Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Regiment auf Regiment und auch das ruhmreiche Breslauer, in dem Otto stand, veränderte die ursprüngliche Richtung seines Marsches und schlug den Weg ein, welcher ihm zu den alten neue unsterbliche Lorbeeren einbringen sollte.
Auf der Höhe jenseit des Städtchens Gorze machten sie Halt, um weitere Befehle abzuwarten.
„Hurra – hurra!“ Von der andern Seite rückten Füseliere heran und ein Kommando vereinte schnell die beiden Regimenter zu einer Brigade.
Die Kriegsfurie raste, dröhnendes Beben brauste von Metz her durch die Luft, Dörfer brannten und dicker Qualm zog über das Schlachtfeld. Granate auf Granate sauste über die Köpfe der beiden vereinigten Truppen, eine schlug hier, die andere dort ein, und der Tod hielt furchtbare Ernte in den Reihen der Lebenden.
„Avancieren!“ ertönte das Kommando. Gemeinsam betraten sie den Weg des Todes. Der Wald war durchschritten, in aufgelösten Schützenschwärmen erklommen die beiden Regimenter, das blaue und das gelbe, die dahinterliegenden Höhen, in der Aufregung des Kampfes bunt durcheinander gemischt.
Mannschaften und Führer fochten wie die Löwen. Zwei Sergeanteu aber – ein gelber und ein blauer –, welche dicht nebeneinander kämpften, thaten sich vor allen anderen hervor. Pulvergeschwärzt hatte einer kaum auf den anderen geachtet, jetzt aber, als es galt, den Graben dort gemeinsam zu besetzen, schritten sie aufeinander zu.
„Fritz!“
„Otto!“
Einen Augenblick starrten sie sich an, dann breiteten sie weit die Arme auseinander und lagen sich weinend an der tapferen Männerbrust. Angesichts des Todes, im Augenblicke, da die deutsche Waffenbrüderschaft mit Blut und Eisen für alle Zeit besiegelt ward dem großen mächtigen Erbfeind gegenüber, da hatte auch die unnatürliche Feindschaft der Brüder ein Ende und die reine schöne Liebe, welche die so lang entzweiten deutschen Volksstämme einte, einte auch ihre Herzen.
„Vorwärts!“ erscholl das Kommando des Offiziers.
Die Brüder lösten sich aus der Umarmung.
„Jetzt schütze uns Gott!“ rief Fritz.
„Damit wir nun endlich unseren Eltern Freude machen können,“ entgegnete der andere, ebenso weich gestimmt wie dieser, denn beide wußten jetzt, da sie selbst Kinder hatten, was es für ein schönes Ding um die Elternfreude ist.
Und der Herrgott, der Lenker der Schlachten, hielt seine schirmenden Flügel über sie.
Als nun die Friedenstrompete durch das Land erschallte, als Deutschland geeint erstanden war, da marschierten zwei schmucke bärtige Sergeanten, der eine mit gelben, der andere mit blauen Achselklappen, beide geehrt durch das Eiserne Kreuz, in das stille weltvergessene Büttelstedt ein.
Vor dem Häuschen des Siebmachers hielten sie an und sahen durch das blankgeputzte Fenster. Da saßen die beiden grauen Alten, fleißig an der Arbeit wie immer.
Gemeinsam klopften die beiden Soldaten an die Scheibe, der Meister rückte die Brille, die Meisterin erhob das Auge, dann standen sie langsam auf und gingen zu der Thür.
„Mutter, wir bekommen Einquartierung.“
„Mir soll’s recht sein, Vater.“
„Ja, Einquartierung, und was für welche!“ tönte es ihnen da entgegen, und ehe sie es dachten, wurden sie unter Lachen und Weinen von ihren wiedergekommenen und versöhnten Zwillingen umhalst.
Der schönste Friede, für sie noch schöner als der, welchen die streitenden Völker geschlossen, hatte sich auf das Häuschen des Siebmachers in der sandigen Heide niedergesenkt. Froher als die vier glücklichen Menschen stimmte am nächsten Sonntage in der kleinen ruinenhaften Kirche wohl niemand mit ein in das alte Lied „Nun danket alle Gott!“
Doch, eine! – Lina, die, umgeben von Mann und Kindern, neben den glücklichen Schmallsteins saß.
Und doch wäre es beinahe zwischen ihnen wieder zu Streitigkeiten gekommen. Otto wollte, daß Fritz das Anwesen erbe, während dieser es dem Bruder zu überlassen wünschte.
„Ihr teilt!“ entschied der Meister. „Gott gebe nur, daß ich jetzt noch recht, recht lange mein Häuschen und mein Geschäft mit meiner Alten allein verwalten kann.“
„Ja, das gebe er,“ sagten die Zwillingsbrüder, dann verließen sie das Dorf mit dem Versprechen, im nächsten Jahre wiederzukommen und Weib und Kind mitzubringen, was sie des öftern gehalten haben.
Alle Rechte vorbehalten.
Das Urbild der Schleppe.
Alljährlich, wenn die schöne Jahreszeit der Ausflüge und Spaziergänge gekommen ist, erhebt sich in den Zeitungen ein Entrüstungsruf gegen die Schleppe, die auf Promenaden und in Parkanlagen Staubwolken aufwirbelt und den Genuß frischer Luft unmöglich macht. Trotzdem verschwindet die Schleppe nicht. Kein Wunder, denn sie ist zu alt, um durch Angriffe oder Schmähschriften aus ihrer Ruhe aufgerüttelt zu werden; sie hat schon manchen schlimmeren Sturm ausgehalten!
In der Kleidung der europäische Frauen kam die Schleppe gegen Ende des 13. Jahrhunderts zum Vorschein und erreichte in wenigen Jahrzehnten eine solche Länge, daß die Damen ihre Schleppen sich nachtragen ließen. Die Mode kam aus Frankreich und breitete sich über alle Länder aus. Die Entrüstung der damaligen Sittenrichter über die „geschwänzten Röcke“ war ungemein groß und es wurde alles mögliche in Bewegung gesetzt, um die Schleppkleider abzuschaffen. Schmähschriften erschienen, die Frauen lasen sie und lachten. Da beschränkten die Behörden wenigstens das Uebermaß der Schleppen. So war in Modena nur eine Schleppe von einer Elle Länge erlaubt und auf dem Markte befand sich ein in Stein gehauenes öffentlich aufgestelltes Schleppenmaß, daran man die verdächtigen Schleppen messen konnte. Fürsten erließen Verordnungen, was für Standesfrauen Schleppen von bestimmter Länge tragen durften. Auf das Ueberschreiten der Verbote wurden Strafen gesetzt – die Frauen zahlten die Strafen und trugen Schleppen, die ihnen gerade gefielen. Selbst die Kirche eiferte gegen diese Tracht. In Predigten wurde die Schleppe eine Erfindung des Teufels genannt und im Jahre 1435 erwirkten die Franziskaner vom Papste Eugen IV. die Erlaubnis, allen Weibern, die Schleppen trugen, und denen, die sie anfertigten, die Absolution zu verweigern. Doch auch diesen Gegnern hielt die Schleppe stand. Sie wurde zwar bald länger, bald kürzer, aber sie folgte in diesen ihren Wandlungen lediglich den Gesetzen der Mode. Selbst als die Krinoline auftauchte, verzichtete man nicht auf den schleppenden Schmuck. Man befestigte Streifen Zeug an der Taille oder an den Schultern und ließ sie als Schleppen herabwallen.
Schleppende Gewänder dienen auch in anderen Kulturwelten zum Frauenschmuck ... und dieser Staat ist auch den afrikanischen Völkern nicht unbekannt.
Gustav Nachtigal schildert in seinem Werke „Sahara und Sudan“ ausführlich die Frauentracht in dem schwer zugängigen Reiche Wadai. Zu dem Anzuge der Wadaischönen gehören außer dem Frauengürtel, welcher, mit Korallen, Glas- oder Thonperlen geschmückt, häufig aus 40 bis 50 Perlschnüren bestehend, als dicker Wulst um die Hüften getragen wird, der große Hüftenshawl und der Schulter- und Kopfshawl. Der Hüftenshawl ist der kleinere von beiden, umhüllt Hüften und Beine und reicht bis auf den Boden hinab. Auch hier hat der Luxus die ursprüngliche Länge desselben von etwa 3 Ellen mit der Zeit auf 12 Ellen gegebracht, und diese lang auf dem Boden schleppenden Shawls heißen „Firde Endurki“, werden begreiflicherweise nur von Vornehmen getragen und dementsprechend von feinem Baumwollstoff, Kattun, Halbseide und Seide gefertigt. In Dar-Zijud und Dar-Said sieht man nicht selten die Frauen von kleinen Sklaven begleitet, welche ihnen die luxuriöse Schleppe der „Firde Endurki“ tragen. Auch das Kopf- und Schultertuch ist durch den gesteigerten Luxus von seiner ursprünglichen Länge von 4 bis 8 Ellen zu einer Länge von 16 Ellen angewachsen und bildet eine große Schleppe.
In Kuka, der afrikanischen Großstadt am Ufer des Tsadsees, ist der Kleiderluxus noch größer. Dort leben die Sudanneger noch im Zeitalter der alten Landsknechthosen. Man sieht dort auf der Straße keineswegs den sogenannten nackten Neger. Zwei, drei oder vier Gewänder aus schwerem Stoff sind den Bewohnern der Hauptstadt Bornus keine Last, sondern ein Stolz, ein Vergnügen. Der Reiche hat, wenn er zu Fuß durch die Stadt wandelt, einen würdevollen Gang, die Last der Kleider bewirkt es. Weite Beinkleider, in denen sich drei europäische Extremitätenpaare verlieren würden, fallen bis auf die Füße herab und nötigen ihm die breitspurige Gangart auf. Die Frauen und Mädchen der „besseren Stände“ stehen den Männern nicht nach. Da stolzieren die braunen Schönen hüftenwiegend und schulterndrehend einher. Auf dem Hinterkopfe ziert ein halbmondförmiger Silberschmuck das sorgfältig in kurzen Flechtchen geordnete Haar und ein Stückchen Edelkoralle prangt im rechten Nasenflügel. Den Oberkörper deckt ein kurzes Hemdchen, weiß oder blau, mit bunter Seide von oben bis unten in eigentümlichen Mustern gestickt. Und auch die Schleppe fehlt nicht. Der übliche Shawl wird um die Hüften so geschlungen, daß er zwischen den Füßen durch in Form einer langen Schleppe herabwallt. Die Damen lassen sich die Schleppen nachtragen, wenn der Boden naß und schmutzig ist, bei trockenem Wetter muß die Schleppe fegen, Staub aufwirbeln und Aufsehen erregen.
Es ließe sich die Zahl solcher Beispiele bedeutend vermehren. Wir
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_443.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)