei Ihnen,“ rief der junge Amerikaner, „ein liebliches Klima in der That, ich habe die ganze Nacht kein Auge Schließen können vor Hitze.“
„Ich bedaure ungemein,“ antwortete Don Antonio höflich und verbindlich, „hören zu müssen, daß Ihre erste Nacht auf unsrer Insel keine angenehme war. Es ist Südwind. Sehr schwül. Es wird erträglicher werden, ich wünsche Ihnen jedenfalls viele gute Tage bei uns.“
„Danke,“ antwortete Johny, „hoffen wir das beste. Aber nehmen Sie Platz, bitte. Was zieht man denn an bei diesem Thermometerstand? Ich kann doch hoffentlich in Flanell ausgehen?“
„Ohne Zweifel,“ antwortete Carvajal, der vom Kopf bis zu den Füßen in blendend weißem feinen Piqué stak, und während er sich in einen Schaukelstuhl niederließ und seinen Fünfhundert-Mark-Strohhut auf den benachbarten legte, fügte er hinzu: „Sie können sich während der Geschäftsstunden hier ganz so tragen, wie es Ihnen am bequemsten ist, und selbst des Abends im Parquecito beim Konzert ist der New Yorker Touristenanzug keineswegs eine seltene Erscheinung.“
„Mir lieb zu hören, na, aber einen Rock werde ich doch wohl anziehen müssen. Mein Jackett, Bob! Halstuch und Schärpe.“
Der junge Mulatte war ein wohlgeschulter Kammerdiener. Blitzschnell erschien er in der Thür des Schlafzimmers, in das er sich zurückgezogen hatte, mit mehreren Kartons, die er nacheinander öffnete und seinem Herrn zur Ansicht vorzeigte. In jedem lag ein Halstuch und eine gleichfarbige Schärpe. Der zweite schon enthielt eine auffallend hübsche Garnitur in schwerem hellblau und weiß gestreiften Seidenrips.
„Etwäs grell,“ sagte Johny, „und Havanna würde kaum das richtige Verständnis dafür haben, wenn ich hier mit dem Blau-Weiß meines Fußballklubs kokettieren wollte,“ fügte er vergnügt hinzu.
Carvajal sah auf, ein flüchtiger Blick seiner schwarzen Augen streifte über die breite Schärpe hin und ein satanisches Lächeln verzerrte einen Augenblick sein Gesicht. John Arlington hatte es nicht bemerkt, denn Don Antonio saß halb hinter ihm, dagegen waren des Farbigen Augen denen des Kreolen begegnet. Bobs Hand, die den Pappkasten hielt, zitterte leicht, als Carvajal jetzt aufstand, herantrat und sagte: „Wie hübsch! Außerordentlich hübsch. Uebrigens keineswegs zu grell, wir sind sehr farbenfroh in Havanna.“
„Nun, wenn Sie meinen,“ lachte John, „so werde ich damit Staat machen. Entschuldigen Sie einen Augenblick.“
Kurz darauf erschien er wieder, ertig zum Ausgehen. Als sie unten durch die Treppenhalle schritten, machten der Portier und einige Kellner verdutzte Gesichter. Es wagte niemand eine Bemerkung, als aber Don Antonio einen Wagen herangerufen hatte und die beiden Herren davon fuhren, bildete sich in der Halle des Hotels eine kleine Gruppe von fünf, sechs Menschen, die den leuchtenden, blauweißen Schärpen und Halstuchenden des Fremden verblüfft nachsahen und aufgeregt miteinander sprachen. Bob, der den Schlag geöffnet und wieder geschlossen hatte, machte große Augen, es war ihm nicht entgangen, daß einer der beiden Herren mit irgend etwas aufgefallen war, und ein unbestimmter Verdacht stieg in ihm auf. Er war äußerst neugierig, drängte sich unter die anderen, verstand aber leider kein Wort Spanisch und auf seine englischen Fragen gab ihm niemand Antwort.
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Die glühende Tropensonne war untergegangen. Die Erde und die Menschen atmeten auf. Hunderte und aber Hunderte von Gasflammen blitzten auf dem Promenadenplatz, der, unmittelbar vor der früheren Stadtmauer gelegen, von den Havanneros El Parquecito genannt wird, viele Gaslaternen und einige Springbrunnen, das ist dem Spanier und dem Kreolen ein Park.
Schattige Anlagen hätten hier allerdings auch wenig Zweck, denn man kommt doch nur nach Sonnenuntergang hierher. Tagsüber ist der weite, in der Sonne glühende Platz völlig menschenleer. Die verschwenderisch erleuchteten, mit feinem Sand bestreuten Wege sind aber das Stelldichein der vornehmen Gesellschaft während der allabendlichen Konzerte. Das Haus des Casino Español, des Spanischen Klubs, liegt auf der einen Seite. Auf der anderen, der inneren Stadt gerade gegenüber, hat im ersten Stock eines der Häuser der Deutsche Klub sein Heim aufgeschlagen. Das Erdgeschoß hat das Café Washington inne, dicht daneben liegt das „El Louvre“ genannte, bekannt durch den schnöden blutigen Angriff der spanischen Voluntarios auf wehrlose Söhne der Insel. Der die ganze Front entlang laufende Balkon des Deutschen Klubs pflegt während der Konzertstunden stets gut besetzt zu sein. Es ist ein anziehendes Bild: innerhalb des um den ganzen Parquecito herumlaufenden Trottoirs die nach den Klängen der Musik auf und ab schreitenden Gruppen sich begrüßend, stets wechselnd, plaudernd, sich aufsuchend und wieder trennend, ein großer Salon, und außen eine lange Reihe eleganter „Volanten“, jener vom Sattel aus gefahrenen, charakteristischen zweirädrigen Wagen mit den Schönen der Stadt besetzt, die, bequem in den Kissen liegend, hier sozusagen Hof halten und sich von ihren Verehrern mit Fruchteis aus den umliegenden Cafés und mit Schmeicheleien füttern lassen.
Auch heute genossen oben mehrere Herrengruppen die leichte Seebrise, schauten auf den Platz hinunter, der strahlend in blendendem Lichte mitten im Schoße der dunklen Nacht lag, und unterhielten sich vom Geschäft, von der Zukunft der Insel, von der Wut der Spanier und dem unterdrückten fanatischen Ingrimm der in den Hauptstädten machtlosen Kreolen.
„Wer sind die beiden reizenden Damen in der Volante hier gerade unter uns, Herr Guttner,“ fragte jetzt ein junger Deutscher, der zwischen zwei Landsleuten stand. Den frischen Farben seines energisch geschnittenen Gesichts sah man an, daß er erst ganz vor kurzem auf der Insel angekommen sein konnte. Seine Kleidung war bescheiden, er trug deutsches, graues Turnerleinen und einen Stock aus schwerem Eisenholz, ohne Griff und ohne Zwinge, wie man ihn in den Straßen von Havanna für wenige Centavos ausbietet. So war er wohl nur ein kürzlich erst angekommener, mittelloser deutscher Commis, wie sie Bremen und Hamburg alljährlich für den Verbrauch der Tropen verschifft, „unter Kontrakt wie die Chinesen“, sagen die boshaften Kubaner.
Die beiden Herren, in deren Mitte er stand, behandelten ihn aber doch recht höflich und sprachen sehr liebenswürdig mit ihm, obschon sie reiche Leute waren, ihren hochfeinen Abendanzügen nach, für die der Wiener oder der Pariser Herrenbekleidungskünstler mindestens seine fünf bis sechs Unzen Gold berechnet hatte. Der Unterschied von arm und reich wird im persönlichen Verkehr nicht allzu stark betont zwischen den Mitgliedern der Kolonie.
Guttners Auge hatte die Gruppe gefunden. „Die Dame rechts im Wagen ist Doña Mercedes,“ antwortete er, „unsere berühmteste Schönheit, von den Herren am Schlag ist der jüngere ihr Bruder Enrique und der mit dem grauen Spitzbart ihr Vater, Don Felipe Morales. Die andere kenne ich nicht. Uebrigens sicher keine Havannera, sondern allem Anschein nach eine Amerikanerin.“
„Zwei wunderhübsche Mädchen,“ fiel Hartwig, der dritte der Herren, ein. „Aber, was ist denn da los?“
„Wo? Was?“
„Da oben an der Ecke vom Telegrafo her, ein Auflauf . . .“
Guttner, ein schon älterer, etwas beleibter Herr, klemmte sein goldenes Augenglas auf die Nase. „Wo? Ah da! Ein Herr im weißen Flanell, ein Fremder kommt über den Platz. Man folgt ihm, umdrängt ihn, schreit auf ihn ein. Er steuert unbekümmert gerade hier auf uns zu. Jetzt kann er nicht weiter, man umringt ihn. Ja, ist denn der Mensch verrückt? Sehen Sie nur, Herr Hartwig! Führt der Mann die Farbeu des Cuba libre unter den Gaskandelabern spazieren!“
„Wahrhaftig,“ rief der andere, „er muß wahnsinnig sein, blauweiße Schärpe und blauweißes Halstuch.“
„Na, was ist denn dabei?“ fragte Reuter.
„Was dabei ist? Es ist verwegen, toll!“ erklärte der dicke Herr Guttner hastig. „Die Spanier müssen es als ganz unglaubliche Herausforderung ansehen. Es ist dasselbe, als hätte einer in den Tagen nach Lincolns Ermordung auf den Straßeu von New York mit den Rebellenfarbeu herumgeprahlt. Blauweiß ist die Flagge, das Schlacht- und Erkennungszeichen der Insurgenten.“
Der behäbige Herr war ganz aufgeregt. „Kommen Sie, kommen Sie, meine Herren, gehen wir hinunter, das kann lebensgefährlich interessant werden.“
Unten hatten sich auf den Lärm hin auch der alte Herr Morales und sein Sohn, die noch immer am Schlag des Wagens standen, umgewandt und sahen jetzt mit Entsetzen den Auftritt. Eine Schar spanischer Offiziere war Johny entgegengetreten. Inmitten eines Haufens, in dem sich plötzlich verdächtige Gestalten zeigten,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_406.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)