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Seite:Die Gartenlaube (1895) 836.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Das gelang ihm; aber die andere schwamm schon zu weit fort und er sah uns drohend an.

„Ihr dummes Volk! Was habt Ihr in meinem Boot zu thun! Heraus mit Euch, sonst werfe ich Euch alle ins Wasser! Und wo ist meine Ruderstange?“

Er sprach fremder und ganz anders wie die meisten Insulauer, so daß wir schon deswegen einen großen Schreck vor ihm bekamen. Aber als Jürgen mir zuflüsterte, dieser Mann wäre Jobst Krieger, der Dieb, der so oft im Gefängnis gesessen hatte, da erwachte in mir der Trotz der Selbstgerechtigkeit.

„Zu sagen hast Du uns nämlich gar nichts!“ bemerkte ich, während ich doch ziemlich schnell aus dem Boot sprang.

„Weshalb nicht?“ Der Mann, dessen Gesicht uns übrigens keinen abschreckenden Eindruck machte, sah mich fragend an.

„Du bist ja ein Dieb, ein ganz schlechter Mensch!“ versetzte ich und Jürgen, der gleichfalls wieder auf festem Boden stand, nickte zu jedem meiner Worte.

„Du darfst gar nicht mit uns sprechen,“ bemerkte er nun. „Du sitzest ja immerlos im Loch!“

Auf Jobst Kriegers Gesicht lag der Ausdruck ungläubigen Staunens, dann aber wurde er plötzlich sehr rot.

„Was geht’s Euch an, wenn ich im Gefängnis war? Darin haben schon fixe Kerle gesessen, kann ich Euch sagen! Und überhaupt –“ er sah uns langsam nach der Reihe an – „ich kenn’ Euch gut! Wie oft lauft Ihr zu dem alten Mahlmann, der sein Leben lang im Zuchthaus war!“

„Zuchthaus ist feiner als Gefängnis,“ erklärte Jürgen; „viel feiner! Ich habe ’mal mit Mahlmann darüber gesprochen und der hat es mir auch gesagt. So oft wie Du im Gefängnis, ist Mahlmann auch nicht im Zuchthaus gewesen!“

„Nein, er nahm gleich ein gutes Ende auf einmal!“ sagte Jobst Krieger und dabei lachte er.

Er sah wirklich gar nicht so übel aus und sein Zorn über das verlorene Ruder schien auch verraucht.

Mit schwerem Schritt stieg er nun ins Boot und begann die Kette zu lösen.

„Wohin fährst Du?“ fragte Bruder Milo, der sich bis jetzt nicht an der Unterhaltung beteiligt und den Dieb nur unverwandt angesehen hatte.

Jobst gab keine Antwort; mir aber fiel Dörthe wieder ein, während mir natürlich nicht in den Sinn kam, daß ich ihr Schweigen gelobt hatte.

„Er fährt in den großen Wald,“ rief ich laut, „wo die Rehe und die Hasen frei herumlaufen. Da schlägt er die Tannenbäume entzwei und fängt die Rehe, und dann kommt der böse Graf und nimmt ihn gefangen! Und Dörthe muß wieder Weihnachtsabend auf der Straße herumlaufen, weil ihr Vater im Gefängnis sitzt!“

„Dummes Zeug!“ sagte Jobst. Er hatte mit einer Kelle Wasser aus dem Boot geschöpft, nun hielt er doch inne mit seiner Arbeit.

„Dummes Zeug ist es gar nicht!“ rief ich empört. „Dörthe sagt, wenn Du nur Ostern oder Pfingsten stehlen wolltest, dann wäre es ihr einerlei; aber gerade Weihnachten! Da darf man doch eigentlich nicht stehlen!“

„Nein, eigentlich nicht!“ meinte Jürgen, und Milo nickte gleichfalls.

„Da kommt ja das Christkind auf die Erde, und wenn es Dich nun im Gefängnis findet, dann bekommst Du nichts geschenkt. Nur artige Menschen bekommen etwas!“

„Ich kriege doch nichts geschenkt!“ murmelte Jobst. Er hatte uns bis dahin zugehört, nun griff er wieder zu seiner Schöpfkelle.

„Doch –“ sagte Jürgen. „Wenn Du Weihnachten nicht im Gefängnis sitzest, dann schenke ich Dir etwas. Ich habe einen Kasten geklebt; er ist sehr hübsch und ich wollte ihn eigentlich selbst behalten. Wenn Du aber gut sein willst, dann bekommst Du ihn!“

„Und ich mache Dir einen Fingerring aus schwarzen Glasperlen!“ rief Milo, der in Perlenvergeudung Unglaubliches leistete. „Oder willst Du lieber einen blauen Ring mit einer Goldperle in der Mitte? Goldperlen sind furchtbar teuer, aber ich will es doch thun!“

„Dann gebe ich auch Dörthe mein altes Lesebuch!“ setzte ich hinzu und trat dabei Jobst Krieger etwas näher. Er hatte sich nämlich ins Boot gesetzt und sah uns ganz sonderbar an. Wahrscheinlich fand er die ihm gemachten Anerbietungen zu überwältigend, um gleich darauf eingehen zu können.

„Sieh ’mal,“ setzte ich vertraulich hinzu. „Laß Dörthe doch das Lesebuch bekommen! Da sind hübsche Bilder darin, und wenn die andern Kinder die sehen, dann wollen sie auch wieder bei Dörthe sitzen. Nun wollen sie es nicht, weil Du so viel im Gefängnis sitzen mußt! – Sie sitzt immer ganz allein und Weihnachten ist sie auch allein. Ich sagte ihr, sie sollte den lieben Gott bitten, daß Du Weihnachten bei ihr wärest; aber sie hat es wohl vergessen. Der liebe Gott thut sonst alles, um was man ihn ordentlich bittet!“

Jobst Krieger legte plötzlich wieder die Bootkette um den Pfahl und trat ans Land. Er sah beunruhigt und etwas mürrisch aus, und als Jürgen ihm noch einmal seinen schönen Kasten pries, antwortete er nur durch ein unverständliches Knurren.

Auch trat jetzt ein anderer Mann auf ihn zu, der eben erst von der Stadt hergekommen war. Der sah nicht so gut aus wie Jobst, und seine Augen fuhren scheu über uns hin, während er leise mit Jobst sprach. Jürgen und ich gingen voran, während Milo noch eine Weile in der Nähe der Männer blieb und erst später uns nachgelaufen kam.

„Ich habe gehört, was sie sprachen,“ erzählte er. „Ich sammelte Steine und war ganz nahe bei ihnen. Der andere Mann heißt Lorenz und wollte mit Jobst Krieger und dem Boot nach dem großen Walde fahren. Jobst aber sagte, er hätte keine Lust, sie wollten bis morgen warten. Er müßte sich noch besinnen. Da wurde der andere Mann böse und sagte, er führe nicht am Montag, das sei ein Unglückstag; er führe am Sonntag und er wolle nicht auf Jobst warten! Da haben sie sich gescholten und nun ist Jobst Krieger zurück gegangen und der andere ist im Boote!“

Jetzt kamen die andern Brüder. Aber sie waren, weil sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_836.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)
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