Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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ans Herz gewachsen! Er steckte es in seine Rocktasche, wo es mit
den paar Thalern herumklapperte. Dann eilte er ihr nach.
An der Hausthür klingelten Amor- und Bärenschlitten vor, präsentierte die Wirtschafterin die frisch gefüllte Wärmflasche.
„Ich fahre das Fräulein,“ herrschte Eichfeld der Bedienung zu. „Der Reitknecht, der Mohr und der Läufer können zu meinem Kutscher in den Bärenschlitten kommen, ihre erfrorenen Beine in dem Pelz wärmen. Blast Eure Fackeln aus! Es ist schneehell. Die lange Fahrleine an das Gebiß der Hirsche! Ich will schon fertig werden mit ihnen. Will doch einmal probieren, ob man auch durch die Luft fliegen kann, ohne ein Husar zu sein.“
Märten, der unterdeß mit wuchtigen Axtschlägen die Thorangeln wieder eingeschmiedet und den starken Handhirsch, vor dem sich selbst der Sattelknecht fürchtete, an seiner Eisenfaust hermngeführt hatte, nickte billigend mit dem von dicken rötlichen Haarwellen umkräuselten Kopf: der Junker dachte an die erfrorenen Beine seiner Leute.
Kiliane sprang in den Schlitten. „Durch die Luft fliegen, alles in den Wind schlagen – so ist’s recht für arme Windbeutel, wie wir sind.“ Es klang ein schriller Ton durch ihren Uebermut.
Der Junker warf Märten eine kleine Münze zu und schwang sich hinter Kilianes Sitz auf die Kufen. Er faßte die Zügel. „Los!“
Der lange Peitschenriemen an dem kurzen Stiel sauste wie eine Schlange durch die Luft.
Märten riß lachend das Thor auf. „Das ist einmal ein Spaß! Die fragen doch nicht, ob etwas in Stücke geht!“
Gleich der losgelassenen wilden Jagd flogen die Hirsche mit ihrem leichten Gefährt davon. Vorüber an dem im Renaissancestil erbauten Residenzschloß des Fürsten, das stolz, grau wie ein Schatten, auf den leichtfertigen Amorschlitten herabschaute.
Von dem hohen Turm, der sich auf dem Fuß eines uralten Wartturms mit Galerien und grüner Kuppel erhob, dröhnte Glockenschlag.
„Schon sieben Uhr? Hussa!“
Zum Thor hinaus! Ueber die Brücke! Ein Wunder, daß die Hirsche nicht wie auf der Hetzjagd den Fluß wählten.
Hui! in das weite schneestäubende Land hinein.
Konrads heißer Atem streifte Kilianes zierliches mit einem Perlengehäng geschmücktes Ohr, von dem die Kapuze herabgesunken war. „Sind die Husaren wirklich angenehme Tollköpfe?“ flüsterte er. Und so weit reichte noch der matte Schein, der rosig am Gewölk im Westen verglomm, um all die Schelmengrübchen in Wangen und Kinn erkennen zu lassen, als sie rief: „Wenn sie hübsch sind! Schwarze Bärtchen und schwarze Augen haben!“
Ueber den grauen Augen des Junkers zogen sich die schönen dunklen Brauen zusammen. Wütend knallte die Peitsche, die Silberglöckchen kreischten auf.
Durch einen Hohlweg flog das flüchtige Hochwild, daß die Schneewehen über dem kleinen Amor zusammenschlugen, über einen Hügel, von dem der Schlitten nur nicht herab gleiten konnte, weil die Hirsche zu schnell dahin rasten.
„Wird das Fräulein widerrufen?“ Er blitzte sie drohend an.
„Nein,“ lachte sie. Aber sie blieb ihm zugewendet, daß ihr Gesicht immer vor seinen roten Lippen schwebte.
Die heißen Worte wirbelten als kleine Wölkchen in die kalte Luft.
„Kiliane, hüten Sie sich!“
„Der Junker von Eichfeld droht?“ Sie lachte hellauf.
Er wurde wild. „Der Iunker von Eichfeld nimmt es an Tollköpfigkeit mit den Husaren auf.“
Er beugte sich vor, sie drehte sich ab. Er drückte die Lippen in die beiden langen gepuderten duftenden Locken die auf den warmen Nacken fielen.
Da tauchte die Fassade eines Schlößchens auf, erleuchtet von den Laternen am Portal bis hinauf zu dem runden Fenster im verschnörkelten Giebel.
Wie ein Lichtgebilde hob es sich von der altersgrauen Ruine des Stammhauses der Kevernburg ab, die dahinter in den Nachthimmel stieg.
Die Leibgardisten liefen aus ihrer Wachtstube heraus, Lakaien eilten herbei.
Durch das aufgerissene schmiedeeiserne Hofthor, dessen vergoldete Spitzen in dem Lichtgeflacker glänzten, sauste der Schlitten nur noch auf einer Kufe.
Da ließ Konrad die Zügel fallen – im Augenblick da der Schlitten kippte, sprang er von den Kufen, und Kiliane mit seinen jugendkräftigen Armen umschlingend, hob er sie heraus.
Sattelknechte fielen den Hirschen in die Zügel; Lakaien lasen den zerbrochenen kleinen Amor aus dem Schnee auf.
Ein paar Herzschläge lang hielt Konrad sie fest an seine Brust gedrückt, das Gesicht zu ihrem Antlitz hinabgebeugt, den sprühenden Blick tief in ihre Augen tauchend.
Und ihr, die sonst immer mit Spott und Hohn sich wehrte – ihr schwindelte plötzlich. Wie von der hinreißenden Gewalt einer entfesselten Naturkraft besiegt, lehnte sie willenlos in seinen Armen.
„Je toller die Fahrt, um so jäher das Ende!“ tönte es seltsam gedämpft und doch deutlich an ihr Ohr.
Sie fuhr empor. Dort in der dunklen Seitenpforte stand eine schmale schlanke Mönchsgestalt; ein bleiches scharfkantiges Gesicht sah zu ihr herüber. Es war Severin, einer der Wachsbossierer.
Sein Gefährte Timotheus, eine behagliche Figur, schob sich dazwischen. „Das Fräulein hat sich doch nicht weh gethan?“ fragte er harmlos.
Dann verschwand er mit dem andern.
Aber ein Schwarm von Hofherren, durch das tosende Schellengeläute herbeigerufen, ergoß sich in den Vorhof und suchte lachend die zerstreuten Toilettenstücke Kilianes zusammen.
Der hochmütige Hofmarschall ließ sich herab, den Schnee von ihrem Pelz zu klopfen, der frivol lächelnde erste Kammerherr barg ihr Händchen in dem gefundenem Muff, der forsche Stallmeister bestand darauf, ihr den verlornen Stöckelschuh selbst anzuziehen.
„Eile sich der Herr Kammerjunker, aus den Pelzstiefeln zu kommen,“ riefen sie dem abwehrend dazwischen sich drängenden Eichfeld zu. „Ihro hat noch eine Arbeitsstunde befohlen.“
Kiliane wandte sich nach ihm um, noch etwas atemlos, aber wieder in der Haltung des Hoffräuleins das zarte Kinn hoch gehoben. „Solchen Erfolg hat man,“ spottete sie leise, „wenn man es den angenehmen Tollköpfen gleich thun will und kein Husar ist: Amor geht in die Brüche.“
Sie lief ins Schlößchen hinein, Konrad ihr nach, der ganze Schwarm der Hofkavaliere hinterher.
(Fortsetzung folgt.)
Als Deutsche in Paris.
(Schluß.)
Auf dem Wege nach dem Militärhospital St. Martin begegneten wir einem Vierspänner, in dem eine ältere Dame neben einem jungen Mann in Uniform saß, verfolgt von einer schreienden Menge: „Das ist auch so einer von den Millionärmobilen! So fahren unsere Millionärmobilen in den Krieg!“ Sogar die Mutter wurde verhöhnt, weil sie ihre „Thränen in ein seidenes Taschentuch weine“.
Der Pförtner war wohl abwesend, jedenfalls kamen wir ohne Erlaubnisschein in den Garten des Hospitals. Es erschien uns nach der Gesellschaft, die sich im Freien sonnte, wie eine Bewahranstalt für alte Männer in blauen Schlafröcken und weißbaumwollenen Schlafmützen, die an der Neugier litten. Denn kaum hatten die Nächsten uns erspäht, als sie uns umringten und die neuesten Nachrichten vom Kriege wissen wollten. Sie bekämen keine Zeitungen!
„Das Neueste ist,“ sagte ich, „daß man die deutschen Gefangenen, die verwundet sind, in ein Pariser Hospital geschickt hat – sind vielleicht welche hier?“
Nein. Nicht ein einziger gefangener Deutscher war unter ihren Kranken! Schade – was würde man von ihm erfahren! Aber wo standen die Deutschen? War es noch nicht heraus,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_571.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)