Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Um sie zu versöhnen, kaufte ihr der rote Schmallstein bei dem Allerhandskrämer, welcher so leichtsinnig gewesen war, sein Glück in Büttelstedt zu versuchen, einen Gummiball, wahrend der blaue sich bis zu einer Fünfzigpfennigspuppe verstieg. Linchen war glücklich, nahm beide Geschenke, mußte jedoch zu ihrem Kummer erleben, daß Fritz ihren Ball in das Wasser warf, während Otto die Puppe bei den Beinen ergriff und sie mitten auseinander riß, so daß die Sägespäne, welche den ledernen Balg füllten, in alle Winde stoben.
„Etsch-etsch, ich habe von Linchen einen Apfel bekommen,“ höhnte ein andermal Fritz.
„Und ich eine Birne, ha – ha – ha –“ spottete Otto. Der Streit war wieder im Gange und endete damit, daß die beiden Knaben die Früchte dem beklagenswerten Mädchen an den Kopf warfen.
So gingen die Jahre hin, und wenn sich auch der Haß der Brüder nach und nach nicht mehr so offen bekundete, so glomm er dennoch wie der Funke unter der Asche fort. Ein Windzug – und er konnte sich zur offenen Flamme entfachen. Und dieser Anlaß kam.
Die Knaben waren zu Jünglingen gereift, Linchen zur Jungfrau, und die Freundschaft der Brüder zu dem Mädchen hatte sich in Liebe verwandelt. Heute abend war Pfingstbier, da durfte kein tanzfähiges Büttelstedter Menschenkind im Kruge fehlen.
Lina begab sich dahin nur mit Zittern und Zagen; denn das war wieder eine Gelegenheit, um den eifersüchtigen Zorn der Schmallsteinschen Brüder auflodern zu lassen. So recht lieb hatte sie keinen von beiden, aber das wagte sie aus Angst nicht zu gestehen und so tanzte sie abwechselnd mit dem einen und mit dem andern. Nun handelte es sich aber darum, neben welchem sie in der Kaffeepause sitzen sollte.
„Du kommst an meinen Tisch,“ sagte Otto.
„Das fehlte noch,“ rief Fritz, „hier gehörst Du her.“
Lina wagte den Streit nicht zu entscheiden, da mußte wieder die Faust der Brüder helfen, welche wutentbrannt hinaus auf den Dorfplatz stürzten, um ihre Sache dort auszufechten; sie aber, Schlimmes ahnend, eilte ihnen nach und trennte sie.
„Gut!“ sagte Otto, „entscheide, mit wem von uns beiden Du gehen willst!“
„Ja, sag’ ’mal aufrichtig, wen Du lieber hast, den oder mich?“ brauste Fritz auf.
Lina wurde es himmelangst, eine Entscheidung wollte sie nicht treffen und so lief sie denn nach Hause. Viel sollte ihr das nicht helfen, denn beide jagten ihr nach und langten fast gleichzeitig vor dem Schuhmacher Vogelsang an, welcher noch spät am Abend hinter der mit Wasser gefüllten Lichtglaskugel auf seinem dreibeinigen Schemel saß und die Stiefeln des Ortsschulzen ausbesserte.
Vogelsang sah über die große Hornbrille hinweg, die aufgeregt hereinstürmenden Drei voller Erstaunen betrachtend.
„Die Sache muß klär werden,“ rief der eine.
„Der Kram muß in Ordnung,“ der andere, während sich Linchen still weinend in die dunkelste Ecke des kleinen Zimmers drückte.
Nun trugen die Brüder, sich gegenseitig unterbrechend, dem Meister Vogelsang ihre Wünsche vor.
Der Alte zog den Fuß aus dem Knieriemen, mit dem er den Stiefel des Schultheißen festgehalten hatte, so daß er polternd auf den Boden fiel, und kratzte sich hinter dem Ohre.
„Hm – hm – das ist eine kitzlige Frage, die muß denn doch eigentlich die Line entscheiden; aber wenn es auf mich ankäme, so würde ich den zu meinem Schwiegersohn nehmen, der einmal das Anwesen kriegt und das Geschäft; aber wer es kriegt, das mag der Teufel wissen, denn Euere Eltern wissen ja selbst nicht, wer von Euch der Aelteste und der Jüngste ist.“
Das Anwesen? Das Geschäft? – Daran hatten sie beide noch gar nicht gedacht.
Die Liebesangelegenheit trat mit einem Schlage in den Hintergrund und der Eigennutz nahm deren Stelle in der Brust der jungen Leute ein.
„Vater, wie ist das? Wer bekommt Haus und Hof?“ fragten sie am nächsten Morgen alle beide.
Meister Schmallstein saß da wie versteinert und Friederike zitterte wie Espenlaub. Beide aber blieben die Antwort schuldig.
„Ich natürlich, ich bin der Aelteste,“ warf Fritz ein.
„Nein, ich! Denn kein Mensch kann beweisen, daß ich der Jüngste bin,“ donnerte Otto dagegen.
Der Siebmacher, welcher unter dem gegenseitigen Haß seiner Kinder vorzeitig zum alten Mann geworden war und einen guten Teil seiner früheren Willenskraft eingebüßt hatte, zog sich förmlich in sich zusammen und starrte trübe auf seinen Handwerckstisch.
„Leider muß ich bekennen,“ sagte er nach einer Weile mit gebrochener Stimme, „daß ich selbst nicht weiß, wer von Euch zuerst auf die Welt gekommen ist, und so hab’ ich denn beschlossen, wenn mich der liebe Gott abberuft, mein Anwesen unter Euch zu teilen; dann hat jeder sein Recht.“
Das entfesselte einen gewaltigen Sturm. Otto und Fritz wollten davon nichts wissen und beide beanspruchten das Erbe für sich ganz allein. Friederike rang in stummer Verzweiflung die Hände. Der Meister aber ermannte sich und sprang von seinem Sitze auf.
„Es bleibt so, wie ich es bestimmte, und wenn Ihr’s nicht zufrieden seid, gebe ich jedem seinen Pflichtteil und vermache das Ganze der Gemeinde.“
Die Brüder lachten höhnisch.
„Nun dann, adjes Vater, mich hast Du gehabt!“ Damit ging Otto, schnürte sein Bündel und wanderte zum Dorf hinaus.
„Und ich bleibe auch nicht hier,“ war Fritzens Antwort, und eine Stunde später verließ dieser seine Heimat in entgegengesetzter Richtung.
„Nun haben wir gar keine Kinder mehr,“ jammerte Frau Friederike.
„Lieber gar keine als solche,“ sagte der Meister mit thränenerstickter Stimme, dabei umarmte er sein unglückliches Weib, zärtlich wie in besseren Tagen; dann setzten sie sich nieder und arbeiteten schweigend an ihren Sieben.
Jahr auf Jahr war vergangen, Otto und Fritz hatten nur einmal geschrieben, und zwar an die Ortsbehörde, um sich ihre Militärpapiere schicken zu lassen. Ein halbes Jahr später war die Nachricht gekommen, daß Otto bei einem Infanterieregiment in Breslau, der andere beim Füselierregiment in Saarlouis als Gemeine eingestellt worden seien. Sofort schrieb der Meister an beide, erhielt aber keine Antwort, und so grämten sich die alten Leute weiter, dabei fleißig ihr Geschäft besorgend.
Die Söhne lebten noch, das wußten sie wohl, denn sonst würden die Totenscheine eingegangen sein.
Da brach im Jahr 1870 die Zeit des großen Kriegs an. Ganz Deutschland starrte in Waffen und auch aus dem Dorfe Büttelstedt rückten die Reservisten und Landwehrmänner ab, um sich unter die Fahne zu stellen. Weithin gab man ihnen das Geleit, und auch Lina, welche einen ehrbaren Klempner geheiratet hatte, begleitete ihren Mann thränenden Auges ein gutes Stück.
Die Trennung wurde ihr herzlich schwer, denn sie hatte bisher sehr glücklich mit ihrem Johann gelebt, weit glücklicher, als sie es wohl mit Otto oder Fritz Schmallstein geworden wäre.
Doch hatte sie die Brüder keineswegs vergessen und den verlassenen Eltern derselben war sie getreulich zur Seite gestanden, um sie in ihrem Kummer zu trösten. Auch that sie gelegeutlich der alten Mutter, welche recht wackelig geworden war, allerhand Hilfeleistung. So war sie den gnten Leuten allmählich wie eine Tochter ans Herz gewachsen.
Der alte Schmallstein hatte ihren ersten Sohn und Friederike ihr kleines Mädchen aus der Taufe gehoben und beide nahmen sich jetzt in dieser schweren Kriegszeit der armen jungen Frau an, als wenn sie ihre Eltern wären.
Von allen Seiten strömte die bewaffnete Macht der französischen Grenze zu. Blitzende Bajonette, wohin das Auge sah, die Welt dröhnte vom Rasseln der Kanonen, und säbelklirrend, in Staub gehüllt, zog die deutsche Kavallerie dem Erbfeinde entgegen. Mitten unter ihnen König Wilhelm, umgeben von seinen bewährten Führern.
Sonnengoldig war der 16. August angebrochen, jenseit der Mosel, unweit Metz, tobte die Schlacht. Da brüllten die Geschütze, da knatterten die Salven, da dröhnte die Erde unter dem Hufschlage der anstürmenden Rosse.
Der Kanonendonner ist der Magnet, welcher den deutschen Kriegsmann unwiderstehlich anzieht, unaufhaltsam folgte ihm
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_442.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)