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Seite:Die Gartenlaube (1895) 567.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Ein glänzender Zug bewegte sich über den weiten Kirchplatz: den Pfarrhof. Voraus lief im kurzen Zotteltrabe ein Läufer, trotz des Schnees in blau und gelbe Seide gekleidet, eine Art bebänderten Schäferstab in der Hand. Ihm folgte ein Gespann von zwei weißen Hirschen mit mächtigen Geweihen, die einen gleich einer Muschel geformten Schlitten zogen, dessen Vordertheil, empor gebogen, einen kleinen zielenden Amor trug. Ein Reitknecht führte vom Sattelhirsch aus das Gespann; auf der Pritsche saß ein Mohr im scharlachnen goldbordierten Kaftan, auf dem Turban den Halbmond, an der Seite den krummen Sarazenensäbel.

Nachlässig graziös lehnte Kiliane von Heymbrot in dem Schlitten, umwogt von den bauschigen Falten des karmoisinroten Seidenkleides, über das ein meergrüner marderverbrämter Pelz geworfen war. Die emporgeschlagene Kapuze umrahmte ein Gesicht, zart weiß und rosig, als habe einer der in die Mode gekommenen Pastellmaler es hingehaucht. Leuchtend blaue Augen schauten heraus, in deren Tiefe ein verschlossener rätselhafter Ausdruck lag.

Mit großem Umschweif vollzog sich die Anfahrt vor der Superintendentur.

Unter dem Beistand des Mohren kam Kiliane glücklich auf die hohen Stöckelschuhe zu stehen. Sie breitete die übereinander geschlagenen Reifen des Rockes aus, bis dieselben so aufgebläht waren, daß sie nur von der Seite durch die Thür gelangen konnte.

Dann aber ging alles rasch von statten. Sie versank anmutig vor der ihr entgegentretenden Mutter, nickte mit einem Lächeln, das um den weichen Mund wie leiser Spott sich kräuselte, der eiskalt knixenden Tochter zu und eilte die steile Treppe zur Oberstube hinan, an deren Thür ihr die hohe mannhafte Gestalt des Superintendenten Olearius entgegentrat.

Farbenschillernd, seidenrauschend, nach Eau de Lavande duftend, trat sie in das niedrige Gemach, wo feierlich auf den Bücherbrettern die großen Bände sich reihten, welche den Bibeltext in sieben alten Sprachen enthielten, das Bild Luthers aus einfachem schwarzen Rahmen herabschaute, umgeben von Waffentrophäen, welche evangelische Streiter während des Dreißigjährigen Krieges getragen hatten.

„Ich komme im Auftrag Ihrer Durchlaucht,“ begann sie in glattem Hofton.

„Und war der pomphafte Aufzug schicklich während der Faatenzeit für einen Besuch beim ersten Geistlichen des Landes?“ sagte Olearius gemessen. Ihr ernst in die Augen sehend, fuhr er fort: „Was würde zu solcher Ueppigkeit die selige Frau Mutter des Fräuleins sagen? Sie waltete in würdiger Schlichtheit neben Ihrem seligen Herrn Vater auf dem Amt Kevernburg, und nimmer wurde damals Eitelkeit an den seligen kleinen Junkern und der kleinen Kiliane gesehen.“

Kilianes Rosenfarbe war erblichen, der Glanz der Augen schien erloschen. Dann antwortete sie mit klangloser aber fester Stimme: „Der Herr Superintendent sagt es selbst: sie sind alle selig, nur ich allein bin bei dem großen Sterben verschont geblieben, und nun habe ich der zu gehorchen, die mir alles giebt, was zu des Lebens Notdurft gehört: seidene Strümpfe und deutsche Diamanten, Flitternadeln, Puder und Schminke“ – der Ton war höhnisch geworden; sie hielt inne. „Verzeihung, Hochehrwürden, daß ich diese profanen Dinge nenne. Im übrigen: Ihro Durchlaucht hat diesen Aufzug befohlen.“

Und auf dem Sessel, den er ihr anbot, Platz nehmend, ging sie rasch zu ihrem Auftrag über: „Die Frau Fürstin Augusta Dorothea läßt fragen, ob im Kirchenarchiv sich ein Bild erhalten hat von dem alten Walpurgiskloster, das in der Reformation aufgehoben wurde.“

„Ich weiß von keinem solchen, will aber nachsehen lassen,“ erwiderte Olearius gemessen. „Wozu bedarf die Frau Fürstin desselben?“

„Zu einer Darstellung für ihr Wachsfigurenkabinett,“ antwortete Kiliane. „Hochehrwürden wissen, wie sie daran hängt. Sie nennt es: Mon plaisir – mein Vergnügen.“

Tief hatte sich die ernste Stirn des Geistlichen gefaltet. „Also für und für nur Spielereien auf der Augustenburg,“ sagte er nachdrücklich.

„Sie hat keine Kinder, darum spielt sie selbst mit Puppen,“ entschuldigte Kiliane. „Und sie ist nicht umsonst die Tochter des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. Nach einem seiner Schlösser hat sie die Augustenburg gebaut, sie ist ihm in das katholische Bekenntnis gefolgt, und sie erfreut sich daran, nach lebenden Personen Puppen anzufertigen, wie er in seinen Romanen die pikanten Histörchen aller Höfe an die Oeffentlichkeit brachte.“

„Die Frau Fürstin hat in erster Linie Landesmutter zu sein,“ entgegnete Olearius mit seiner weithin schallenden Kirchenstimme. „Monpläsir nennt sie ein Wachsfigurenkabinett, läßt Damaste und Sammete für dasselbe zerschneiden, in ihrer Porzellanfabrik zu Dorotheental Schälchen und Teller für die Puppenküche machen – und ihr Vergnügen sollle es sein, Stiftungen für die Armen zu gründen, Leinwand für die Kranken zu zerschneiden, in der Hofküche die Hungernden zu speisen, wie es die hochgebornen Frauen dieses Hauses bishero allezeit gethan haben. Und gerade jetzt, mehr als sonst, wäre ihr Platz hier an der Seite ihres Gemahls, inmitten der Unterthanen, und alle ihre Gedanken müßten darauf gerichtet sein, die düsteren Wolken zerstreuen zu helfen, die über Stadt und Land sich zusammenziehen.“

Kiliane sah ihn fragend an. „Gerade jetzt? Düstere Wolken?“

Aber er schloß seine Rede: „Solche Mahnungen sendet jedoch der erste Geistliche des Landes nicht durch ein Hoffräulein, die thut er von seiner Stätte aus kund“ – er erhob den Kopf – „von der Kanzel.“

Die Worte dröhnten durch das ganze Haus.

In der Unterstube hatte Fieke vor Angst die Hände gefaltet. Magdalene besserte gefaßt weiter die schadhaft gewordenen Kreuze in der Kante des Altartuches aus.

„Er fällt aus dem Hofton,“ sagte besorgt die Mutter. „Jetzt rückt das Fräulein den Sessel – es ist überstanden. Sie wird kein Verlangen tragen, uns ein Visite abzustatten, wird froh sein, wenn sie zum Haus hinaus ist. Komm, Lene, wir wollen sie geleiten!“

Droben an der Treppe verabschiedete sich Olearius.

Heiße Röte brannte auf den Wangen Kilianes; aber ehrfürchtig verneigte sie sich vor dem strengen Kirchenhaupt.

Dann streckte sie seiner stillen sanften Frau mit zutraulichem Lächeln die Hand hin, welche diese voll mütterlicher Teilnahme ergriff.

Magdalene stand so steif in der Thür, als habe sie die Elle verschluckt, mit der sie soeben die alten Kirchenspitzen für die Kanzelbekleidung Fieke zugemessen hatte.

Bei ihrem Anblick begann es in Kilianes Augen aufzublitzen. „Soll ich ein Kompliment an den Sekretarius Struve bestellen?“ fragte sie und sah übermütig in das junge Gesichtchen, das so kühl sich ihr zuwandte. „Ich fahre zum Onkel Kanzler; da wird er mir schon seinen charmanten Diener machen.“

Ein Blick voll stolzer Zurückweisung traf sie aus den Rehaugen Magdalenes. „Wer den charmanten Diener in Empfang nimmt, kann dafür das Kompliment machen,“ sagte herbe ihr kleiner roter Mund.

Kiliane verneigte sich, mutwillig lachend. „Soll mir ein besonderes Vergnügen sein.“ Damit verschwand sie.

„Lenchen, sei doch nicht so kurz angebunden,“ ermahnte leise die Mutter. „Bei einer Neckerei verhält sich ein junges Mädchen verschämt.“

Stumm ging Magdalene in die Stube zurück und nahm ihr geflicktes Kreuz in die eiskalt gewordenen Hände, während Fiekes neugierige Augen dem davonsausenden Schlitten nachsahen. –

Die Silberglöckchen der Hirsche läuteten dem herrschaftlichen Gebäude zu, welches der Kanzler als Diensuwohnung inne hatte.

Märten, der auf Struves Empfehlung das Winterholz für die Amtsstuben im Vorhof spaltete, riß die Thorflügel so kräftig auf, daß der eine halb aus den Angeln flog; da hielt ihn der riesenhafte junge Mensch wie ein Steinpfeiler fest.

Das Hoffräulein fuhr vor einer hohen Pforte vor, über der ein Wappenschild mit Wage und Schwert die Macht des Regentenhauses über Leben und Tod bekundete.

Ah! Da kam auch der Geheimsekretarius Struve aus der Kanzleistube im untern Gestock ein Aktenstück unter dem Arm, die Feder hinter dem Ohr.

Er trat heran, das Fräulein zu begrüßen. Aber „der charmante Dieuer“ fiel etwas flüchtig aus.

Gespannt sah er dem Amtsboten entgegen, der an seinem langen Stabe eilfertig von der Neidecke herüber gestapft kam und meldete: „Elf Uhr morgen wollen Seine Durchlaucht den Vortrag des Herrn Kanzlers entgegennehmen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_567.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)
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