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Seite:Die Gartenlaube (1895) 576.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Natürlich dauerte das Ausschiffen ebenfalls noch eine gute Weile. Um vom Dampfer nach der schmutzigen Straße zu gelangen, mußten wir einen noch schmutzigeren Durchgang passieren. Von da sahen wir einen Zeitungsjungen laufen, der ein letztes Blatt hoch in der Haud hielt. „Gute Nachricht für Deutsche!“ schrie er dabei.

Wir winkten ihm, aber ein Herr, der aus einer Hausthür trat, riß ihm das Blatt aus der Hand und rannte damit fort.

„Wenn das einen Sieg für uns bedeutete?“ sagte ich zu Agnes, welche die Gepäckstücke in eine Droschke zählte, die sie nach Charing-Croß, mich nach Euston-Station fahren sollte. Vorbei ging’s nun an Tower und Copperstreet. Da wurde unser Wagen an dem mächtigen Bogen, auf dem die Eisenbahnbrücke ruht, von einer Menschenmenge aufgehalten, die sich um ein eben angeschlagenes Plakat mit riesenhaften Buchstaben drängte: „Großer Sieg der Deutschen – Kapitulation von Sedan – der Kaiser und das ganze französische Heer gefangen.“

Ich weiß noch, daß wir beide jauchzten und schluchzten zugleich – wir waren überzeugt, der Krieg sei nun am Ende, – und feierten tief ergriffen unsern ersten Sedanstag im Geiste, mit den jubelnden Millionen im deutschen Vaterland.


Freiheit.

Novelle von A. von Klinckowstroem.

  (2. Fortsetzung.)

Da die Ankunft des Gastes erst gegen Abend des nächsten Tages erwartet wurde, so ließ Hella sich nicht abhalten, am andern Morgen um die gewohnte Zeit zu Pferde zu steigen, und auf der Wiese an der nächsten Waldecke stieß Wildenberg, der hier die Mäher beaufsichtigte, zu ihr.

„Voraussichtlich für längere Zeit zum letztenmal!“ konnte er sich nicht enthalten, mit einem unsicheren Seitenblick zu sagen.

„Warum?“ entgegnete sie ruhig. „Ich bin nicht gesonnen, mich durch die Ankunft meiner Cousine in meinen Gewohnheiten stören zu lassen.“

Ihm stieg das Blut ins Gesicht, obgleich weder in ihrem Ton noch in ihrem Blick etwas lag, das er sich hätte zu seinen Gunsten auslegen können. Sie ritten langsam nebeneinander auf dem Wege hin, der zur Landstraße führte, und waren im Begriff, diese zu kreuzen, als ein Wagen, der rasch daherkam, ihre Aufmerksamkeit fesselte. Ein roter Sonnenschirm, eine Hand im gelben dänischen Handschuh, die ein Taschentuch schwenkte, alles das winkte ihnen aus dem Gefährt energisch und lebhaft entgegen. Gleich darauf hielt dasselbe und die darin sitzende Dame rief lachend: „Da bin ich! Du hast mich vermutlich nicht so früh erwartet, aber ich wollte Dich überraschen, ehe Du äußerlich und innerlich bei Dir aufgeräumt haben würdest. Solche Ueberraschungen verhelfen meist zu den amüsantesten Entdeckungen. Nun, Du scheinst, Deinem Gesicht nach zu urteilen, keinen Geschmack daran zu finden?“

„In der That, nein!“ bekannte Hella trocken. „Du beraubst mich des Vergnügens, Dich an der Schwelle meines Hauses begrüßen zu können. Wo kommst Du denn her, Lotti? Ich meinte, Du würdest mit dem Nachmittagszuge eintreffen.“

„War auch meine Absicht, aber inkonsequent wie immer, ließ ich mich von Herrwings, die ja Eure nächsten Nachbarn sind, überreden, in ihrer Gesellschaft mit einem früheren Zug zu fahren, wogegen Herr von Herrwing versprach, mich in seinem Wagen zu Euch zu schicken.“

„So fahre nur zu! Tante Lina wird Dich mit offenen Armen empfangen, und da ich nicht auf der Landstraße hinter Dir herklappern kann, so will ich versuchen, auf anderem Wege doch noch vor Dir zu Hause zu sein.“ Sie wandte ihr Pferd und jagte querfeldein, gefolgt von Wildenberg, während Gräfin Lenzen die langstielige Lorgnette an die Augen hob und ihnen mit Interesse nachblickte.

Als der Wagen auf der Rampe des Schlosses hielt, wurde Hellas dampfendes Pferd bereits in den Stall geführt; sie selbst stand mit geröteten Wangen und lächelnden Lippen unter der Thür und sah jugendlicher und mädchenhafter denn sonst aus. Sie liebte diese Verwandte, die, um mehrere Jahre älter als sie, ihr trotz der Verschiedenheit der Charaktere stets die herzlichste Freundschaft bewiesen hatte, und umarmte sie jetzt mit einer Wärme, die bei ihr ganz ungewöhnlich war.

„Und wo hast Du Mann und Kinder gelassen?“ fragte sie, als sie mit der Gräfin allein am Theetisch unter der Säulenhalle saß. „Ich hätte mich gefreut, wenn sie Dich begleitet hätten.“

„Welche Idee, mein liebes Kind! Nein, man muß den Gedanken gar nicht in ihnen aufkommen lassen, daß der Mensch ein Herdentier ist und nicht allein sein kann. Ich gewöhnte sie von vornherein an Selbständigkeit und rate Dir, wenn Du Dich verheiratest, ein Gleiches zu thun. Du glaubst nicht, wie viel Unbequemlichkeiten man sich damit erspart. Apropos ‚heiraten‘! Wie ist es denn, mein Schatz? Wann werde ich zu Deiner Hochzeit eingeladen?“

„Du weißt, daß ich nicht heiraten will.“

„Ah bah! Worte, Worte! Das sagen die meisten Mädel! Du hast Dich freilich lange genug besonnen, und in Deiner bevorzugten Lage finde ich das begreiflich; die Freier aus hiesiger Gegend mögen auch wohl nicht allzu verführerisch sein. Aber endlich mußt Du Deine Wahl treffen, denn Du kannst doch nicht im Ernst daran denken wollen, eine alte Jungfer zu werden.“

„Ich habe Dir meine Ansichten hierüber mehr als einmal auseinandergesetzt. Nach den Erfahrungen, die ich von der Ehe meiner Eltern empfangen habe, bin ich zu der Ansicht gekommen, daß es besser ist, sich die Selbständigkeit zu wahren. Ich bin nicht blind durch die Welt gelaufen und habe auch andere Ehen gesehen, habe gesehen, wie die Frauen sich durch ihr Jawort rechtlos und blindlings in die Hand eines ihnen unbekannten Mannes gaben – denn wer hat wohl je seinen Mann vor der Ehe kennengelernt?“

„Na, das ist denn doch ein bißchen stark aufgetragen! Aber sei dem, wie ihm wolle – das Ungewisse hat auch seinen Reiz, und wie ich Dir schon sagte, ich liebe die Ueberraschungen, selbst solche, die man sich gegenseitig in der Ehe bereitet. Das läßt keine Langeweile aufkommen. Uebrigens stellst Du Dir die Sache schlimmer vor, als sie in Wahrheit ist. Eine kluge Frau hat hundert Mittel, ihrem Mann einen leichten Zügel anzulegen und, wenn er dann noch nicht lenksam ist, eine Kandare, bis man ihn weich in der Hand hat.“

„Deine Mühe ist vergeblich, gute Lotti, ich handle nach einem wohlbedachten Grundsatz.“

Lotti warf sich in ihren Stuhl zurück und lachte, bis ihr die Thränen in die Augen traten. „Geh mir doch! Eine Frau, die Grundsätze hat und nach ihnen handelt! Es giebt überhaupt keine konsequente Frau, und so gebe ich doch die Hoffnung nicht auf, Dich schließlich mit Pauken und Trompeten die Segel streichen zu sehen, sobald der Rechte kommt. Sei doch nicht närrisch, Hella! Wir Verheirateten haben ja zehnmal mehr Freiheiten in der Welt als die Mädchen. Wir müssen es nur verstehen, uns dieselben zu wahren.“

„So? Sieh Dir das Leben einmal an, das ich führe! Was fehlt mir denn, um glücklich zu sein?“

„Die Liebe.“

„Das ist kein Faktor, mit dem ich rechne.“

„Der sich aber doch früher oder später in Deine Berechnungen eindrängen wird, und je später dies geschieht, um so schlimmer für Dich. Als ich Dich vorhin an der Landstraße draußen zuerst sah, glaubte ich schon, dieser Zeitpunkt sei gekommen. Du hast Dich sehr zu Deinem Vorteil verändert, siehst beinahe um fünf Jahre jünger aus als vor einigen Monaten. Deine Augen haben einen Glanz und Deine Wangen eine Farbe, die sie sonst nicht gehabt haben. Gestehe, Schatz, – wer ist es, der diese Veränderung bei Dir bewirkt hat?“

Hella lachte. „Wie Ihr klugen Frauen der großen Welt Euch doch zuweilen in Eure Ideen verrennen könnt! In Eurem Leben spielt das, was Ihr unter Liebe versteht, eine solche Rolle, daß Ihr Euch gar nicht denken könnt, daß auch frische Luft und gesunde Bewegung Veränderungen hervorbringen, die Ihr nur dem Gefühlsleben zuschreibt. Außerdem – schau Dich doch in unserm nachbarlichen Kreise nach einem Gegenstand um, der imstande wäre, irgend ein beglückendes Gefühl zu erwecken!“

Die Gräfin zog, ohne hierauf zu antworten, ihre Cigarettendose hervor und steckte eine Cigarette in Brand, den Rauch in großen Wolken durch die Lippen paffend. Sie war keine hübsche Frau; stark in die Breite gegangen, gab sie sich nicht mehr die Mühe, durch irgend einen Toilettenaufwand ihre schwindenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_576.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)
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