verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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Nr. 51. | 1895. | |
Die Lampe der Psyche.
(11. Fortsetzung.)
Siehst Du, Magda,“ begann Sibylle, „es ist gekommen, wie ich Dir sagte: Flemming hat ihn mir totgeschossen.“
Ihre Augen waren wie erloschen und ihre Stimme ganz klanglos.
„Wallwitz lebt doch noch und er wird leben!“ rief Magda und faltete die Hände.
Sibylle sah vor sich hin.
„Wir sind alle schrecklich unglücklich,“ sagte sie, mit dem Kopf nickend, „ja, schrecklich unglücklich. Aber er muß noch unglücklicher sein! O, wie es wohl in ihm aussieht! Weiß Gott, ich beneide ihn nicht um das Gefühl! Den Mann erschossen zu haben, der ihn so liebte und verehrte!“
Magda war sehr blaß. Sie wollte Sibylle nicht mit der Verteidigung kränken, die sie für die That bereit hatte. Und dann: es war so, wie Sibylle sagte! Wie mußte es in ihm aussehen! Es ergriff sie aufs tiefste, daß Sibylle so ohne Zorn, voll innigstem Mitleid seiner, als des Elendesten von ihnen, gedachte.
„Und alles dies wegen Lilly!“ sprach sie bitter.
Das Wort belebte Sibylle. Ihre Augen blitzten. Sie stand in alter Beweglichkeit vor Magda.
„Denke Dir,“ erzählte sie, „sie war es, die mir das Märchen von der geladenen Pistole erzählte, an das auch Großmama glaubt. Doktor Friedrichs hat es gesagt, als er ihn brachte, und Keller hat es bestätigt. Lilly allein konnte sich die Wahrheit denken. Als sie nach mir schickten – er hatte meinen Namen geflüstert … denk’ Dir, Magda, in seinem ersten bewußten Augenblick …“
Sie weinte an Magdas Schulter.
„Du wolltest von Lilly sprechen,“ mahnte sie nach einer Pause. Sibylle richtete sich wieder auf.
„Lilly kam mir entgegen und erzählte es mir. Ich weinte gar nicht. Ich war wie von Stein. Ich sah immer bloß Lilly an, und als sie mit ihrer Lüge fertig war, sagte ich bloß: Du bist eine Mörderin! Und da zuckte sie die Achseln – so – – und machte so ein Gesicht – – und sagte, ich sei wohl überspannt.“ Aber sie war doch ganz blaß geworden. Und dann sagt’ ich ihr, wenn sie einen Fuß in sein Zimmer setze und sich ihm zeige – denn das muß ihn doch gräßlich aufregen! – wolle ich Großmama alles wiedersagen, was ich weiß. Sie traut sich auch nicht, sie traut sich nicht. Und Großmama sagt ‚wie lieblos!‘ Das schadet nichts, mag Großmama das denken, das geschieht Lilly recht.“
Es wurde dämmerig. Magda saß am Fenster und sah auf die grauen Hintergebäude, die hier reizlos den Blick verschrankten.
Ein ungeheurer Druck lag auf ihrer Seele, die furchtbare Ungewißheit sollte noch weiter getragen werden. Tagelang, wochenlang vielleicht konnten sie noch zittern für dies Leben, das, wenn es erlosch, zugleich Licht und Freude aus
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_857.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)