Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Unterredung erzählte, kannte sowohl Johann Kühl wie Hannes Bergmann.
Ersterer war Bootsknecht in dem kleinen, unweit der Stadt gelegenen Hafen und Hannes Bergmann war Großknecht bei Herrn Hermenstein, einem wohlhabenden Landbesitzer. Ihre Bekanntschaft zu machen, war auch für mich nicht schwer, und als wir eines Tages am Hafen waren, fanden wir Johann Kühl mit dem Teeren seines Bootes beschäftigt. Er war groß und blond, mit vielen Sommersprossen und etwas schläfrigen Augen. Als ich ihn fragte, ob er später einmal Marenz heiraten wolle, wurde er sehr verlegen und wendete sich ab, ohne ein Wort zu erwidern. Das fanden wir nun nicht nett von ihm – uns hätte er doch gern seine Absichten mitteilen können; aber er schien über diesen Punkt andere Ansichten zu haben.
Hannes Bergmann war eigentlich mehr nach unserem Geschmack. Der zeigte uns gleich seine große silberne Uhr, und als wir ihn fragten, ob er Marenz leiden möchte, entgegnete er lachend, daß er sie sehr nett fände. Auch hatte er zwei braune Pferde, die einen Leiterwagen zogen, und er bot uns an, uns durch die Stadt spazieren zu fahren, ein Anerbieten, das wir sofort annahmen.
Auf einem federlosen Leiterwagen über holpriges Straßenpflaster zu fahren, ist bekanntlich eine der angenehmsten Bewegungen und bei dieser Gelegenheit wurde uns jeder Gedanke an Marenz aus dem Kopf gestoßen.
Wir sahen sie auch eine lange Zeit gar nicht – wahrscheinlich hatte sie mit ihren Fahrten aufs Land viel zu thun und mußte noch dazu im Hause viel schaffen.
Es war in den Herbstmonaten gewesen, als wir das Kleid von Marenz bewundert hatten; dann kam Weihnachten mit seinen vielen Freuden und dann der Januar, der Monat, in dem unser Großvater, der Beamter war, sehr viel zu thun hatte. Es wurden nämlich die Geldgeschäfte der ganzen Insel dann in Ordnung gebracht, Erbschaften ausbezahlt, Schuldverschreibungen eingelöst und alle Zinsen beglichen. Jede Zahlung mußte aber in dänischen Speziesthalern gemacht werden, einem Geldstück, das ungefähr den Wert von vier heutigen Reichsmark hatte. Mein Großvater hatte sehr viel mit diesen Geldgeschäften zu thun – er verwaltete verschiedene große Kapitalien und mußte zu Zeiten sich viel Geld vorzählen lassen.
Unter den Hofbesitzern, die viel Geld auszahlen mußten, befand sich auch der reiche Herr Dorning, der im Westen der Insel wohnte.
Wir kannten Herrn Dorning nicht genau und würden niemals von ihm gesagt haben, daß er unser Freund sei – aber wir begrüßten ihn, wo wir ihn sahen, und er sprach dann einige nachlässig freundliche Worte mit uns. Auch seine Frau kannten wir nur aus der Entfernung und sie war uns immer interessant gewesen, weil es keinen Menschen gab, der so fest in der Kirche schlief wie sie. Kaum hatte sie sich gesetzt, so legte sie den Kopf auf die Brust, und ihr leises Schnarchen begleitete Gesang und Predigt mit solcher ruhigen Gleichmäßigkeit, daß alle Kirchenbesucher nur erstaunt waren, wenn sie nicht schnarchte und nur leise atmete. Seit einiger Zeit aber fehlte Frau Dorning unter den Kirchenschläfern und das kam daher, weil sie nun für immer unter dem grünen Rasen des Kirchhofes schlief.
Ihr Mann hatte ihr, wie es sich gehörte, eine stattliche Leichenfeier mit sehr viel Torten und Wein ausrichten und auf ihr Grab ein schönes Granitkreuz setzen lassen. Auf diesem Kreuz befand sich außer einigen Bibelsprüchen auch ein Schmetterling, der uns Kinder sehr in Verwunderung setzte. Wir hatten niemals an einen Schmetterling gedacht, wenn wir die dicke und sehr schwere Frau Dorning sahen, und wir konnten auch nicht verstehen, was die Großen uns darüber sagten.
Als Herr Dorning mit seinem Gelde bei unserem Großvater vorfuhr, hatte es gerade einige Tage sehr stark geschneit und der Schnee lag hoch. Herr Dorning kam daher auch in einem Schlitten, der aussah wie ein altes Bett und der mit Stroh ganz angefüllt war. Der reiche Hofbesitzer sollte manchmal überhaupt geizig sein, wie wir schon gehört hatten – jedenfalls aber hatte seine Sparsamkeit ihre Früchte getragen.
Wie der Schlitten vor unserem großelterlichen Hause hielt und Dorning ausstieg – Jürgen und ich standen gerade vor der Thür – wühlte er ein wenig im Schlittenstroh herum und zog dann vier schwere Beutel mit Geld heraus, die er auf die Hausthürschwelle setzte und uns darauf aufforderte, wir sollten sie nur stehlen. Wir versuchten die Beutel zu heben, aber das ging nicht; sie waren zu schwer und Dorning lachte laut auf.
„Na seht Ihr woll, Kinners – mit Geld könnt Ihr noch nich umgehen! Nich mal tausend Spezies könnt Ihr heben!“
Er ergriff einen Beutel und hielt ihn im steifen Arm. Da er groß und stark war, konnte er es wirklich und lachte selbstgefällig.
„Ja, so is es – mit Geld versteh ich mir noch! Krischan,“ wandte er sich an seinen Kutscher, „lang’ nu auch noch den annern Beutel her, wo die achhunnert ein sind. Der muß unter mein Sitz stehen!“
Krischan, dessen Pferde unser Kutscher Hinrich hielt, wühlte im Stroh, bis er einen sehr roten Kopf bekam.
„Dor is nix mehr!“ murmelte er endlich und Herrn Dornings Gesicht wurde etwas blaß.
„Wo, was? Is der Büdel nich da, mit die achhunnert Spezies ein? Krischan, besinn Dir!“
Krischan besann sich, kratzte sich hinter den Ohren, seufzte, kaute einen Strohhalm nach dem andern und warf alles Schlittenstroh in den Schnee. Es half aber nichts – der Beutel mit den achthundert Spezies war fort. Herr Dorning fluchte auf plattdeutsch und hochdeutsch und dann fiel ihm ein, daß der Schlitten einmal umgeschlagen sei. Es war nicht schlimm gewesen, der Schlitten hatte gleich wieder gerade gestanden, aber es konnte doch bei dieser Gelegenheit der Beutel in den weichen Schnee gefallen sein.
Als Herr Dorning erst auf diesen Gedanken kam, ließ er schnell die vier großen Beutel mit Thalern in Großvaters Kontor bringen und jagte dann mit seinem Schlitten wieder nach der Stelle, wo der Unfall passiert war. Heinrich, einer meiner ältern Brüder, und Jürgen fuhren mit. Dies Suchen auf offener Straße hatte natürlich viele Menschen, besonders Frauen mit Kindern auf dem Arm, herangezogen, und alle Menschen sahen auf die Straße, als wenn sie dort die achthundert Speziesthaler finden könnten. Die lagen aber weder auf der Straße, noch dort, wo Herrn Dornings Schlitten umgeschlagen war. Unverrichteter Sache kehrten alle nach etlichen Stunden eifrigen Suchens wieder und Herr Dorning soll sehr schlechter Laune gewesen sein, als er das andere Geld bei meinem Großvater aufzählte.
Mein Großvater riet ihm, das Geld durch den Ausrufer „ausklingeln“ zu lassen und dem ehrlichen Finder eine gute Belohnung zu versprechen. Er aber hatte verdrießlich den Kopf geschüttelt.
„Weg is weg, Herr Justizrat! Wer achhunnert Thalers auf die Landstraße findet, der behält ihnen auch. Na, und versmerzcn kann ich es – Sie wissen, ich bin ein reicher Mann!“
Diesen Trost hatte er sich öfters wiederholt, und dabei war es geblieben.
Aber auf der ganzen Insel wußten doch bald alle Menschen, welchen Verlust Herr Dorning erlitten habe und wie ruhig er ihn trüge. Sogar das „Wochenblatt für Intelligenz und Unterhaltung“ brachte einen langen Bericht über das einem der geschätztesten Mitbewohner widerfahrene Mißgeschick und wir Kinder dachten darüber nach, was wir anfangen wollten, wenn wir so viel Geld fänden. Denn daß wir es behalten würden, erschien uns selbstverständlich.
Einen ganzen Monat lag der Schnee und die Brüder hatten sich eine Schneehütte gemacht, in der sechs Personen sitzen konnten. Sie sprachen davon, einen Anbau zu machen und dann eine Abendgesellschaft für die Erwachsenen zu geben, bei der jeder Geladene mindestens ein halbes Pfund Chokolade oder ebensoviel Kuchen mitbringen solle, als das Tauwetter kam. Dies kam uns sehr ungelegen und wir konnten den lieben Gott nicht recht begreifen. Wir hatten ihn jeden Abend gebeten, er möge uns den Schnee und den scharfen Frost noch recht lange lassen, damit wir unser Schneehaus behalten könnten, und nun that er nicht, was wir wollten!
Wir fühlten uns von ihm geradezu schlecht behandelt und ich sagte dies auch zu Marenz, der ich den folgenden Tag im feinen Tauregen begegnete.
Sie patschte durch den aufgeweichten Schnee, schob ihren Brotwagen vor sich her und trug das braune Kleid unserer Tante. Aber es war nicht mehr sehr gut erhalten. Sie trug weder ein Tuch um die Schulter, noch eins um den Kopf und ihre Hände waren rot und verschwollen.
Ich betrachtete sie denn auch mit einigem Mißfallen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_610.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)