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Seite:Die Gartenlaube (1895) 422.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Antonios Haus lag in mattem Silberschimmer, der Thorweg gegenüber in schwarzem Schatten. Tiefe Stille herrschte. Unter dem blauschwarzen Sternenhimmel ruhte die Stadt. In der Ferne heulte ein Hund.

Der Mulatte überlegte, sicher, scharf, kalt und grimmig, wie der Wilde auf dem Kriegspfad. Don Antonio war zu Hause gewesen, während das von ihm bezahlte Messer die von ihm geschaffene Gelegenheit benutzte. Der Mann war klug, der Mörder kam heute abend nicht, vom Schauplatz der That sofort nach dem Carvajalschen Hause war er auf keinen Fall gegangen, und spätestens eine Viertelstunde darauf war Bob schon auf dem Posten gewesen. Einer von Don Antonios Dienern war es kaum, das wäre unvorsichtig gewesen. Sicher ein Gedungener. Er würde wohl morgen erst kommen dürfen, in der Frühe, um zu berichten und seinen Lohn zu holen. Der Mulatte schlief auf der Stelle, wo er stand, auf den Steinen. Am andern Morgen fand ihn der erste Sonnenstrahl wieder wach.

Kurz nach sechs Uhr kam ein baumlanger Neger die Straße entlang. Er trat sehr sicher auf. Auf sein Klopfen wurde das große Thor geöffnet und blieb auch offen für den Tag, wie immer.

Der Mulatte schritt hinter dem Neger in das Haus und die Treppe hinauf. Die Diener glaubten, er gehöre zu ihm. Der Neger sah sich nicht um, er wußte genau Bescheid, stieg ruhig die Treppe hinauf und öffnete, kurz anklopfend, eine Zimmerthür.

Don Antonio Carvajal, der beim Kaffee saß, wandte sich nach dem Eintretenden um. Im nächsten Augenblick wurde er graublaß, denn hinter dem Neger sah er John Arlingtons Diener, der eben ein großes Bowiemesser aufklappte und ihn mit einem Blick ansah, vor dem ihm grauste. Er wollte rufen aber es war zu spät. Blitzschnell war der Mulatte an dem überraschten Neger vorbeigeschlüpft und hatte dem zitternden Schuft mit einem wilden Yankeefluch die breite Klinge ins Herz gestoßen. Lautlos brach Don Antonio zusammen.

Der Neger versuchte, den Rächer festzuhalten, griff aber nur in das Messer, das ihm Bob durch die Hand zog. Brüllend vor Schmerz ließ der Schwarze ab. Bob stürmte die Treppe hinunter, verfolgt von den Dienern des Hauses.

Wie ein gehetztes Wild floh er die Calzada, den „Steinweg“, entlang. Hinter ihm gellte und kreischte es: „Ataje, Ataje!“ „Haltet ihn! Faugt ihn!“

Diener, Weiber, Kinder eilten an die Fenster, auf die Balkone, in die Thorwege, denn der Ruf „Ataje“ verspricht immer ein Schauspiel. Sie sahen den Mulatten, das blutige Messer in der Hand, in langen Sätzen daher kommen, hinter ihm die immer wachsende Schar seiner Verfolger.

„Wieder ein Raubanfall,“ dachte jeder, und was auch immer man gerade in der Hand hatte, warf man nach dem Fliehenden, alte Töpfe, leergetrunkene Kokosnüsse, Blechbüchsen, Besenstiele, Knüppel, Steine flogen auf den Unglücklichen herab. Ein halber Backstein von einem Balkon herunter geschleudert, traf sein schon verwundetes Haupt. Mit klaffendem Schädel stürzte er vornüber aufs Pflaster.

Eben bog eine auf der Runde befindliche Bareja, ein „Paar“ Polizisten, um die Ecke.

Man hatte die Hauptstadt von allen Truppen entblößt, da man jeden Mann im Innern gegen die Aufständischen brauchte. Der Guardia civil und den Nachtwächtern war das Gesindel, entflohene Sklaven, vielfach bestrafte Farbige, Diebe und Mörder, über den Kopf gewachsen. Man war seines Lebens und seines Eigentums keinen Augenblick mehr sicher in Havanna. Da hatte das Mutterland etwas Uebriges gethan für „die immer getreue Stadt“, bewährte, langgediente Unteroffiziere, die besten Schützen hatte es aus dem ganzen Heere ausgesucht und mit weisen Instruktionen herübergeschickt. Sie wurden gut bezahlt und waren vorzüglich bewaffnet. Niemals ging einer allein. Immer traten sie paarweise auf. Sie lieferten niemals einen Gefangenen ab, den sie mit der Waffe in der Hand ergriffen hatten, auf dem Transport machte er immer einen Fluchtversuch und „die nie fehlende Kugel der Gerechtigkeit“ streckte ihn stets mit zerschmettertem Hinterhaupt zu Boden. So las man am andern Morgen in der Zeitung.

Als jetzt die Gefürchteten erschienen, zog sich alles scheu etwas zurück, nur zwei der Carvajalschen Diener gaben erregt, schreiend, mit den Händen in der Luft herumfuchtelnd, Bescheid.

Da klingelte ein Pferdebahnwagen vorüber; auf der hinteren Plattform stand in grauem Leinenanzug ein breitschultriger großer blonder Herr. Der Auflauf interessierte ihn. Er sprang ab und trat auf die Gruppe zu. Man hatte den Mulatten eben mit einem Kolbenstoß gegen das Schienbein geweckt. Bobs Augen öffneten sich und trafen auf den Herangetretenen. Da leuchteten sie auf „Helft mir,“ rief er ihn englisch an. „Ihr habt meinem Herrn geholfen gestern abend –00 zur Herrin –00 bei Morales.“

Reuter erinnerte sich des Mulatten, er erinnerte sich auch der Gespräche gestern abend, wie man im Klub angenommen hatte, es seien bezahlte Hände dabei gewesen, das sei des Landes so der Brauch, um einen Mißliebigen los zu werden. – Gestern der Herr, jetzt der Diener. Er wandte sich in langsamem, aber richtigem Spanisch an die Beamten. „Sein Herr ist gestern abend im Park fast ermordet worden. Der Bursche ist freier amerikanischer Bürger und schwer verwundet, er hält keinen weiten Transport mehr aus. Seine Herrschaft ist zum Besuch hier bei Don Felipe Morales. Das Haus ist in der Nähe, lassen Sie ihn dahin schaffen. Die Sache wird eine sorgfältige Untersuchung nötig machen. Ich bin Deutscher. Hier ist meine Karte.“

Das „Soi aleman“ hatte damals, nicht lange nach dem deutsch-französischen Kriege, Gewicht und der Name Felipe Morales auch, die Polizisten kamen Reuters Wunsche nach.

Aus einem der Nachbarhäuser wurden ein Brett und ein paar Querhölzer entliehen. Einige der umstehenden Beschäftigungslosen, an denen in Havanna niemals Mangel ist, packten den Verwundeten auf und trugen ihn nach der Villa Morales. Der Weg war nicht weit, dennoch war Bob, als man ankam, wieder ohnmächtig geworden, vor Schmerzen und von dem starken Blutverlust. Der alte Herr Morales empfing den Zug, den man durch den weiten Vorgarten hatte herankommen sehen. Reuter stellte sich ihm und Miß Arlington, die neben Don Felipe stand, vor und gab ganz kurz die nötigsten Erklärungen.

Während man Bob hineintrug, hielt Kate den Deutschen einen Augenblick zurück. „Sie haben gesteru für meinen Bruder Ihr Leben gewagt, obschon er Ihnen fremd war. Die Vorsehung will uns Gelegenheit geben zum Dank und führt Sie durch eine zweite edle That in unser Haus. Sie dürfen es nicht verlassen bevor ich mit Ihnen gesprochen habe.“

Reuter zögerte. – „Herr Reuter, ich bitte darum,“ drängte Kate Arlington, „ich muß zu meinem Bruder und Ihnen den Arzt für Bob schicken.“

Reuter verneigte sich, die Augen der Beiden tauchten für einen Augenblick ineinander, dann ging Kate. Im Davoneilen rief sie Reuter noch zu: „Sorgen Sie, daß ich gerufen werde, sobald es möglich ist.“

Unter den Bemühungen des Arztes, der von Johny Arlingtons Bett an das seines Dieners geeilt war, kehrte Bob endlich noch einmal das Bewußtsein zurück – nur für Augenblicke aber.

Seine Augen wurdeu weit und freudig, als er auch seine Herrin unter denen sah, die sein Lager umstanden.

„Die Farben,“ kam es von seinen Lippen, „Don Antonio Carvajal – den Neger bezahlt – lebt der Herr?“ Und als sie sich über ihn beugte und ihm sagte, daß ihr Bruder wieder zur Besinnung gekommen wäre und daß Hoffnung bestünde, ihn am Leben zu erhalten, da war er zufrieden. Er lächelte. „Mitten ins Herz,“ murmelte er noch, dann schwanden ihm die Sinne und eine Viertelstunde später war er tot.

Bonny Kate drückte ihm die Augen zu, dann aber reichte sie über Bobs Leiche dem Deutschen in dem schäbigen, grauleinenen Anzug die Hand und sagte: „Es ist aus, Herr Reuter, für Bob sind Sie zu spät gekommen. Für meinen Bruder aber ist Hoffnung, Hoffnung durch Sie. Gewiß nehmeu Sie Anteil an dem, den Sie gerettet haben. Deshalb kommen Sie wieder, nach Johns Befinden zu fragen, werden Sie sein Freund, wenn er uns erhalten bleibt!“

Auch Don Felipe bat ihn, „sein Haus als das seinige und ihn als seinen Diener zu betrachten“, und der Ausdruck, mit dem er das sagte, machte den Satz zu etwas mehr als der üblichen Redensart. Reuters Eingreifen hatte ihm und seinem Sohn Achtung eingeflößt und sie waren dem Deutschen dankbar; beide hatten sie den jungen Amerikaner wirklich lieb und außerdem wäre es doch gar zu scheußlich gewesen, wenn der alte Arlington hätte erfahren müssen, daß sein Sohn elend zu Grunde gegangen wäre, fast unter ihren Augen. Zwar hatten sie beide einen betrüblichen Gedanken, als sie die reiche Erbin Hand in Hand mit dem Deutschen da vor sich sahen, und sie beide begruben einen Lieblingsplan in diesem Augenblick. Aber sie benahmen sich tadellos, offen und herzlich. –0

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_422.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)
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