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Seite:Die Gartenlaube (1895) 848.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

am 26. April des Jahres 1478 in der Domkirche zu Florenz sein Leben verhauchte. Zwei breite und tiefe Einschnitte im Schädeldach, der eine seitlich, der andere über der Stirn, scharf abgegrenzt wie von der Schneide eines Rasiermessers, ein eben solches Loch in einem Schienbein lassen noch die Form der Mordwaffe erkennen und geben Zeugnis von der Gewalt, womit sie geführt wurde. Man weiß, mit welch rasender Wut die Verschworenen ihr Opfer anfielen: nachdem Bernardo Bandini ihm mit einem kurzen Schwert die Brust durchrannt hatte, warf sich Francesco de’ Pazzi, sein Anverwandter, über den Gestürzten und besäte den schon entseelten Leib solange mit Wunden, bis er sich selbft einen tiefen Stich in den Schenkel beibrachte.

Auch Giulianos Schädel war im übrigen trefflich erhalten und hatte bei der Ausgrabung noch alle Zähne. Doch war ein Gipsguß bei beiden nicht mehr ausführbar, man mußte sich beguügen, mehrere genaue photogrmphische Aufnahmen der einzelnen Schädel und der gesammelten Knochen zu machen, bevor man die edlen Reste in neue Holzsärge verschloß und sie der Gruft zurückgab, die sie namenlos durch vier Jahrhunderte geborgen hatte. In einem Glasbehälter wurde das Protokoll über die Gruftöffnung mit Namensunterschrift aller Anwesenden in Lorenzos Sarg gelegt und die Gruft wieder zugemauert. Die leeren Särge sind vorerst in einem Seitengelaß der Kapelle stehen geblieben, Giulianos Sargdeckel mit der Inschrift soll dem Museum von San Marco einverleibt werden.

Cosimo von Medici.

Wie es geschehen konnte, daß der Schleier der Vergessenheit sich so dicht über das Grab eines Herrschers spann, dessen Ruhm in vier Jahrhunderten nichts von seinem blendenden Glanze verloren hat, ist ein schwer zu lösendes Rätsel. Man wird annehmen dürfen, daß die Leiche Lorenzos nur provisorisch beigesetzt und die Ausführung eines Grabmals auf ruhigere Zeiten verschoben war. In dem Ungewitter, das gleich nach Lorenzos Tode die Familie Mediei in alle Winde zerstreute, hielten wohl die Ueberlebenden diese teuren Reste durch das Geheimnis am sichersten vor der Zerstörungswut der „Piagnonen“[1] geborgen, und die Gleichgültigkeit nachwachsender Geschlechter mag bald nicht mehr nach den Denkmalen einer schon sagenhaft werdenden Vergangenheit gefragt haben. Unerklärlich aber bleibt es, daß auch von Papst Leo X., dem Sohne Lorenzos, und später von Clemens VII., Giulianos illegitimem Sprößling, die den Bau der Gruftkapelle durch Michelangelo mit so großem Feuer betrieben, nicht vor allem die Gräber ihrer Väter der Verschollenheit entrissen worden sind.

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Bisweilen gefällt es der Natur, ihre eigenen Grenzen zu erweitern und eine einzelne Persönlichkeit mit so überschwenglichen Gaben auszustatten, daß alle Kräfte ihres Zeitalters in ihr versammelt erscheinen. Einer dieser Hochbegünstigten war Lorenzo Magnifico. Beiläufig sei hier bemerkt, daß dieser Zuname erst von der Nachwelt auf Lorenzos Hochsinn, Prachtliebe und königliche Freigebigkeit bezogen wurde, ursprünglich war Magnificenz die Anrede an das nicht gefürstete Staatsoberhaupt, die schon den Vorgängern Lorenzos zukam.

Es ist bekannt, aus welch bescheidenen Anfängen die Familie Medici zu ihrer beispiellosen Größe emporgestiegen ist. Sie waren bürgerlicher Abstammung, ursprünglich Aerzte und Apotheker, wie der Name besagt, die goldenen Kugeln (Palle) ihres Wappens werden als Arzneipillen gedeutet. Im Handel reich geworden, traten sie bei dem Emporkommen der unteren Klassen mit wachsendem Ansehen und mit immer bedeutenderen persönlichen Zügen in den Vordergrund.

Goethes tiefer Ausspruch, daß eine Familie nicht gleich das Vollkommene im Guten oder Bösen hervorbringt, sondern erst durch eine Reihe gesteigerter Persönlichkeiten hindurchgehen muß, um endlich die „Wonne“ oder „das Entsetzen der Welt“ zu erzeugen, bewährt sich nirgends so augenfällig wie an dem Geschlechte der Medici.

Der Stammvater des Hauses, Giovanni di Averardo dei Medici, gemeinhin Giovanni di Bicci genannt, war noch völlig Privatmann, ein reicher Großhändler und Bankier, durch dessen Hände alle Geldgeschäfte Italiens gingen, vom größten Einfluß im Staate, ohne sich vorzudrängen, ein Freund des Volks, ein Vermittler und Wohlthäter. Im großen Gang der Uffizien zu Florenz ist sein Bildnis aufgehängt: ein ernstes eckiges Bauerngesicht mit dem Ausdruck von Klugheit uud zugleich von Redlichkeit. Hätte er in Bankos Zauberspiegel die Reihe seiner glorreichen Nachkommen vorüberziehen sehen, er würde die Fundamente, auf denen die künftige Größe des Hauses sich erheben sollte, nicht umsichtiger haben ausmauern können. So sammelt die Arbeitsbiene aus Naturtrieb das Wachs und baut die Zelle für die königliche Puppe, deren Ausschlüpfen sie selbst nicht mehr erleben wird. In dem warmen Interesse für die Fortschritte der Kunst, die er durch seine reichen Mittel unterstützte, tritt schon der Familienzug hervor, der den unsterblichen Ruhm der Mediceer begründet hat.

In seinem Sohne Cosimo wiederholen sich die Eigenschaften des Vaters, aber ins Großartige gesteigert und schon von dem bürgerlichen Hintergrunde abgelöst. Er spann ein Netz von Banken über die ganze abendländische Welt, die er von Florenz aus mit der Sicherheit eines heutigen Börsenkönigs, dem der elektrische Funke dienstbar ist, leitete. Durch Vorschüsse, die er nie zurückverlangte, machte er einen großen Teil seiner Mitbürger zu heimlichen Klienten der Medici. Die florentinischen Zustände waren derart, daß ein Mann von Cosimos Bedeutung seiner Existenz nicht sicher war, wenn er nicht die Hand am Steuer hatt. Cosimo brachte seine Anhänger in den Regierungspalast und ließ durch sie Gesetze geben. Nach Sturz und Verbannung kehrte er noch mächtiger zurück, denn Florenz hatte eingesehen, daß es seiner nicht mehr entraten konnte. Er wurde öffentlich mit dem Ehrentitel eines Pater patriae begrüßt und übte bis zu seinem Tod eine fast unumschränkte Gewalt.

Die Neue Sakristei in der Kirche San Lorenzo zu Florenz.
(Links die Nische, hinter deren Wand die Gebeine Lorenzos und Giulianos gefunden wurden.)

Doch wahrte er sein Leben lang ängstlich den Schein des Privatmannes und vermied in seinem Auftreten alles, was das

  1. Anhänger Savonarolas.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_848.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)
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