Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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verschiedene Frauen sich auf ausländischen Universitäten, besonders in Zürich, zu Aerztinnen ausgebildet und unter dem Schutze der Gewerbefreiheit in Deutschland zu praktizieren begonnen. Die staatliche Anerkennung zu erlangen, gelang ihnen freilich nicht; ihre Gesuche um Zulassung zum Staatsexamen wurden abschlägig beschieden. So wirken schon seit 1877 Fräulein Dr. Franziska Tiburtius und Fräulein Dr. Emilie Lehmus in Berlin. Neben ihrer sehr ausgedehnten und stets wachsenden Privatpraxis haben die beiden Damen in der von ihnen eingerichteten Poliklinik bis zum 31. März 1894 18870 Frauen ärztlichen Rat und Beistand erteilt. In einer kleinen Pflegeanstalt sind außerdem 528 unbemittelte kranke Frauen verpflegt und behandelt worden, so daß die Thätigkeit dieser beiden Aerztinnen der Hauptstadt des Reiches, das sie nicht einmal anerkennt, zu reichem Segen gediehen ist.
Neuerdings haben sich noch Fräulein Dr. Agnes Bluhm und zwei andere Aerztinnen in Berlin niedergelassen. In Frankfurt a/M. praktiziert ferner Dr. Elisabeth Winterhalter, in Leipzig Dr. Anna Kuhnow, in Nordrach (Baden) Frau Dr. Walther-Adams. Die jährlich steigende Praxis aller dieser Frauen beweist deutlich, wie dringend das weibliche Publikum nach weiblichen Aerzten verlangt.
Bei der Erörterung der Frauenpetitionen um Zulassung zum Studium wurde wiederholt auf den Mangel einer geeigneten Vorbildung hingewiesen. Um den Gegnern des Frauenstudiums diesen Vorwand zu nehmen und zugleich den Beweis der Befähigung der Frauen für mathematische, naturwissenschaftliche und altsprachliche Studien zu erbringen, waren schon im Jahre 1889 in Berlin sogenannte Realkurse für Frauen eingerichtet worden. Ihr Lehrplan war, da ja damals an eine Zulassung zu deutschen Universitäten noch gar nicht zu denken war, zunächst den in Zürich geltenden Aufnahmebedingungen angepaßt; eine Erweiterung der Anstalt behielt man sich stillschweigend vor. Der Versuch gelang über Erwarten. Von den prophezeiten Schwierigkeiten war wenig oder nichts zu merken. Die meisten Schülerinnen der Realkurse verfolgten zwar keinen weiteren Zweck als den, ihr Wissen zu erweitern; einige aber bestanden nach 21/2 bis 3jähriger Vorbereitung ihr Maturitätsexamen in Zürich und sind heute dort in glücklicher Abwicklung ihrer Studien begriffen.
Der Erfolg ermutigte zu weiterem Vorgehen. Die Realkurse wurden in Gymnasialkurse verwandelt, d. h. sie wurden den preußischeu Gymnasiallehrplänen angepaßt. Ein Komitee, dem hervorragende Parlamentsmitglieder und Gelehrte angehören (Vorsitzender ist Heinrich, Prinz zu Schönaich-Carolath), trat zur finanziellen Sicherstellung und moralischen Unterstützung der Kurse zusammen, die im Herbst 1893 eröffnet wurden. Das Prinzip, das sich bei den Realkursen bewährt hatte, nur Erwachsene (das Minimaleintrittsalter ist 16 Jahre), nicht Kinder, aufzunehmen, wurde auch weiterhin befolgt. Da man es also nur mit erwachsenen, strebenden Menschen, mit sehr kleinen Klassen und ausgewähltem Material zu thun hatte, auch einen bestimmten Wissensstand als Vorbedingung stellte, so war eine Verkürzung der in Aussicht genommenen Lernzeit auf 4 Jahre möglich.
Im Herbst desselben Jahres wurde auch durch den Verein „Frauenbildungsreform“ ein Mädchengymnasium in Karlsruhe eröffnet, das Mädchen von 12 Jahren an aufnimmt und einen sechsjährigen Kursus hat. Ferner begründete der Allgemeine Deutsche Frauenverein Ostern 1894 Gymnasialkurse in Leipzig, und zwar nach dem gleichen Prinzip wie die Berliner Kurse.
Da eine Garantie für die spätere Zulassung der Frauen zum Studium in Deutschland noch nirgends geboten ist und alle diese Anstalten „auf Hoffnung“ errichtet worden sind, so ist ihre Schülerinnenzahl noch gering. Doch sind Anzeichen dafür vorhanden, daß die deutschen Regierungen der Sache des Frauenstudiums nicht mehr so abweisend gegenüber stehen wie früher. In Baden zeigten die Behörden bei Gründung des Karlsruher Mädchengymnasiums von vornherein großes Entgegenkommen. Vor kurzem hat die Anstalt seitens des großherzoglich badischen Unterrichtsministeriums die Zusicherung erhalten, daß bei weiterer regelmäßiger Entwicklung seinen Schülerinnen nach Absolvierung der ordnungsmäßigen Schulstudien die Zulassung zum Reife-Examen für die Universität gewährt werden solle. – Die Berliner Anstalt ist kürzlich dem Provinzialschulkollegium unterstellt worden, und auch in Sachsen scheint man der Sache Wohlwollen zu schenken. So wird vermutlich der günstige Ausfall einer ersten Prüfung den Bann endlich brechen.
Ein weiteres Zeichen des allmählichen Umschwunges, der sich in der öffentlichen Meinung und in den maßgebenden Kreisen vollzogen hat, ist, daß verschiedene Universitäten Frauen als außerordentliche Hörerinnen zugelassen haben. Freilich wird immer nur von Fall zu Fall entschieden und nach dem Belieben der einzelnen Docenten. Am weitesten ist bis jetzt die Universität Heidelberg in ihren Zugeständnissen den Frauen gegenüber gegangen. Die naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät stellte beim Kultusministerium den förmlichen Antrag, es solle der Besuch der Vorlesungen und Uebungen innerhalb der Fakultät denjenigen Besucherinnen gestattet werden, welche die Fakultät nach Aeußerung ihrer sachverständigen ordentlichen Mitglieder für hinreichend vorbereitet erkläre. Die Zustimmung des vortragenden Lehrers sei jedoch dabei in jedem einzelnen Falle vorausgesetzt, auch die Erlaubnis als eine stets widerrufliche zu betrachten. Das Kultusministerium genehmigte den Antrag (November 1891). Dieselbe Universität verlieh auch am 16. Februar vorigen Jahres Fräulein Käthe Windscheid auf Grund einer Dissertation über „die englische Hirtendichtung von 1579–1625“ die philosophische Doktorwürde.
Neuerdings tritt auch Göttingen in den Vordergrund. In diesem Sommer sind dort nahezu zwanzig Hörerinnen zugelassen, die sich besonders dem Studinm der Mathematik, der Naturwissenschaften, doch auch dem der Nationalökonomie, der Germanistik und der neueren Philologie zugewendet haben. Fräulein Chisholm bestand dort vor kurzem ihre Doktorprüfung magna cum laude; sie hatte Mathematik, Physik und Astronomie studiert.
So stehen bis zur Stunde die Dinge in Deutschland. Daß sie sich nur noch eine kurze Spanne Zeit in dieser Schwebe halten lassen werden, ist klar; der Fortschritt auf allen Gebieten ist international, und das Zurückbleiben eines Kulturlandes hinter dem andern kann ohne Schädigung der eigenen Interessen immer nur Jahrzehnte dauern.
Um so notwendiger wird es sein, heute, wo die Dinge ihrem Wendepunkt nahen, die Aussichten und Fährlichkeiten des Frauenstudiums zu erwägen, nicht im Prinzip, sondern in individueller Anwendung. Was man im Prinzip gegen und für das Frauenstudinm sagen kann, ist alles unzähligemal hin und her gewendet, wie mir scheinen will, mit sehr geringem Erfolg. Ob die einzelnen Argumente Bedeutung haben oder nicht, kommt ganz und gar auf das Individuum an.
Es wird sich in erster Linie auch bei uns um den ärztlichen Beruf handeln. Philologische und andere Studien werden mancher Lehrerin zur Ausbildung willkommen sein; notwendig sind sie nach dem Stande der heutigen Prüfungsordnungen für sie nicht. Zum ärztlichen Beruf wird sich sicherlich nach Freigebung des Studinms eine Anzahl Mädchen oder Frauen drängen, denen der innere Beruf dazu abgeht, die nur ein unklarer, ehrgeiziger Drang, die Lust nach etwas Besonderem treibt. Solche Erscheinungen sind untrennbar von neuen Entwicklungsstadien. Sie verschwinden nach kurzer Zeit spurlos, weil die Betreffenden nicht ihre Rechnung finden. Kinderkrankheiten wie diese sollten der Sache selbst nicht zur Last gelegt werden.
Was nun die Frage betrifft: welche Frauen sind physisch und psychisch geeignet für den ärztlichen Beruf, so lassen wir sie durch eine Frau beantworten, der die reichsten Erfahrungen in Bezug auf diese Frage zu Gebote stehen. Fräulein Dr. Tiburtius sagt darüber: „Wenn jemand die allerdings sonderbar klingende Frage aufwerfen würde: Ist der Mann zum Beruf des Arztes physisch und psychisch geeignet, so würde die Antwort lauten: viele Männer sind es, aber nicht alle. Der Beruf des Arztes erfordert vollkommene Gesundheit, auch normale Sinnesfunktionen, im übrigen in körperlicher Beziehung mehr Ausdauer und Resistenzfähigkeit als hervorragende Muskelkraft. Das Gleiche gilt für die Frauen, die den Beruf ergreifen.
Wie jeder andere Mensch kann auch der Arzt, resp. die Aerztin, einmal krank werden und gezwungen sein, die Praxis eine Weile aufzugeben; es tritt dann der Kollege oder die Kollegin für sie ein. Doch die Schwankungen von einem Tag zum andern, die Migränen, die Nervenverstimmungen müssen der Frau fern sein oder doch unter Herrschaft gehalten werden; sie muß die Fähigkeit haben, auch unter gelegentlichem körperlichen Unbehagen Gleichmäßigkeit der Stimmung, gute Laune, Arbeitskraft und Arbeitslust, freundliches Eingehen auf die Klagen anderer zu bewahren.
Selbstverständlich muß Durchschnittsintelligenz vorhanden sein – etwas mehr ist natürlich vorteilhaft; ebenso die Fähigkeit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_426.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2021)