Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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die, keinesfalls der Gesellschaft angehörend, aus dem Dunkel der den Platz umgebenden Nacht aufgetaucht schienen, stand er eingekeilt.
Ein Hauptmann der leichten Infanterie, die das Volk ihres Geschwindschritts wegen los locos, die Verrückten, nennt, sprach wütend auf ihn ein.
In seinem bronzefarbenen Gesicht, in das jahrelanger Dienst in der Manigua, in der Wildnis des Innern, seine Spuren gegraben hatte, funkelten wilde schwarze Augen, deren gelbliche Augäpfel ihnen etwas Schreckliches gaben. Mit der rechten Hand focht er aufgeregt in der Luft umher, die linke zuckte am Griffe des Degens.
Johny verstand kein Wort, er hatte keine Ahnung, was das alles bedeutete, aber er faßte es sehr humoristisch auf, zu seinem Unglück. Er lachte und zuckte die Achseln, zum Zeichen, daß er nicht wisse, was man von ihm wolle.
Da kochte das spanische Blut seines Gegners auf, mit einem Griffe fuhr er Johny mit der rechten Faust ins Halstuch und riß es ihm mit einem Ruck herunter, ein Stück des Flanellhemdes mitnehmend.
Das verstand der Amerikaner, er erblaßte jäh bis in die Lippen. Die breite Brust unter dem zerfetzten Hemd hob sich und im nächsten Augenblick traf ein wohlgezielter Faustschlag den Capitano mitten ins Gesicht und streckte ihn bewußtlos auf den Rücken.
Ein Wutgeheul erhob sich. Der alte Ruf, mit dem schon die tapferen Bestien der spanischen Erobererscharen zum Angriff stürmten: „à carne, á sangre“, „an Fleisch und Blut“, gellte durch die Nacht, mit wildem: „Muerten los insurrectos“, „Tod den Rebellen“, zogen die Offiziere blank und stürzten mit der Menge auf ihn ein. Die beiden Damen erhoben sich entsetzt in ihrem Wagen. Im nächsten Augenblick sahen sie in dem Knäuel einen riesigen Neger hinter Johns Rücken sich an ihn herandrängen, ein Messer blitzte auf und John war verschwunden, unter den Fäusten, den Degen, den Stöcken, den Füßen der Wütenden.
Die beiden Morales waren dem Kampfplatz zugeeilt. Sie wandten sich an einige der Offiziere. Man hielt sie auf, sie begannen zu verhandeln.
Bonny Kates Herz zog sich zusammem; was für ein trauriger Kerl, dachte sie, als sie den jungen Morales die Zeit mit Worten verlieren sah. Sie sprang selbst aus dem Wagen und stürmte, ohne Rücksicht auf die Gefahr, vorwärts. Auch Mercedes folgte. „Helft ihm, helft ihm!“ rief diese den Umstehenden zu. Einige bekannte Herren, die der gefeierten Erbin gern dienen wollten, erhielten in fliegenden Worten kurze Aufklärung und Befehle, aber alles wäre zu spät gekommen, wenn nicht in dem Augenblick, als Johny fiel, ein blonder Riese in grauem Leinen sich in das Getümmel gestürzt hätte.
Schon die Wucht seines Anpralls bahnte ihm eine Gasse, denn bei solchem Zusammenstoß entscheidet das Gewicht und die hageren Spanier waren leichte Ware. Einige Faustschläge schafften ihm weiter Luft und dann fegte sein schwerer Stock in wuchtigen Kreishieben den Umstehenden unaufhörlich an der Nase vorbei.
Alles wich überrascht zurück für einen Augenblick. Im nächsten Moment freilich drang einer der jüngeren Ofßziere mit gezogenem Degen auf ihn ein, doch ein Hieb auf den Vorderarm schlug diesem klirrend die Klinge aus der Hand, ein zweiter, in steiler Hochquart dem Offizier auf den Kopf niedersausend, streckte ihn selbst zu Boden. Es war kein tötlicher Streich, aber die Wirkung war die gewünschte. Das Opfer des Auftritts war seiner Bedränger ledig.
Inzwischen gelang es von außen her einigen Offizieren, denen die beiden Morales Erklärungen gegeben hatten und angesehenen Herren, die auf Morales Wink herbeieilten, zu Wort und zu Gehör zu kommen.
Ein Mißverßändnis, ein Amerikaner, er hat keine Ahnung, was die Farben bedeuten, so schwirrte es durch die Luft. Verschiedene zweifelhafte Gestalten hielten es für geraten, zu verschwinden. Herren der besseren Gesellschaft, die eben noch mit auf Johny losgeschlagen hatten, beeilten sich, für ihn Partei zu nehmen, als sie so einflußreiche Leute auf seiner Seite sahen, und nach wenigen Sekunden war jede Gefahr beseitigt.
John Arlington aber sah entsetzlich aus, bewußtlos lag er im Staube. Seine Kleider waren zerfetzt und beschmutzt. Mehrere Degenstiche hatten ihm Brust, Oberarm und Schenkel durchbohrt. Der leichte weiße Kaschmir seines Anzugs starrte von Blut. Der bleiche, entstellte Kopf lag auf Bobs Knien, der, mit eigenem und fremdem Blut bespritzt, wilde Wut in den Zügen und den weißen rollenden Augäpfeln, unheimlich genug aussah. Die schöne Mercedes kniete neben dem Verwundeten nieder. Mit den feinen weißen Händen versuchte sie, die blutnassen Haare ihm aus der Stirn zu streichen. Keine Rücksicht nahm sie auf die vielen Bekannten, und „John, Johny, lieber, süßer John, nicht sterben“, flüsterte sie ihm zu – freilich auf spanisch, das er auch bei wachen Sinnen nicht verstanden hätte.
Bonny Kate, die auf der andern Seite ihres Bruders bemüht war, ihn aufzurichten, sah sie an. Sie hatte oft gewünscht, daß Merci ihren Bruder lieben lernen möchte, jetzt wußte sie, daß sie ihn schon immer geliebt hatte. Ein schmerzliches Lächeln zog über ihr Gesicht. Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Sie sah auf und in das Gesicht eines Herrn, der sich mit den Worten vorstellte: „Doktor Herrero. Erlauben Sie, daß ich den Verwundeten untersuche.“
Die Damen erhoben sich. Mercedes wurde von ihrem Vater, Kate vom jungen Morales nach ihrem Wagen geführt. „So, nehmt Platz und wartet einige Augenblicke, wir werden Euch gleich Bescheid bringen, hoffentlich ist es nicht allzu schlimm,“ sagte der alte Herr tröstend und die beiden Herren kehrten zu John und dem Arzt zurück.
Kate Arlington stieg noch nicht ein, sie sah sich vergeblich nach dem Riesen in grauem Leinen um, dem man es verdanken würde, wenn ihr Bruder noch zu retten war. Sie erblickte Bob in der Nähe, wie er, noch immer halb geistesverwirrt von dem Fürchterlichen, dem Rätselhaften, das aus seinem lebenslustigen, jungen Herrn in wenigen Augenblicken einen zerfetzten Sterbenden gemacht hatte, stieren, wilden Auges etwas zu suchen schien auf dem Platz und in der Menge, die sich mehr und mehr zurückzog.
BLÄTTER UND BLÜTEN.
Ausstellungen für Kinderpflege. Am 15. Mai ist in den Räumen des Gewerbehauses zu Dresden eine „Ausstellung von Erzeugnissen für Kinderpflege, Ernährung und Erziehung“ eröffnet worden – eine schlichte Ausstellung, frei von äußerem Prunk und jenen reklamehaften „Sehenswürdigkeiten“, welche bestimmt sind, Massen Schaulustiger heranzuziehen. Wer diese Ausstellung besucht, der muß schon das Interesse für die Sache mitgebracht haben, dann findet er vollauf Gelegenheit, zu studieren, zu vergleichen und zu lernen. Aerzte, Landwirte, Fabrikanten, Buchhändler, Lehrer und Frauen haben in den Räumen Verschiedenes ausgestellt, das der Kinderwelt dient – von der Milchflasche, dem Kinderwagen und dem ersten Kinderschuh – bis zu Turnapparaten, Nähschulen und guten Büchern sowie anderen Lehrmitteln. Wir bringen keinen ausführlichen Bericht über diese Ausstellung, denn wir glauben der Sache besser zu dienen, wenn wir einige nützliche Gegenstände, die uns dort begegnet sind, in besonderen sachlich gehaltenen Artikeln unsern Lesern vorführen; aber mit Stillschweigen sollte ein solches Unternehmen in den Spalten eines Volks- und Familienblattes nicht übergangen werden. Derartige Ausstellungen, die auf weitere Kreise in hohem Maße belehrend wirken, sollten in unseren Städten häufiger veranstaltet werden. Wenn sie auch klein ausfallen und in der weiten Welt kein Aufsehen erregen, so bringen sie doch großen Nutzen, namentlich wenn sich an dieselben auch belehrende Vorträge knüpfen. Leider sind bei uns gerade Ausstellungen für Kinderpflege ungemein selten. Darum möchten wir der jüngsten in Dresden mit Anerkennung gedenken und nur wünschen, daß sie bald auch in anderen deutschen Städten Nachfolgerinnen finden möchte. *
Freundschaft zweier Dichtersöhne. Der Freundschaftsbund Goethes und Schillers hat besonders in ihrem inhaltsvollen Briefwechsel ein ewig dauerndes Denkmal gefunden. Weniger bekannt dürfte es sein, daß auch die Söhne beider Dichter, August Goethe und Schillers zweiter Sohn Ernst, durch jahrelange Freundschaft miteinander verbunden waren. Darüber erfahren wir Näheres in der Schrift „Schillers Sohn Ernst. Eine Briefsammlung mit Einleitung von Dr. Carl Schmidt“ (Paderborn, F. Schöningh). Schon früher hatten die Kinder miteinander Umgang gehabt, aber erst nach der Uebersiedlung Schillers nach Weimar wurde der Verkehr zwischen den beiden Familien lebhafter. Es war ein Kleeblatt von Kindern, Karl, der ältere Sohn Schillers, gehörte mit in den Bund; doch August fand besondere Freude an dem zarten, sehr aufgeweckten Ernst. Im Jahre 1802 hatten die Kinder sogar eine Ordensgesellschaft gestiftet. Cotta, der sich bei seiner Anwesenheit in Weimar an diesem Knabenbund erfreut hatte, ließ in einem Briefe an Schiller die Jugend grüßen und fragte an, ob „die Früchte verzehrende Gesellschaft“ (eine Anspielung auf die alte „Fruchtbringende Gesellschaft“) auch die Bücher erhalten, die er gesandt. August erwiederte ihm, bei seiner
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_407.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2021)