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Seite:Die Gartenlaube (1895) 447.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Unterinnthaler schwarze Festbeinkleider zum Vorschein kommen. Von zweifelhafterem Werte sind die Waffen; diese Kreuzfahrerschwerter machen einen ausgesucht hölzernen Eindruck, während die Helme mitunter als geradezu mystische Kopfbedeckungen erscheinen.

Das sind indessen Kleinigkeiten, die nicht imstande sind, den tüchtigen Eindruck des Ganzen zu schwächen – um so weniger, wenn man sich erinnert, wie man schon manchmal in einem Hoftheater während einer Tragödie humoristisch angeregt ward.

Im Zwischenakte machten wir die Bekanntschaft jenes Tirolermädchens, deren Strohhut gleich beim Eintritt in unsere Hände geraten war. Es war ein wohlunterrichtetes Kind aus der Gegend von Kiefersfelden, ein bißchen kritisch angelegt. Sie hatte schon zu Brixlegg und Erl, auch in früheren Jahren zu Thiersee das „Gspiel“ mit angesehen und war daher einigermaßen erfahren. Das vorjährige Stück, welches sich mit den Wundern unserer lieben Frau zu Lourdes beschäftigte, hatte ihr viel besser gefallen, weil so „gar viel schöne Musik darin gewest“. Und weil sie zu Kiefersfelden selbst schon mitgespielt hatte, lobte sie natürlich ihr Kiefersfeldener Theater auf Kosten des Thierseeschen, welchen Lokalpatriotismus man ihr wegen ihrer glänzenden Augen und ihres schalkhaften Lächelns gern verzieh. Hernach zog sie gar aus einem schneeweißen Tüchelchen ein paar Schmalznudeln hervor und bot uns gastfreundlich eine derselben an. Leider wußte sie vom weiteren Verlaufe des Stückes nichts zu berichten. Uns hätte vor allem das Geschick des intriganten Ritters von Coucy interessiert. „Söllen boshaften Spitzbuabn“, meinte sie, hätte man in vier Stücke zerhacken sollen, und es sei noch viel zu gut für ihn, daß er sich selbst umbringen müsse. Auf unsere Frage, wie sich der Schurke ums Leben bringe, meinte sie: „Er wird sich wöll derstechen mit seim Sabel, der Kalfakter!“

So erfuhren wir wenigstens das Ende des Verräters Simon von Coucy. Damit waren aber auch unsere dramaturgischen Gespräche zu Ende; denn den letzten Akt durften wir nicht mehr mit ansehen, wenn wir den letzten Zug in Kufstein erreichen wollten. Unter den Klängen eines Trauermarsches, welcher fünf in verräterischer Weise geköpften französischen Rittern galt, verließen wir das Haus und traten hinaus in den Sonnenglanz der Berglandschaft. In der Nähe stand schon unser Wägelchen bereit, das uns nach Kufstein bringen sollte. Ein reizendes Fuhrwerk! Es war einer jener kleinen Wagen, wie sie die Bauern haben, um auf die Almen zu fahren: äußerst fest im Bau, aber arm an Bequemlichkeit; dafür mit einem mächtigen Gaule bespannt, der haarig ist wie ein Roß aus der Eiszeit und der das Wägelchen nach links und rechts herumschwenkt, als wär’s nur sein Frack!

So fuhren wir thalauswärts durch den Sommerabend, der mit rosigem Feuer die Zackenwände des Kaisergebirgs umfloß. Wir kamen ins Innthal hinaus, und bald trug uns der dröhnende Bahnzug wieder über die Grenze ins Reich.

„Kiefersfelden!“ ruft ein mächtiger Baß vor dem Fenster unseres Wagens. Dieser Name gemahnt uns wieder daran, daß auch in Kiefersfelden eine Volksbühne besteht, deren Mitglieder sich zumeist aus den Hammerschmiedgesellen des dortigen Eisenwerkes rekrutieren. Jetzt wird hier wieder gespielt, eine Zeit lang hatte die bayerische Polizei das Theater verboten, wohl in der Anschauung, daß es besser sei, wenn die Hammerschmiede an Sonntagnachmittagen in den Wirtshäusern umhertränken und sich die Köpfe blutig schlügen, statt im Dienste der Musen ihre Gemüter zu veredeln. Aber die Welt wird besser und die Polizei weiser; sie hat das Spiel wieder erlaubt. Und dies ist in der Ordnung. Denn man sage über diese Bauernbühnen, was man wolle, eines bleibt sicher bestehen: ein Volk, das im Kriege so für seine Heimat zu streiten weiß und im Frieden seine Sonntagsfreude in so idealem Streben sucht wie diese Unterinnthaler, das ist tüchtig und liebenswert in seines Wesens tiefstem Kern!



Blätter und Blüten.


Gustav Nieritz. (Mit dem Bildnis S. 429.) Neben den Schriftstellern, welche sich an die Allgemeinheit wenden, verdienen auch diejenigen Anerkennung, welche für bestimmte Kreise des Volkes wie für die Jugend mit Erfolg schreiben, und so ist auch die Büste, welche dem Jugendschriftsteller Gustav Nieritz in Dresden 1878 gesetzt wurde, eine Auszeichnung, die seinem weitreichenden Wirken zukommt. Am 2. Juli d. J. sind hundert Jahre seit der Geburt des Schriftstellers vergangen und jedes Volksblatt hat die Pflicht, des wackeren Mannes bei dieser Gelegenheit zu gedenken. Gustav Nieritz wurde in Dresden geboren als Sohn eines Lehrers an der Stiftsschule. Er wurde selbst schon früh für das Lehrerfach bestimmt, obschon er, wie er in seiner „Selbstbiographie“ (Leipzig, Georg Wigand) sagt, die entschiedenste Abneigung dagegen empfand; gleichwohl sollte er dieser Laufbahn zeitlebens treu bleiben; er besuchte die Kreuzschule und das Friedrichstädter Seminar und war von 1814 an Hilfslehrer seines Vaters. In welchen bescheidenen Verhältnissen er lange Zeit lebte, darüber giebt seine Selbstbiographie ebenfalls nähere Auskunft, wie sie über das Kriegsjahr von 1814 und manche innere sächsische Verhältnisse der Folgejahre interessante Mitteilungen bringt. Auch aus dem Dresdener Revolutionsjahr 1849 finden sich darin lebendige Schilderungen. Trotz seiner wenig günstigen Lebenslage bewahrte sich Nieritz stets eine wohlthuende Heiterkeit des Gemütes und allmählich fand er auch in sich selbst die Hilfsquellen, seine Verhältnisse zu verbessern; er war 1831 Oberlehrer und 1841 Direktor der Bezirksschule in der Antonstadt Dresdens geworden. Seit 1834 aber machte er sich als Jugendschriftsteller einen Namen; seine erste Erzählung „Der goldne Knopf“ erschien im „Gesellschafter“ von Gubitz; ihr folgten einige andere. Gubitz erkannte in ihm den Mann, welcher Erzählungen nach der Weise Christophs von Schmid schreiben könne. Nieritz folgte diesem Rat und schrieb versuchsweise die „Schwanenjungfrau“. Der Erfolg ermutigte ihn, in dieser Richtung weiter zu arbeiten. Nach seiner eigenen Angabe hat Nieritz 117 Bändchen Jugendschriften veröffentlicht, außerdem eine Anzahl in einzelnen Blättern und in den Kalendern von Trewendt, Steffens und ihm selbst zerstreuter Erzählungen. Er verteidigt sich gegen den Vorwurf der Vielschreiberei; sein Schaffen war nicht die Frucht des berechnenden Verstandes, sondern der Phantasie, deren rasches Vorgehen ihn oft bedauern ließ, daß die Feder nicht schnell genug die Wörter aufs Papier zauberte. Anstöße und Motive erhielt er durch das Lesen anderer Schriften, durch Zeitungsnachrichten, durch den Besuch der Schauspiele, Opern und Konzerte, der öffentlichen Tabagien, ja selbst der Kirche, wo der mächtige Klang der Orgel oder ein Redeteil des Predigers seine Phantasie entflammte. Bescheiden aber sagt er, er sei darauf gefaßt, daß sein Name und seine Schriften der Vergessenheit anheimfallen würden. „Wer liest oder spricht jetzt von meinem lieben trefflichen Gotthilf Salzmann? von Christoph von Schmid? von dem Kinderfreund Weiße, von anderen beliebten Autoren? Es werden andere kommen, die es besser machen als ich, und so muß es sein, denn auch hier giebt es keinen Stillstand oder gar eine Rückkehr.“ Nun, der wackere Schulmann Gustav Nieritz, der seit 1864 seine Lehrerstelle niedergelegt hatte und am 16. Februar 1876 in Dresden gestorben ist, hat durch seine Jugendschriften nicht nur in weiten Kreisen gewirkt, sondern sich auch ein ehrenvolles Angedenken über den Tod hinaus gesichert. †     

Die Verwaisten. (Zu dem Bilde S. 432 und 433.) Das reizende Bild von Werner Zehme, auf welchem die Kinder des Försters verwaiste oder eingefangene Rotwildkälber tränken, verdankt sein Entstehen einer Reise in Oberbayern, wo der Künstler bei einem Forsthause zwei Hirschkälber, die schon so stark waren, daß sie munter ums Haus und im Hause herumtollten, gerade so füttern sah, wie es uns sein Stift erzählt. Ich möchte daran aus meiner eigenen Erfahrung einige weitere Beispiele knüpfen, wie leicht das in freier Wildbahn so scheue Rotwild, jung eingefangen, zahm und geradezu zum Haustier werden kann.

Als ich vor einigen Jahren einmal den Harz durchstreifte, sah ich auf der Försterei Oderbruck ein Wildkalb, das im und beim Hause frei umherging, der Frau Förster wie ein Hund folgte und ebenso gefüttert wurde wie die beiden auf der Zeichnung. Ein Jahr alt, zog es mit den Kühen auf die Weide und kam mit denselben zur Försterei zurück. Es lebt auch heute noch und durchstreift nach wie vor den Forst, und wenn es auch einmal einige Tage ausbleibt, um seiner Verwandtschaft einen Besuch abzustatten oder auf die Liebesschwüre eines Hirschjünglings zu lauschen, so ist doch sein Standort die Försterei geblieben.

Auf der Oberförsterei Torfhaus, von welcher aus einstmals Goethe mitten im Winter bei tiefem, aber überhaltendem Schnee den Brocken bestieg, wurde ebenfalls längere Jahre hindurch ein zahmer Hirsch gehalten, der im Sommer, so lange es warm und die Aesung nicht knapp war, im Harz umherzog und nur selten gesehen wurde. Sobald aber im Herbste die ersten Schneeflocken durch die Luft wirbelten, schloß er sich der Kuhherde an und kam mit ihr aufs Gehöft so vertraut zurück, als hätte er niemals auf eigene Faust einen Ausflug in den weiten Forst gemacht.

Auch auf dem Wolkenhause über Harzburg sind einige zahme Stücke Wild, die in den Anlagen zwischen den Gästen umherspazieren, ohne alle Scheu ihnen von diesen gereichten Zucker und Milchbrot naschen, sich von jedem streicheln lassen und mit ihrem Herrn weite Gänge machen, ja sogar mit ihm nach andern Gasthäusern wandern und sich dort so lange heimisch fühlen wie ihr Gebieter.

Aber nicht nur mit der Flasche aufgebuddeltes Rotwild wird vollkommen zahm, auch älteres, aus freier Wildbahn stammendes lernt bei richtiger Behandlung sehr bald seinen Wärter kennen und wird ihm und bald auch Fremden gegenüber vertraut. Der letzte sehr strenge und schneereiche Winter hat trotz aller Pflege und Fütterung wie überall so auch auf dem Harze manches Opfer an Hirschen und Wild gefordert. Immerhin sind aber auch einige fast schon dem Tode verfallene Stücke gerettet.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_447.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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