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Seite:Die Gartenlaube (1895) 578.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Reize zu heben, sondern trug der Bequemlichkeit größere Rechnung als der Schönheit. Das leicht ergrauende Haar umrahmte ein lebhaft gefärbtes rundes Gesicht mit einer Stumpfnase und hellen lebensfreudigen klugen Augen. Man faßte rasch ein Herz zu ihr, denn es lag trotz einer gewissen Verschlagenheit viel Freundlichkeit und Güte in ihren Zügen, und ihr Lachen war volltönend und herzlich.

„Wer war der junge Mann, in dessen Gesellschaft ich Dir vorhin begegnete?“ fragte sie plötzlich unvermittelt, ihrer Verwandten voll ins Gesicht blickend.

Hella fühlte, daß sie unter diesem Blick errötete – sie hätte selbst nicht zu sagen vermocht, weshalb – und ärgerte sich darüber. „Ein Herr, der für einige Zeit zu meinem Oberinspektor gekommen ist, um die Wirtschaft hier kennenzulernen,“ versetzte sie kurz.

„So so! Weißt Du, daß er mir gut gefällt? Ich denke doch, Du wirst ihn mir während meines hiesigen Aufenthalts vorführen.“

„Er wird Dich nicht interessieren. Er ist kein Mann der großen Welt.“

„Um so mehr wünsche ich, seine Bekanntschaft zu machen. Es ist erfrischend, sich auch einmal Menschen aus einer andern Luft anzuschauen. Nichts liegt mir ferner als der einfältige Kastengeist, der sich hochmütig gegen jede frische Strömung abschließt. Es hat nicht viel gefehlt, so hätte ich in meinem achtzehnten Jahre statt des guten Lenzen einen höchst anziehenden Doktor der Philosophie geheiratet, in den ich mich sterblich verliebt hatte. – Du findest das wahrscheinlich unbegreiflich,“ fügte sie mit einem schlauen Seitenblick hinzu.

„In Deinem Fall allerdiugs, da Deine natürlichen Neigungen in einer ganz anderen Richtung lagen.“

„Ich fragte aber, um Deine eigene innerste Herzensmeinung über diesen Punkt zu hören.“

„Was das Verlieben anbetrifft, so apreche ich davon wie der Blinde von der Farbe. Im übrigen sehe ich nicht ein, weshalb ein Mädchen ihre Neigung nicht eher einem gescheiten Mann schenken sollte, der nicht auf derselben gesellschaftlichen Rangstufe steht, als einem Hohlkopf aus ihrer eigenen Kaste. Gleiche geistige Sphäre – das ist doch schließlich das einzig Maßgebende.“

„Ich bin sehr erfreut, Dich so sprechen zu hören, denn bei unserm letzten Beisammensein schien es mir, als seiest Du sehr exklusiv in Deinem Verkehr.“

„Meine Stellung als Besitzerin von Strehlen legt mir Verpflichtungen auf, die ich nicht umgehen kann.“ Damit erhob sich Hella, um das Gespräch über diesen Gegenstand abzubrechen. –

Die Gräfin stimmte mit ihrer Cousine in der Ansicht überein, daß bei längerem Zusammenleben auf dem Lande jedes den Tag über seine eigenen Wege gehen müsse und daß erst der Abend der Geselligkeit gehöre. So streifte sie denn schon am folgenden Tage, während Hella ihren Geschäften nachkam, auf eigene Hand umher, die Hände in den Taschen ihrer Lodenjoppe, die Cigarette zwischen den Lippen, Haus, Wirtschaft und Garten besichtigend und ihre Beobachtungen machend. Auf der Wiese hinter dem Park traf sie mit Wildenberg zusammen und schloß in ihrer kurz angebundenen Art sofort Bekanntschaft mit ihm. Wenn sie indes geglaubt hatte, ihn ganz ohne Umstände mit der etwas herablassenden Freundlichkeit der großen Dame behandeln zu können, so sah sie ihren Irrtum sehr bald ein. Wildenberg hatte sich offenbar viel und mit offenen Augen in der Welt umgesehen und sich dabei die volle Sicherheit des Auftretens erworben. Er gefiel ihr außerordentlich; und sie gab diesem Gefallen an der Mittagstafel lebhaften Ausdruck; zu ihrer Cousine gewandt, fügte sie nachlässig hinzu: „Ich habe ihn aufgefordert, uns heute abend zu besuchen. Es ist Euch doch hoffentlich nicht unangenehm?“

Hella zog die Brauen leicht zusammen, aber Tante Lina meinte unbefangen: „Warum sollte es uns unangenehm sein? Wildenberg ist ohnehin in letzter Zeit fast jeden Abend hier gewesen.“

Die Gräfin lachte still vor sich hin. – Als Wildenberg am Abend erschien, kam sie ihm aufs liebenswürdigste entgegen, schüttelte ihm die Hand und verwickelte ihn, scheinbar ohne zu bemerken, daß Hella immer einsilbiger wurde, in ein eifriges Gespräch, das ihm Gelegenheit gab, seine ganze Unterhaltungsgabe zu entfalten. Dann kam Lili. Sie schwärmte für die Gräfin, die sie schon bei deren letzten Besuch in Strehlen kennengelernt hatte, und flog ihr mit freudig geröteten Wangen um den Hals. Als Lotti dabei über Lili hinweg nach Wildenberg hinsah, bemerkte sie, daß seine Blicke mit unverhohlener Bewunderung an dem reizenden belebten Gesichtchen hingen. Oho! dachte sie betroffen, was ist denn das? und sie nahm sich vor, scharf zu beobachten. Aber so sehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr nicht gelingen, sich Klarheit zu verschaffen. Wenn Wildenberg auf irgend eine Bemerkung Lilis mit beinahe zärtlichem Lächeln antwortete und das Mädchen dabei schelmisch zu ihm aufsah, glaubte sie, der geheimen Neigung des Gastes völlig auf der Spur zu sein. Aber dann warf Hella ein Wort in die Unterhaltung und augenblicklich wandte sich Wildenbergs Aufmerksamkeit ausschließlich ihr zu, und er schien nur für sie Auge und Ohr zu haben.

Die Gräfin wußte nicht, was sie davon zu halten habe, und gedachte mit ihrer gewohnten Rücksichtslosigkeit der Sache auf den Grund zu gehen. Nachdem die andern sich zurückgezogen hatten, blieb sie noch plaudernd mit Hella im Salon zurück und fragte so beiläufig: „Was hast Du eigentlich für Pläne mit der Kleinen?“

„Immer noch die, welche Du kennst!“

„So, so! Ich dachte, Du hättest Dir vorgenommen, eine Ehe zu stiften.“

Hella, die im Zimmer auf und nieder ging, um noch einiges zu ordnen, blieb stehen und wechselte die Farbe. „Wie meinst Du das?“

„Aber, lieber Schatz, Du mußt blind für das sein, was in Deiner Umgebung vor sich geht, wenn Du eine solche Frage stellen kannst. Du bringst ein Mädchen von Lilis Erscheinung und Temperament fast täglich mit einem jungen Mann wie Wildenberg zusammen, der mit dem einnehmendsten Wesen zugleich den unschätzbaren Vorteil verbindet, eine gute Partie zu sein – da liegt doch der Gedanke nahe, daß sie sich ineinander verlieben und mit einer Heirat enden werden. Ich würde das übrigens für ein großes Glück halten.“

Hella blieb einen Augenblick stumm, dann stieß sie halb atemlos hervor: „Du irrst Dich! Lili ist ja noch ein vollständiges Kind.“

„Gewesen, liebes Herz! Sie ist achtzehn Jahre, und die Art, wie sie diesen Herrn Wildenberg anblickte, gab mir zu denken.“

„Nein, nein! Ich sage Dir noch einmal, daß Du im Irrtum bist! Nichts liegt Wildenberg ferner als das!“

„Bist Du etwa so genau über seine Gedanken und Gefühle unterrichtet? Glaube meiner Erfahrung! Läßt Du die zwei noch lange beisammen, so werden sie eines Tages vor Dich hintreten und um Deinen pflegemütterlichen Segen bitten, den zu verweigern Du nicht das Recht haben wirst.“

„Niemals!“

„Wie?“ rief die Gräfin, scheinbar befremdet. „Welchen stichhaltigen Grund hättest Du für eine solche Weigerung, die obendrein, da Lilis Eltern noch leben, gar nicht ernstlich in Betracht kommen könnte? Es sei denn“ – sie stand rasch auf und trat vor ihre Cousine hin, ihr gerade in die Augen blickend – „es sei denn, daß Du selbst ihn liebtest. In dem Fall wäre es allerdings begreiflich –“

Hella fuhr auf wie von einer Natter gestochen, ihre Augen verdunkelten sich vor Zorn. „Du beleidigst mich!“

Die Gräfin zuckte gelassen die Schultern. „Ich sehe keine Beleidigung darin; im Gegenteil, ich würde Dich für höchst vernünftig halten, wenn Du’s thätest. Und Dein Zorn bestärkt mich in meiner Annahme, ich bin meiner Sache jetzt sicher.“

„Kein Wort weiter, wenn wir Freunde bleiben sollen! Mein Gott! Habe ich mich denn so läppisch, so kindisch albern benommen, daß Du ein Recht haben durftest, mich durch einen solchen Verdacht zu beschimpfen?“

„Aber Hella!“

„Ja, zu beschimpfen! Du weißt, wie gering ich von dieser Schwäche denke, die Ihr Liebe nennt. Außerdem – gerade dieser Mann und ich!“ Sie brach in krampfhaftes Lachen aus. Ihre Brust hob und senkte sich stürmisch; augenscheinlich hatte die unerwartete Wendung, welche das Gespräch genommen hatte, ihr Inneres aus allen Fugen gebracht.

„Verzeih’!“ sagte die andere lächelnd und legte ihre Hand beschwichtigend auf die Schulter der Erregten. „Hätte ich geahnt, daß Dich meine Bemerkung in dem Maße aufregen würde, so hätte ich sie für mich behalten. Komm, fasse die Sache von der vernünftigen Seite auf! Habe ich mich getäuscht, so lache mich aus, habe ich aber recht, so laß uns einmal ganz ruhig darüber sprechen! Warum solltest Du ihn auch nicht lieben? Er ist klug, gesellschaftlich gebildet und dabei eine höchst sympathische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_578.jpg&oldid=- (Version vom 15.10.2022)
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