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Seite:Die Gartenlaube (1895) 487.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

herumkriegst – o wie himmlisch bist Du! – dann sag’ ihr auch, bitte, daß man uns beim Dichten nicht stören soll. Von neun bis zwölf morgen vormittag schließen wir uns in meiner Stube ein, denn dort wird gedichtet; und so jeden Sonntag, bis wir fertig sind. Wenn um Zehn Line kommt, uns das Butterbrot zu bringen, dann soll sie leise anklopfen, leise eintreten, den Teller leise auf einen Stuhl stellen und dann wieder fortgehen. Willst Du Mutting das sagen, Du?

O, ich will mehr thun, entgegnete Volkmar ebenso ernsthaft. Line kann das nicht; das kann nur ein wirklicher Dichter. Ich werd’ um Zehn selber kommen und das Frühstück bringen; wie ein Geist, sag’ ich Dir. Kein Wort, keinen Laut!

O, wie bist Du süß! schrie sie und warf sich ihm nochmals an die Brust.

Volkmar stand auf. Er nahm ihren Arm. So gingen sie, in gleichem Schritt, zum Vorplatz hinaus und die Treppe hinauf.


5.

Der Oheim hielt Wort: die Mutter gab nach, wie schon manches Mal. Als es am andern Morgen zehn Uhr schlug, stand er selbst, pünktlich wie ein König, mit dem Butterbrotteller oben auf Tante Annas Vorplatz und klopfte an Tonis Thür. Nach kurzem Tuscheln ward ihm geöffnet; er trat ein und sah etwas Unerwartetes: die jungen Dichterinnen hatten, um sich für ihr ernstes, halb tragisches Werk in ernster Stimmung zu erhalten, die kleine Stube schwarz behängt, mit allen Zeugen und Stoffen, die sie in ihren beiden Häusern aufgetrieben hatten. In der Mitte stand der runde Tisch, an dem sie schufen; wieder in dessen Mitte ein mächtiges Tintenfaß. Helene, dunkel gekleidet, hatte über den rechten Arm einen dunklen Schreibärmel gezogen; Toni nicht; dafür hatte sie sich eine Art von schwarzem Schleier ums Gesicht gelegt.

Volkmar verzog keine Miene. Er verneigte sich nur und grüßte stumm. Dann stellte er seinen Teller auf den Tisch, grüßte noch einmal in tiefem Ernst und ging wieder hinaus.

Die Mädchen waren allein. Toni, die jüngere, mußte nun doch ein wenig lächeln; der feierliche Onkel und das Butterbrot waren ihr zu komisch. Aber die andre im Schreibärmel, am Tisch, blieb ernst, und Toni faßte sich schnell. Sie schloß die Thür wieder zu; darauf trug sie das Frühstück auf den Dichtertisch. Du, sagte sie, während wir das essen, können wir ja weiterdenken; hurra, die Sache ist im Schwung! Im dritten Akt stirbt Janko, in: vierten seine Schwester Arabella, im fünften heiratet Philipp Johanna und Kaiser Max versöhnt sich mit Sickingen! So endigt es doch noch gut; das will ja das Publikum.

Es ist auch überhaupt angenehmer, bemerkte Helene und biß in ihr sprottenbelegtes Butterbrot.

Na ja, meinetwegen. Ich hatt’ eigentlich gedacht, wenn die arme, süße Arabella tot ist, dann muß niemand mehr glücklich werden; nieder mit der ganzen Bande! – Aber sie wollen ja jetzt keine Trauerspiele; immer sollen sich am Schluß welche heiraten. O, die Wurst ist gut! – – Was Du für furchtbare Kenntnisse hast. Maria von Burgund, Philipp der Schöne und Margarete, ihre Kinder; Kunz von Rosen, Franz von Sickingen, Johanna von Spanien – Du, von all’ den Herrschaften hab’ ich noch nichts gewußt. Und die drei Bürgermeister von Brügge; und die Senatoren …

Sie stand aber auf und setzte mit einer triumphierenden Armbewegung hinzu: Aber Arabella, die Zigeunerin, die war mein Gedanke! Die schöne, rührende Arabella mit den schwarzen Augen. Helene, wenn uns das glückt – das wird Theas schönste Rolle; nicht?

Wollen’s hoffen, antwortete Helene, mit den kleinen, feinen Zähnen ein Stückchen Käse zerbeißend. Aber gackel’ nur nicht so viel; das Ei ist ja noch gar nicht gelegt. Eigentlich weiß ich auch nicht recht, wie die Zigeunerin und ihr Bruder Janko in das Königsschloß zu Aachen kommen; ob das auch natürlich ist.

Natürlich ist! natürlich ist! fuhr Toni auf. Na, ganz gewiß ist’s natürlich! Die Kaiserin Maria und ihre Kinder, die sind oben im Schloß – das heißt, auf der Bühne; da tritt einer ans Fenster – meinetwegen die dreizehnjährige Prinzessin Margarete – und sagt lebhaft: „Welch ein Auflauf!“ „das Volk rottet sich zusammen!“ so wie’s gewöhnlich auf dem Theater ist. Dann spricht sie weiter, immer aufgeregter – denn natürlich muß es sich steigern: – „ah, sie schleppen einen jungen Burschen, wie ein Zigeuner – und an ihn klammert sich ein dunkles Mädchen mit schwarzen Locken“ – das ist Arabella, verstehst Du. „Jetzt wirft sie sich dem Volk zu Füßen, und pfui, man weist sie zurück. O, sie kommt hierher, grade auf das Schloß zu; durch die Wachen drängt sie sich hindurch – und nun ist sie im Hause – sie wird herkommen. Das Volk drängt nach. Ich ängstige mich, was bedeutet dies? O, Philipp, beschütze uns!“ Sie klammert sich an Philipp. Denk’ Dir die Spannung, Helene! Alle blicken mit Spannung auf die Thür. Die Thür wird aufgerissen, eine Zigeunerin stürzt herein, wirft sich vor ihnen auf die Knie; das ist Arabella! ich meine Thea!

Na ja, murmelte Helene zustimmend. Aber warum –

Und dann kommt das Volk und schleppt ihren Bruder Janko herein!

Aber warum thun sie das?

Helene, Du bist komisch. Das ist doch sehr einfach. Das Rathaus von Aachen ist doch abgebrannt; damit fingst Du die Sache an. Nun kommen die Bürger mit Janko und sagen: „Wir suchten den Brandstifter, hier bringen wir diesen Burschen, der hat es gewiß gethan!“ Und der erste oder zweite Bürger sagt, höhnisch lachend und auf Arabella weisend: „Und da steht die Hexe, die ihm geholfen hat! Seht, wie sie erbleicht!“ – Janko will sich in seiner Empörung auf den ersten oder zweiten Bürger stürzen, sie halten ihn aber fest. „Halt da, mein Bürschchen“ – na, und dann so weiter!

Na ja, sagte Helene, das wird auch wohl gehn. Sie suchen einen Brandstifter. Und da finden sie die Zigeuner –

Und Zigeuner gab es doch damals schon!

O ja, Toni; schon lange, lange. Aber das müssen wir nun nie vergessen, daß alles natürlich wird. Du weißt ja, wie oft die Leute im Theater sagen: das ist nicht natürlich! – Ach, Du, da hab’ ich einmal eine Dummheit gemacht – aber nicht weitersagen – da hatt’ ich angefangen, eine Novelle zu schreiben; es ist aber schon lange her. Da kam ein Soldat drin vor, der wollte nicht mehr leben; und vor seinem Selbstmord wollte er erst seinen Säbel verbrennen. Und er nahm ein Schwefelholz und zündete es an, und hielt es unter den Säbel; so lange, bis der Säbel ganz in Flammen aufging –

Weiter kam sie nicht, denn Toni lachte so heftig auf, daß Helene verstummte. Sie lachte nun selber mit. Tonis Lustigkeit ward so wild und endlos, wie nur Kinder es kennen; lang ausgestreckt warf sie sich auf den Boden hin, trommelte mit den Füßen und schleuderte sie dann hoch in die Luft.

Ach, mein Gott! sagte sie zuletzt, vor Erschöpfung seufzend; setzte sich aufrecht, fuhr sich durch die verwirrten Haare, um etwas Ordnung zu machen, und runzelte die junge Stirn. Jetzt müssen die Dummheiten aufhören; wieder an die Arbeit! Mit dem Butterbrot sind wir fertig. Ernsthaft, ernsthaft, Fräulein Toni Götz; Sie haben wohl ganz vergessen, daß Sie hier in einem schwarzverhängten Musentempel sind! – Sie sprang auf die Füße und setzte sich auf ihren Platz an dem runden Tisch. Helene! rief sie. Wie das aussehen wird! Auf dem Theaterzettel: Historisch-romantisches Schauspiel in fünf Aufzügen, von Helene Ammann und Toni Götz!

Nur noch nicht gegackelt, Toni. Jeder nimmt wieder seinen Bogen Papier und schreibt. Den ersten Aufzug also, den hatten wir im Entwurf beisammen –

Scene eins bis sieben!

Jetzt sollten wir erst den ganzen Entwurf fertig machen, mein’ ich –

Ach, das eilt ja noch nicht, sagte Toni, mit ihren eckigen Schultern widersprechend. Das ist zu langweilig. Wir könnten doch gleich den ersten Akt schreiben; nicht?

Können wir auch, erwiderte die nachgiebige, gefällige Helene. Also dann nimm einen andern Bogen; ich auch. Jeder sagt, was ihm einfällt; und wenn wir beide einverstanden sind, schreiben wir es hin. Erster Aufzug. Erste Scene. Ort: Vorsaal im Königsschlosse zu Aachen. Abenddämmerung. Ist Dir die Abenddämmerung recht?

Natürlich!

Sie begannen beide eifrig zu schreiben. Also mit vier Pagen fangen wir an, sagte Toni, während sie noch kritzelte; das ist fein! Zuerst sind nur zwei auf der Bühne: Waldemar und Toor; später kommen Hildmann und Goldmar. Im Entwurf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_487.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2022)
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