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Seite:Die Gartenlaube (1895) 544.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Landwirts unzertrennlich war. Wie er aber jetzt den Hut abnahm und mit der Hand über das kurzgeschnittene dunkle Haar fuhr, ging ein Lächeln über seine Züge, das ihnen plötzlich einen eigenen Zauber verlieh, als sei ein Licht an einem Transparentbilde vorübergeglitten und habe es für wenige Sekunden in deutlichen schönen Farben aufleuchten lassen.

„Sie werden sich wundern, daß ich mich so spät noch entschlossen habe, das zu thun, womit andere Landwirte gewöhnlich anfangen,“ sagte Wildenberg, als er bald nachher mit dem Inspektor bei einem kleinen Imbiß zusammensaß. „Allein ich wurde von Hause aus nicht für den Beruf eines Gutsbesitzers erzogen, sonderm widmete nach dem Studium der Naturwissenschaften, und erst als ein Bruder meines Vaters mir sein Gut hinterließ mit der ausdrücklichen Bedingung, die Verwaltung selbst zu übernehmen, nahm ich mit der ganzen ahnungslosen Unbefangenheit des Laien diese Pflicht auf mich. An dem Unheil, das ich anrichtete, merkte ich zu meinem Schaden, daß auch die Landwirtschaft fundiert sein will. Nun, zum Glück ist es noch Zeit, das Veraäumte nachzuholen, und ich rechne darauf, das unter Ihrer bewährten Leitung zu thun.“

„Ich hoffe, einen leidlichen Landmann aus Ihnen zu machen,“ versetzte Herr Boße nicht ohne Selbstgefühl, „darf aber wohl voraussetzen, daß Sie mit den allgemeinen Grundlagen der Wirtschaft vertraut sind.“

„Erwarten Sie nicht zu viel von mir, ich bin nicht praktisch beanlagt! Ja, ich will Ihnen gestehen, daß ich mich des heutigen Ferientages noch freue wie ein Junge, der sich vor den Schulstunden fürchtet, die seine Mängel an das Tageslicht bringen müssen.“ Wieder glitt bei diesen Worten das stille Lächeln über sein Gesicht, während der Oberinspektor und die jüngeren Beamten, die sich eingefunden hatten, den Scherz geräuschvoll belachten. „Wollen Sie mich ein wenig über die hiesigen Verhältnisse unterrichten?“ fuhr Wildenberg fort. „Daß Strehlen der Familie Ostrau gehört, weiß ich ja, aber über die Glieder derselben möchte ich doch gerne etwas Näheres hören, ehe ich meinen Besuch im Schloß mache.“

„Das gnädige Fräulein haben Sie jedenfalls schon gesehen – sie kam mit dem nämlichen Zuge an wie Sie.“

„Ich sah zwei Damen den Zug verlassen und in einem Jagdwagen mit Füchsen davonfahren, die eine blond und schlank –“

„– war unsere Gnädige ... schlank wie eine Tanne, mit Haaren, die ihr bis an die Knie reichen müssen. Staat kann man mit ihr machen!“

„Die ältere Dame war vermutlich die Mutter?“

„Nein, Fräulein Hellas Eltern leben nicht mehr. Die Begleiterin war ihre Tante, die vor den Augen der Welt die Rolle einer Anstandsdame übernommen hat; in Wahrheit bedarf das Fräulein so wenig einer Beschützerin wie Sie und ich, sie weiß mit ihren siebenundzwanzig Jahren sehr gut, was sie zu thun und zu lassen hat.“

„So, so! Und der Besitzer selbst?“

„Ja, was meinen Sie denn, Herr Wildenberg? Fräulein Hella ist ja eben der Besitzer! Strehlen kam vor fünf Jahren in ihre Hände, nach dem Tode ihres Onkels, der keine näheren männlichen Erben besaß und diese Nichte zärtlich liebte. Ich war damals schon hier in Stellung und dachte bei mir: na, das wird gut werden mit einem zweiundzwanzigjährigen Mädchen als Prinzipal! Aber alle Achtung! Vor der muß man den Hut ziehen, die versteht’s! Und das, was sie nicht verstand, nämlich die Uebersicht über die Buchführung und die Feldwirtschaft, das hat sie sich mit eisernem Fleiß angeeignet, denn es gehört zu ihrem Glaubensbekenntnis, daß ein Frauenzimmer in geschäftlicher Beziehung genau dasselbe leisten könne wie ein Mann, wenn es nur dazu erzogen werde. Das ist natürlich ein Irrtum; eine Frau soll backen und kochen und Strümpfe stricken und Kinder versorgen – was darüber ist, das ist im allgemeinen vom Uebel!“

„Und die unverheiratete Frau?“ warf Hans Wildenberg dazwischen. „Ich meine die, welche gezwungen ist, sich auf eigene Füße zu stellen und sich einen Beruf zu suchen, der sie ernährt?“

„Ach was da – Beruf! Die Unverheirateten können sich überall nützlich machen, in der Familie, oder wo sie sonst wollen.“

„Aber wenn sie nun keine Familie haben?“

„So mögen sie Gesellschafterinnen oder Erzieherinnen werden oder auch Wirtschafterinnen. Da haben Sie gleich drei Berufsarten, die ihnen offenstehen. Irgendwo findet sich doch immer ein Winkelchen, wo sie unterschlüpfen können. Die Frau ist nun einmal zum Heiraten da; thut sie es nicht, so liegt das nur an ihr, und damit basta! Uebrigens wollen wir uns nicht gleich in der ersten Stunde unserer Bekanntschaft streiten. Ich merke schon, Sie blasen auch in das Horn der Gnädigen, das wird Sie gleich lieb Kind im Schloß machen. Aber halten Sie Ihr Herz fest, Fräulein Hella ist eine uneinnehmbare Festung und entschlossen, ihre Selbständigkeit um jeden Preis zu wahren!“

Wildenberg fühlte sich unzart berührt von diesem Scherz und ärgerte sich, daß ein schnelles ganz unbegründetes Rot über sein Gesicht flog; das Thema abbrechend fragte er: „Es giebt doch wohl auch sonst noch Menschen in der Gegend, mit denen man verkehren kann?“

„Natürlich – nur zu viele, sollte ich meinen! Da ist in erster Linie unser Pastor, ein vortrefflicher Mann, der ausgezeichnet Skat spielt. Sie spielen doch auch Skat?“

„Ich bedauere, nein.“

„Das ist schade. Nun Sie werden sich auch sonst gut mit ihm unterhalten. Er führt zudem einen ausgezeichneten Tisch – die Frau Pastor kocht wie ein Engel.“

„Ich wußte nicht, daß die Engel sich durch gutes Kochen auszeichnen,“ warf der Gast belustigt ein.

Herr Boße lachte gutmütig. „Die Bibel sagt zwar nichts darüber, aber vermutlich geht es jedem Menschen so wie mir, daß er die Eigenschaften, die er am höchsten schätzt, unwillkürlich auch den Engeln beilegt. Sie brauchen übrigens nur die Sprößlinge des Pastors anzusehen, dann wissen Sie schon, wie es im Hause zugeht. Rotbäckig und sauber ist die kleine blonde Bande, mit runden Gesichtern und prachtvollen Zähnen.“

„Mich dünkt, ich hätte im Vorüberfahren einen Schwarzkopf darunter bemerkt, der aus der Art schlägt.“

„Wie scharf Sie beobachten! Also unsere kleiue Lili haben Sie auch schon gesehen? Es ist ein Fräulein von Wentzel, das im Pastorhause erzogen wird, eigentlich ein Pflegekind unserer Gnädigen. Ich sage, ‚unsere kleine Lili‘, weil das Mädel uns allen ans Herz gewachsen ist.“

„Nun, gar so klein ist sie mir nicht erschienen. Ich glaubte, ein erwachsenes Mädchen vor mir zu haben.“

„Würden es die Jahre allein thun, so müßte Lili freilich schon zu den Erwachsenen zählen, den sie wird im September achtzehn, doch ist sie noch ein rechter Kindskopf und schlägt gar nicht sehr nach dem Herzen der Gnädigen aus, der sie in Anbetracht der traurigen Verhältnisse, aus denen sie hervorging, das Leben zu sehr auf die leichte Achsel nimmt.“

„Und wo ist sie hergekommen? Doch das geht mich ja im Grunde gar nichts an,“ unterbrach sich Wildenberg selbst.

„Die Frage ist durchaus berechtigt. Wenn man auf einem kleinen Fleck Erde nahe zusammengedrängt lebt, will man doch genau wissen, mit wem man es zu thun hat. Denken Sie nur, das arme Kind hat sich von seinem zehnten Jahr an in der Welt herumstoßen lassen müssen wie herrenloses Gut. Die Eltern leben getrennt, der Vater ist ein Erzlump, die Mutter eine hochgeborene pfenniglose Närrin, die nichts versteht, als ihr Geschick zu bejammern, und die paar Groschen, welche ihr Mann ihr ab und zu schickt, dazu anwendet, den Schein einer anständigen Existenz nach außen hin aufrecht zu erhalten, obgleich kein Mensch mehr daran glaubt. Es ist ein wahres Wunder, daß all das an dem guten Charakter des Mädchens glatt abgeprallt ist. Denn lernen hat die Mutter die Kleine auch nichts Ordentliches lassen. Freilich, du lieber Himmel, wie viel lernen die Mädchen heutzutage in den sogemannten höheren Töchterschulen, was sie nachher brauchen können?“

„Widerspricht das nicht Ihrer Ansicht von vorhin?“ schaltete Wildenberg ein.

„Da haben Sie mich mißverstanden. Ich meinte natürlich nicht, daß die Frauenzimmer ganz unwissend bleiben sollen. Unsere Lili aber durchlief nicht einmal wie jede andere ,höhere‘ Tochter die Schule, sondern blieb oft monatelang ohne Unterricht, wurde bald hierhin, bald dorthin geschickt, denn wenn den alten Wentzel die Laune anwandelte, seine Frau zu ärgern, so nahm er ihr das Kind fort; ihm stand ja die Bestimmung über die Tochter gesetzlich zu, und wenn die Kleine dem Mann zur Last wurde, schickte er sie wieder seiner Frau zurück. So wurde das Mädchen hin und her gezerrt, immer den schlechtesten Einflüssen ausgesetzt, bis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_544.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)
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